Über die Zukunft der politischen Kommunikation jenseits von Personalisierung, Profiling und Populismus.
Von Dr. Daniel Dettling (04/2017)
Über die Zukunft der politischen Kommunikation jenseits von Personalisierung, Profiling und Populismus.
Von Dr. Daniel Dettling (04/2017)
„Man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen und das ganze Volk einen Teil der Zeit. Aber man kann nicht das gesamte Volk die ganze Zeit täuschen.“ (Abraham Lincoln, 16. Präsident der USA)
Müssen wir unser Bild vom Menschen korrigieren? Seit der Epoche der Aufklärung vor 250 Jahren gilt der Mensch als vernunftbegabtes Wesen – fähig, sich aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien. In einer aufgeklärten Gesellschaft entscheiden Fakten, nicht Gefühle. Statistiken haben Vorrang gegenüber Stimmungen. Die Macht des Arguments schlägt die Masse des Mobs. Doch dank der neuen Vernetzungsmöglichkeiten durch die sozialen Medien tummeln sich plötzlich Millionen von Individuen in Meinungsblasen und Hass-Stürmen. Big Data und soziale Medien verändern die Kommunikation. In der neuen Aufmerksamkeitsökonomie entscheidet der Grad der Erregung über Einschaltquoten und Zustimmung.
Die schlechte Nachricht lautet: Wir müssen Abschied nehmen von der Utopie einer globalen elektronischen Demokratie. Die gute Nachricht: Wir müssen nicht vor der Dystopie eines elektronischen Populismus und seiner postfaktischen Propaganda kapitulieren.
„Disruption“ bezeichnet das radikale Infragestellen unternehmerischer Geschäftsmodelle durch die Digitalisierung. Das politische System blieb von diesem disruptiven Wandel bislang verschont. Dies ändert sich gerade fundamental und rasant. Wahrnehmung und Wirklichkeit klaffen zunehmend auseinander. „Post Truth“ wird zum Gegenmodell einer evidenzbasierten Kommunikation.
Diese Nachrichten wurden in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter tausendfach geteilt und geliked. Dabei waren sie „Fake news“, schlicht erfunden. Als gezielte Falsch- und Desinformationen verbreiten sie sich in Windeseile und können nach ihrer Veröffentlichung kaum eingefangen werden. Im US-Wahlkampf 2016 wurden Falschnachrichten zugunsten von Donald Trump gestreut. Auf den drei größten Facebook-Seiten von Trump-Gegnern gab es vor der US-Wahl 19 Prozent Fakes. Bei den drei größten Pro-Trump-Facebook-Seiten waren es sogar 38 Prozent. Beide Lager hatten Millionen Follower und erreichten mehr Menschen als die Mainstream-Medien.
Deutsche Politiker fürchten einen ähnlichen Trend der Manipulation auch für die bevorstehende Bundestagswahl im September. Wir müssen uns darauf einstellen: Wahlkämpfe werden künftig mit nachrichtendienstlicher Intelligenz, Fake News und Ad-Targeting den Prozess demokratischer Willensbildung und die Entscheidungsfindung manipulieren. In einer „click democracy“ kann jeder Kampagnen starten. Politik und Medien werden ihre Kommunikation ändern müssen. Bislang hat sich die Politik allein auf die Massenmedien verlassen und damit auf eine Kommunikation, die nur eine Richtung kennt. Und die Massenmedien haben sich zu lange auf ihr Informations- und Meinungsbildungsmonopol verlassen. Eine Ära geht zu Ende. Der traditionelle Wahlkampf ist tot.
Mit dem Trend der sich verselbständigenden Kampagnenkommunikation tut sich die klassische politische Kommunikation schwer. Sie sendet in der Regel eine Nachricht an alle Bürger. Wo Regierungen nicht modern und gezielt mit ihren Bürgern kommunizieren, wenden sich diese alternativen Informationsquellen zu. Immer mehr Menschen informieren sich über soziale Medien und weniger über Massenmedien wie Fernsehen und Zeitungen.
Soziale Netzwerke und Medien werden zu sich selbst verstärkenden Echokammern. Abweichende Ansichten und Kommentare werden ausgeklammert und gefiltert. Das Kommando haben Verschwörungstheoretiker, Trolle und social bots übernommen. Türsteher, die vorab filtern und Müll von Meinung trennen, fehlen. Das Internet, gesteuert von wenigen Medienmonopolen, hat seine Unschuld als Hoffnungsträger der liberalen Demokratie verloren.
Mit Hilfe von Big Data verfügen wir über ein wachsendes Potenzial an Micro-Targeting. Im Zusammenspiel mit der Nutzung datengetriebener predictive analytics wird Kommunikation in Zukunft noch granularer und hyperindividueller. Barack Obama hat bei seiner Wiederwahl 2012 den ersten digitalen Wahlkampf betrieben, Donald Trump hat ihn 2016 perfektioniert. Kein Wahlvolk ist bislang so vermessen und so präzise aufgelöst worden wie das amerikanische. Die digitalen Wahlkampfmanager individualisierten nicht, sie singularisierten. Darin besteht digitale Macht: Bürger oder Konsumenten zu singularisieren und dann gezielt zu beeinflussen. Fotos, Videos oder Worte verselbständigen sich im Internet und werden abgewandelt geteilt. In einer Debatte nannte Trump seine Gegnerin „nasty woman“. Minuten später feierten sich Clinton-Anhänger im Internet als ebensolche. Clinton beschrieb die Trump-Anhänger als „basket of deplorables“. Die Beschimpften druckten sich das Zitat stolz auf T-Shirts.
In Deutschland ist der Umgang mit Daten nicht so uneingeschränkt möglich wie in den USA. Doch der Trend zur digitalen Präzision und zur Kombination von Technologie und Psychologie ist unaufhaltsam. Einen ersten Vorgeschmack hat vor wenigen Wochen die SPD geliefert. Eine anonyme Gruppe gründete das Forum „the_schulz“ auf Reddit. Nach Angaben der Moderatoren der Seite gelten zwei Regeln: „Es ist ausschließlich fürsprechende Propaganda (sic!) für Martin Schulz zu pfostieren.“ Und zweitens: „Jegliche Art der Rede gegen Martin Schulz wird mit sofortiger Verbannung auf Lebenszeit geahndet.“
Die Kampagne „the_schulz“ ist das deutsche Gegenstück zum Reddit-Forum „The_Donald“, wo tausende Trump-Anhänger ihre antifeministischen, antiliberalen und rassistischen Ansichten befeuerten. Die SPD-Zentrale bestreitet, etwas mit der Kampagne „the_schulz“ zu tun zu haben. Echte Distanzierung aber sieht anders aus. Die Kampagne trägt erheblich zur aktuellen Welle für ihren Kandidaten bei. Groß eingeblendet ist auf der Seite ein Konterfei von Martin Schulz mit dem Slogan „MEGA“ („Make Europe Great Again“). Vom Gegner lernen heißt siegen lernen.
In Deutschland nehmen die Forderungen nach einem staatlichen Eingreifen gegen Falschmeldungen zu. Die Politik macht Druck und hat einige soziale Netzwerke aufgefordert, gezielt gegen Hasskommentare und Falschmeldungen vorzugehen. Facebook hat bereits gehandelt. Eine NGO kämpft jetzt gegen „Fake news“ in Deutschland. Das Vorgehen gleicht dem Kampf gegen Windmühlen. Die deutschen Grünen fordern sogar eine Kennzeichnungspflicht für social bots und wollen so Programme verhindern, die in sozialen Medien vortäuschen, reale Personen zu sein. Die Grenzen zwischen Meinungen, Tatsachen und Falschinformationen sind oft fließend. Allein mit staatlichen und unternehmerischen Mitteln wird das postfaktische Zeitalter nicht überwunden werden. Hinter ihnen steckt ein pessimistisches Bild des Wählers, der sich leicht manipulieren lässt.
Lassen sich Wahlen in Zukunft mit Hilfe digitaler Manipulation gewinnen? Die Wahlsieger und ihre Strategen und Dienstleister wollen uns das gerne glauben machen. Widerstand wäre dann zwecklos. Doch Propaganda funktioniert auf Dauer nur in einer Diktatur. Menschen sind keine Maschinen. Ihre politischen Präferenzen lassen sich nicht mit Hilfe von Algorithmen aus Messdaten ablesen, so präzise diese sein mögen. Nicht Facebook und Google sind schuld an Filter Bubbles und Hate Speech, der Mensch ist es. Der Vertrauensverlust gegenüber Politik und Medien ist tiefer. Den Hass und die Bubbles hat es auch früher schon gegeben. Die neuen Propagandamaschinen sind Symptome und Beschleuniger, aber nicht Ursachen der postfaktischen Renaissance einer Gesellschaft des Nichtwissenwollens.
Der neue Populismus und seine mediale Propagandamaschinen sind auch Folgen eines „Beteiligungs- und Kommunikationsstaus“ (Claus Leggewie). Die klassischen Medien (Zeitungen, Fernsehen, Radio) können der Tendenz zur Blasenbildung durchaus etwas entgegensetzen. Sie werden dabei die neuen Meinungsführer brauchen, die als „Influencer“ in den sozialen Netzwerken ein Millionenpublikum beeinflussen. Auch Unternehmensgründer, Schauspieler und andere prominente Vorbilder kommen in Frage. Celebrities sind meist nicht politisch, können es aber werden.
Ein neuer Gegentrend zum Erregungsjournalismus ist zu beobachten. Die Rede ist vom „konstruktiven Journalismus“, der sich auf Prinzipien der positiven Psychologie bezieht, grundsätzlich auch positiv berichtet und ein einseitiges negatives Weltbild bei den Lesern vermeiden will. Probleme werden nicht ignoriert, sondern um die Diskussion möglicher Lösungen erweitert. „Konstruktive Medien“ arbeiten bürgernaher, zukunftsorientiert und eingebettet in ein liberales Wertegerüst. Warum nicht Facebook und Google in den Dienst der Demokratie stellen und sie in die Gegenbewegung einbinden?
Auch in der Politik findet ein Wandel statt. Zu beobachten ist ein neuer Typ Politiker, der stärker auf Framing und auf Dialog mit dem Bürger und mehr Beteiligung setzt. Link zu Neo-Politik im ZR? Regierungschefs wie der Kanadier Justin Trudeau oder der Kandidat im französischen Präsidentschaftswahlkampf Emmanuel Macron stehen für eine agile und vitale Politik, die auf mehr Diversity und Demokratie statt Populismus und Protektionismus setzt.
Fakten, Nachrichten und Daten stehen nie für sich allein und losgelöst von Meinungen, Werten und Deutungen. Der Begriff „postfaktisch“ führt daher in die Irre. Es gibt keine Fakten ohne Werte. Der Mensch orientiert sich in seiner Wahl- oder Kaufentscheidung nach Werten. Die Politik wird sich mehr Mühe geben müssen, komplexe Inhalte verständlich zu kommunizieren und mit Ideologie aufzuladen. „Freiheit, Demokratie, Solidarität“ sind zu Leerformeln geworden. Politik muss (wieder) lernen klare, eigene Geschichten zu erzählen. Es geht darum, die moralische Notwendigkeit von Fakten mit der eigenen Wert- und Weltanschauung zu verbinden und daraus fassbar zu machen.
Wir leben nicht in einer postfaktischen, sondern in einer präfaktischen Gesellschaft. In einer zukunftsorientierten Gesellschaft geht es immer um die Frage, wie es sein soll und sein könnte in der Welt. Statt um Nach-Wahrheit geht es um eine gemeinsame neue Wahrheit, einer neuen Realität, die erst noch geschaffen werden muss.
Die zentrale Prämisse der Demokratie – der Mensch ist frei, bildet eigene Überzeugungen und kann zwischen Ja und Nein, Gut und Böse wählen – gilt auch in Zukunft. Die Demokratie ist keine alte Technologie, sie wird auch das neue Kommunikationszeitalter überleben. Aber nur, wenn wir uns selbst verändern. In Zukunft geht es um Empathie und Empowerment, um Gefühle und Gestaltung, um Fürsorge und Fortschritt.