Die 7 Säulen der Synnovation

Unternehmen versuchen mit diversen Methoden, das Thema Innovation auf eine neue Art zu erschließen. Wir stellen sieben aktuelle Synnovations-Ansätze vor.

Von Matthias Horx und Holm Friebe (12/2015)

Flickr / Yogendra Joshi / D-R-O-P / CC-BY 2.0 / bearbeitet durch Zukunftsinstitut

1. Open Innovation: Kreative Ökosysteme

Nicht mehr einzelne Firmen, sondern ganze Ökosysteme forschen gemeinsam an neuen Lösungen – und teilen sich am Ende die Profite. Die Idee selbst ist nicht ganz neu, im Automobilsektor ist diese Methode längst etabliert: Zulieferer übernehmen immer größere Teile der Wertschöpfungskette. Neu ist die aktive, auch räumliche Bewirtschaftung dieser Ökosysteme durch Konzerne. So unterhält der Philips-Konzern an seinem Stammsitz in Eindhoven einen High-Tech-Campus, an dem 60 externe Startups und 10.000 Mitarbeiter gemeinsam an Zukunftstechnologien und deren Vermarktung basteln.

Open Innovation bedeutet aber nicht nur, dass Partner und Zulieferer über Allianzen und gemeinsame Entwicklungen in einen Prozess der Co-Evolution einsteigen. Im Sinne von Crowdsourcing und Wikinomics wird zugleich das über die Welt und das Internet verstreute Expertenwissen für die Lösung lokaler Probleme angezapft. Procter & Gambles “Connect + Develop“-Initiative steht unter dem Motto “Proudly found elsewhere“ und lädt aktiv Wissenschaftler und Erfinder aus aller Welt ein, sich an P&Gs Innovationsprozess zu beteiligen.

2. Customer Co-Creation: Innovative Lead-User

Prosuming – die Beteiligung der Konsumenten am Design ihrer Produkte – setzt sich mehr und mehr durch. Eric von Hippel, Professor am MIT, führt in seinem Buch “Democratizing Innovation“ zahlreiche Beispiele solcher Nutzer-zentrierten Innovationsprozesse an und betont dabei die Schlüsselrolle der “Lead-User“ für erfolgreiche Innovationen. Durch ihre buchstäblich fanatische Fixierung auf das Thema sind sie “den Markttrends um einiges voraus“ und kennen ihre eigenen Bedürfnisse besser als jedes Marktforschungsinstitut. Dabei ist Prosuming kein Nischenphänomen der Bastler und Hacker. Ganze Marktsegmente wie Mountainbikes, Kitesurfing und andere Fun-Sportarten wurden von Fans und “Pro-Ams“ (professionellen Amateuren) erfunden, bevor die Industrie Jahre später ihre Ideen adoptierte.

Tief in der Krise steckend, besann sich etwa LEGO seiner erwachsenen Fans und schuf den AFOLs, den “Adult Fans of LEGO“, eine Beteiligungsplattform. In zigtausend freiwillig und unentgeltlich investierten Arbeitsstunden halfen diese mit, ganze Produktreihen zu entwickeln. Ein anderes Beispiel liefert der Computerbauer Dell, der unter dem Label “Ideastorm“ einen kontinuierlichen Feedbackprozess zur Generierung von neuen Produktideen und Verbesserungsvorschlägen organisiert.

3. Innovation-Jams: Multi-Stakeholder-Brainstormings

“Der ganze Elefant in einem Raum“ – so hat der Organisationsberater Marvin Weisbord einen Schlüsselfaktor erfolgreicher Großgruppenformate beschrieben, bei denen die Stakeholder eines Unternehmens oder eines Systems selbst ihre Zukunft mitbestimmen können. Digitale Kollaborationsplattformen erlauben es, im virtuellen Raum Massen-Brainstormings zu veranstalten, an denen sich alle global verstreuten Mitarbeiter eines multinationalen Konzerns beteiligen können. Das leicht angestaubte “betriebliche Vorschlagswesen“ wird digital rehabilitiert und auf Hochglanz poliert.

Schon seit 2001 veranstaltet Vorreiter IBM seine “Innovation Jams“, mehrtägige Echtzeitdiskussionen, an denen sich bis zu 150.000 Mitarbeiter beteiligen und zehntausende von Ideen und Vorschlägen generieren. Mittlerweile nutzt IBM seine Kompetenz, um anderen Unternehmen und Institutionen die Tools und das Methodenwissen für den Zettelkasten 2.0 zur Verfügung zu stellen. Einen ähnlichen Service für interne wie externe Online-Brainstormings bietet Atizo, zu dessen Kunden Unternehmen wie O2, AXA Versicherungen und BMW zählen.

4. Creatsourcing: Smart-Mob-Innovationen

“Not all the smart people work for you“ – so hat Bill Joy, Co-Gründer von Sun Microsystems, das Grundproblem der Innovation bereits vor 15 Jahren auf den Punkt gebracht. Wie lässt sich also die geballte Schwarmintelligenz der Netz-Community anzapfen? Indem man Forschungsfragen und kreative Aufgabenstellungen an Freiwillige im Netz outsourced. Auf der Plattform InnoCentive können Firmen ihre R&D-Aufgaben ausschreiben und Preisgelder für deren Lösung aussetzen. Wissenschaftler und Tüftler aus aller Welt können sich daran versuchen und fünf- bis siebenstellige Preisgelder einstreichen.

Geht es um kreative Aufgabenstellungen, die Design, Marketing und Werbung betreffen, bietet das Berliner Startup Jovoto eine Crowdsourcing-Alternative zu herkömmlichen Design- und Kreativagenturen. Firmen können ihre Kreativbriefings einstellen und Preisgelder ausschreiben. Das Besondere an Jovoto: Die Community bewertet selbst die Einreichungen und trifft so bereits eine qualifizierte Vorauswahl. Auch können die Kreativen sich gegenseitig Feedback geben und so zu wirklich kollaborativen Ergebnissen gelangen. Die beauftragenden Unternehmen erhalten dadurch neben einer Fülle kreativer Ansätze zusätzliche Marktforschungsimpulse von hochqualifizierter Seite. Starbucks, Coca Cola und die SPD haben sich bereits auf dieses Experiment eingelassen.

5. Social Design: Innovation als Open-Source-Prozess

Produktinnovationen als spontan-emergenter Prozess mit Vorbild Open-Source-Software und Wikipedia – das ist das Prinzip der “Social product development“-Plattform Quirky, die sich der kollektiven Veredelung von Ideen zu marktreifen Produkten verschrieben hat. Alle Teilnehmer, egal ob als initiale Ideengeber oder nur am Feintuning beteiligt, werden am späteren Verkaufserlös beteiligt. Innovationen werden zu Gemeinschaftsleistungen, die auf kooperativer Arbeitsteilung, Wechselwirkungen und komplexen Abstimmungsmechanismen basieren. Oft haben an erfolgreichen Produkten, von der Idee bis zur Marktreife mehrere hundert Köpfe mitgewirkt. Die Brücke zur boomenden DIY- und Open-Design-Szene schlägt Ponoko (“The worlds easiest making system“), indem es eine Schnittstelle zwischen digital arbeitenden Designern, Materiallieferanten, Herstellern und Kunden eröffnet.

6. Permanent Beta: Trial-and-Error-Innovation

Beta bezeichnet eine noch nicht voll ausgereifte Software, die schon im realen Einsatz getestet wird. Permanent (oder Perpetual) Beta, geprägt von Web-2.0-Erfinder Tim O’Reilly, erklärt das Vorgehen zum Prinzip: die Einsicht, dass ein Produkt nie völlig ausgereift ist, im laufenden Betrieb immer weiter verbessert werden kann – und zwar am besten unter realen Testbedingungen im engen Austausch mit den Usern. Google ist auf diesem Wege zur “Weltherrschaft“ gelangt. Nicht alles, was Google anfasst, ist erfolgreich (siehe “Google Wave“), aber viele experimentelle Schüsse werden abgefeuert. Erfolgversprechendes wird ausgebaut, angepasst, verbessert. Natürlich funktioniert diese Rapid-testing-Methode besser im Internet als bei physischen Produkten mit längeren Innovationszyklen.

Das erfolgreichste Beispiel, wie ein Nebenfeature zum Hauptprodukt wurde, ist die Fotosharing-Website Flickr: Ursprünglich als Ergänzung zu einem Online-Rollenspiel eingeführt, war der Dienst so erfolgreich, dass alle Ressourcen umgelenkt wurden. Das geplante Spiel wurde eingestellt, dafür wurde die Software hinter der Website phasenweise im Halbstundentakt upgedated und angepasst. Für Jahre stand der Zusatz “Beta“ neben dem Flickr-Logo auf der Website und wurde so fast zum Bestandteil der Marke.

7. Design Thinking: Systemische Innovationen aus Nutzerperspektive

Wo es um lange Innovationszyklen geht, etwa bei Automobilen oder Kommunikationstechnologie, versagt oft die Nutzerbeteiligung, weil das Nutzerverhalten der nächsten Generation antizipiert werden muss. Echte Innovationen, sagt Technologie-Trendforscher Paul Saffo, können gar nicht demokratisch sein, sie sind eine “seltsame Mischung aus selbstsicherer Intuition und Offenheit für neue Informationen“. Bestes Beispiel dafür ist Apples iPhone, dessen Erfolg nicht allein auf edlem Design und guter Benutzerführung beruht. Es war die kontextbezogene Einbettung, die das Gerät zur echten Revolution machte. Seine Macher begriffen es nicht als Gerät, sondern als Dienstleistung – und überschritten dabei Genre-Grenzen der Computerindustrie. Sie “synnovierten“ ein Handy mit einem Computer mit einem haptischen Gegenstand mit einer Musik-Datenbank.

Design Thinking handelt nicht von der äußeren Form eines Artefaktes, sondern davon, den Gegenstand (sofern es einen gibt) als Teil eines Gesamtsystems zu sehen. Wichtig ist dabei, dass unterschiedliche Perspektiven über multidisziplinäre Teams zusammenkommen, sowie das schnelle Testen und Anpassen von Prototypen in häufigen Iterationsschleifen. Groß gemacht hat den, an der Stanford University entwickelten Ansatz die Designagentur IDEO, die damit zum Berater etlicher Bluechip-Unternehmen aufstieg. Tim Brown, einer der IDEO-Chefs, formuliert es so: “Design Thinking nimmt die nächste Stufe, die darin besteht, diese Werkzeuge in die Hand von Menschen zu legen, die sich nie als Designer verstanden haben, und sie auf ein weitaus größeres Feld von Problemen anzuwenden.“ Als der SAP-Gründer Hasso Plattner Design Thinking für sich entdeckte, war er so begeistert, dass er in Potsdam gleich ein eigenes Institut, die HPI School of Design Thinking, gründete, um den Ansatz nach Deutschland zu bringen und zu popularisieren.

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