Um zu beantworten, ob Luxus seinem Untergang geweiht ist, ist zunächst zu klären, was Luxus definiert. Häufig synonym oder nicht trennscharf verwendete Begriffe wie Prestige oder Premium erschweren dabei die semantische Festlegung. Luxus ist durch zwei wesentliche Merkmale gekennzeichnet. Erstens repräsentieren Luxusgüter oder -dienstleistungen einen Superlativ oder Weltrekord, die in irgendeiner Form messbar sind: Anzahl benötigter Arbeitsstunden, Gewicht gemessen in Karat, Höhe der Herstellungskosten, Alter einer Manufaktur, seltenste handwerkliche Techniken, Funktionsdauer oder sonstige Leistungsmerkmale. Der Preis eines Luxusgutes ist dabei lediglich Ausdruck einer besonderen Exklusivität, nicht aber sein konstitutives Merkmal. Zweitens kennzeichnet Luxus seine identitätsstiftende Kraft. Diese wird durch Kommunikation des Herstellers in Form von Werbung, Social Media, Events usw. generiert. Luxuskonsum erlaubt die Identifikation mit einer Markenbotschaft, um sich zum einen seiner Individualität und zum anderen seines Bezugs zur Gesellschaft bewusst zu werden. Durch den Erwerb von Schmuck, Yachten, Sportwagen, Kleidung, antiker Bücher usw. attribuieren sich Konsumenten mit Persönlichkeitsmerkmalen wie reich, mächtig, schön, gebildet oder jung. Typische Luxusmarken sind Steinway & Sons, Rolls-Royce oder die Bayreuther Festspiele.
Insbesondere der Aspekt der äußeren Identität, also die Beziehung eines Menschen zu seinem Umfeld, ist für die Faszination Luxus massgeblich. Denn im Zusammenspiel von Produktweltrekord, dem mit ihm verbundenen sehr hohen Anschaffungspreis und dem Wunsch des Verbrauchers nach sozialer Verortung ergibt sich jene Brüskierung, die Luxus schon in antiken Zeiten für Autoren wie Platon, Seneca, Cato zum Reizobjekt machte: Die Funktion von Luxus ist, das sozial Trennende elitär zu betonen: Sei es – je nach Blickwinkel – in integrativer Weise, indem sich ein Konsument durch den Erwerb eines Luxusgutes einer „höheren“ Gruppe zugehörig fühlt; sei es in diskriminierender Weise, indem er sich von seiner „tieferen“ Umgebung abgrenzt. Die konstitutive Aufgabe von Luxus ist das Angebot einer sozialen Selektion – und damit pure Provokation.
Doch die Strahlkraft des Luxus nimmt seit einiger Zeit ab. Entgegen der hohen Wachstumsraten einzelner Luxusgruppen wie LVMH oder Kering lag in den letzten fünf Jahren gemäß Beratungsgesellschaft Bain & Company die Entwicklung der Industrie insgesamt bei mageren 3% im Jahresdurchschnitt. Der Blick auf die schweizerische Uhrenindustrie bestätigt dies: Seit sieben Jahren verharren die eidgenössischen Exporte hochwertiger Uhren auf demselben Niveau zwischen 12 und 13 Mrd. Franken. Teure Porzellane, Füller oder Massanzüge sind bereits erste im Begriff der Extinktion befindliche Luxusdinosaurier. Wird der überproportionale Nachfrageanstieg chinesischer Konsumenten berücksichtigt, ist Luxuskonsum in der alten Welt seit Jahren bestenfalls stagnierend. Über 50 Prozent aller Luxusabverkäufe finden in nur 20 Metropolen der Welt statt – acht davon liegen in Asien.
Worin liegt die existentielle Bedrohung des Luxus begründet? Eine Vielzahl an Ursachen lassen sich anführen, wobei die mangelnde Kreativität und Kundenorientierung der Luxusmarken zwar wesentliche, aber nicht einmal die bedeutsamsten sind. Der sich abzeichnende Niedergang des Luxus hat vier zentrale Gründe: die Demokratisierung politischer Systeme, der gesellschaftliche Wertewandel, technologischer Fortschritt und der demographische Faktor. Alle bedingen sich gegenseitig und werden die Zukunft des Luxus als soziales, kulturelles und wirtschaftliches Phänomen nachhaltig beeinflussen (oder je nach Sichtweise: belasten).
Politische Checks and Balances erschweren den Stand der Eliten
Im Sinne der sozialen Selektion diente Luxus über Tausende von Jahren als Statussymbol von Macht, um politische Rangordnungen zu definieren und festigen. Die globale Demokratisierung insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte jedoch zu gesellschaftlich flacheren Hierarchien – und damit zu einem Autoritätsverlust des Luxus als Symbol von Herrschaft. Heute müssen Staatspräsidenten zurücktreten, weil sie sich privat für ein Wochenende in einem 5-Sterne-Hotel haben einladen lassen. Royals heiraten vermehrt bürgerlich und steuern eigenhändig Mittelklassewagen, anstatt sich noch in Staatskarossen zu ihren Schlössern chauffieren zu lassen. Im wirtschaftlich wachsenden China nimmt zwar der Luxuskonsum zu, aber Massnahmen der Partei zur Bekämpfung von Korruption dienen auch dort dazu, dass Luxus nicht als Ausdruck von Macht staatlicher Repräsentanten verstanden werden kann. Und selbst in Ländern mit einem Hang zur prätentiösen Zurschaustellung feudaler Lebensverhältnisse ist unter Eliten verstärkt erkennbar, dass ein zu öffentlicher Luxuskonsum die unerwünschte Frage ihrer politischen Legitimität in breiten Kreisen der Bevölkerung aufwerfen könnte.