Auf welche Bezahlsysteme setzt der Handel von morgen? Hat Bargeld im digitalen Zeitalter überhaupt eine Überlebenschance? Ein Blick in die Zukunft des Bezahlens.
Von Christian Rauch (04/2016)
Auf welche Bezahlsysteme setzt der Handel von morgen? Hat Bargeld im digitalen Zeitalter überhaupt eine Überlebenschance? Ein Blick in die Zukunft des Bezahlens.
Von Christian Rauch (04/2016)
In Deutschland sind mehr als 31 Millionen Kreditkarten im Umlauf. Insgesamt existieren laut Bundesbank rund 134 Millionen Karten mit Zahlungsfunktion. Damit besitzt jeder Deutsche – vom Baby bis zum Greis – im Schnitt 1,6 Karten, mit denen er bargeldlos bezahlen kann. Am vielbeschworenen Point of Sale gibt es dafür innerhalb Deutschlands immerhin 766.367 Zahlungsterminals. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren zwar deutlich gestiegen – doch auf die Fläche der Bundesrepublik gerechnet sind es gerade mal zwei Terminals pro Quadratkilometer.
25 Jahre nachdem ein Kreditkartenunternehmen mit dem Slogan „Die Freiheit nehm’ ich mir“ warb, ist es mit der Freiheit des bargeldlosen Bezahlens hierzulande noch nicht wirklich weit gediehen. Im Gegenteil: Kaum kam vom Finanzminister jüngst der Vorschlag, die Höchstbeträge für Bargeldzahlungen in Deutschland auf 5000 Euro zu begrenzen – während zeitgleich die EZB über die Abschaffung der 500-Euro-Scheine nachdenkt –, ging ein Aufschrei durchs Land. Vom Angriff aufs Bargeld, gar seiner Abschaffung war lautstark die Rede. Und vom Eingriff in die „gelebte Freiheit“ der Bürger. So stellt sich die Frage: Welche Zukunft hat das bargeldlose Bezahlen?
Tatsächlich offenbart gerade die Bargeld-Debatte, wie rückständig Deutschland bislang in einem ganz zentralen alltagspraktischen Bereich ist. So hat man etwa in Skandinavien längst die Vorteile des „Seamless Payment“ erkannt: In Schweden werden inzwischen 80 Prozent aller Einkäufe mit Karte oder Smartphone bezahlt – in Deutschland ist das Verhältnis genau umgekehrt. Auch in Finnland, Großbritannien, den Niederlanden und Estland haben bargeldlose Zahlungsformen einen deutlich höheren Stellenwert. In puncto Cashless Future ist Deutschland – ebenso wie Österreich – noch ein Entwicklungsland.
Die Gründe dafür liegen zweifellos auch in kulturellen Mustern: Nach einer YouGov-Umfrage glauben drei von vier Befragten, Bargeld helfe, die Übersicht über die eigenen Finanzen zu erlangen. Fast ebenso viele meinen, Bargeld sei generell sicherer als Kartenzahlung. Doch ob es im Alltag auch praktischer ist, da scheiden sich bereits die Geister: Nur noch rund die Hälfte der über 18-Jährigen stimmt dem zu, 43 Prozent halten Bargeld nicht für die praktikablere Lösung. Die Zahlungsmentalität ist auch eine Generationenfrage: Bei den 25- bis 34-Jährigen begleichen im Supermarkt immerhin schon 37 Prozent die Rechnung mit der Karte, bei den Älteren ab 55 Jahren nur jeder Fünfte (20 Prozent). Der digitale Lebensstil erzeugt einen anderen Umgang mit Geld.
Doch auch strukturelle Hindernisse sorgen dafür, dass sich hierzulande Innovationen im Zahlungsverkehr langsamer durchsetzen. In Schweden sind kleinere Läden, Frisörgeschäfte, Tankstellen und Restaurants nicht mehr verpflichtet, Bargeld zu akzeptieren. An den Türen vieler schwedischer Geschäfte klären Schilder auf: „Wir nehmen kein Bargeld an.“ Wie das geht? Dank mittlerweile weit verbreiteten Mobile-Payment-Systemen wie Zettle by PayPal oder Swish kann man überall per Smartphone-App zahlen, selbst beim Café-Roller im Park oder beim Eisverkäufer auf dem Spielplatz. In Stockholm akzeptieren sogar Obdachlose Kreditkarten. Bereits 2013 wurden dort die wohnungslosen Straßenverkäufer des Kulturmagazins „Situation Stockholm“ von ihrem Arbeitgeber mit Kartenlesegeräten ausgestattet, um leichter Spenden einsammeln zu können.
Es sind keineswegs nur die Big Player des digitalen Business wie PayPal oder Apple Pay, die die Art des Bezahlens revolutionieren. Startups wie SEQR, Cringle, Venmo, Square Cash, SumUp, Boku oder Cashcloud bringen Apps auf den Markt, die es Händlern ermöglichen, einfach und günstig Kartenzahlungen anzubieten, oder die das Smartphone zur digitalen Geldbörse machen. Hinterlegt mit einer Konto- oder Kreditkartenverbindung, kann man so nicht nur sicher und schnell bargeldlos bezahlen. Auch Geld lässt sich mit wenigen Klicks auf dem Handy versenden, um z.B. Schulden aus einer gemeinsamen Restaurantrechnung zu begleichen.
Je technisch versierter die Bevölkerung, je natürlicher der Umgang mit dem Smartphone als Alltagsbegleiter, desto stärker wird sich auch das Zahlungsverhalten weiterentwickeln. Die Digitalisierung ist keine rein technologiegetriebene Entwicklung, sondern vor allem ein sozialer Prozess. Der digitale Wandel rückt den Menschen mehr denn je ins Zentrum. Das Geldsystem und letztlich alle, die daran hängen – vom stationären Handel über Gastronomie bis zu allen anderen Dienstleistern –, müssen sich dem neuen digitalen Lifestyle anpassen. Dank einer Vielfalt an Smartphone-Lösungen fürs mobile Payment wird man letztlich auch keine Plastikkarte mehr benötigen.
Es ist wie mit der Evolution aller technischen Systeme: Je mehr Anwender – ob Händler oder Kunden – die Vorteile des digitalen Bezahlens gegenüber dem Bargeld erkennen, umso stärker wird sich das Seamless Payment durchsetzen. Entscheidend wird es dabei sein, das vergleichsweise hohe Vertrauen der Menschen in den Staat, die Zahlungssysteme, Banken und Behörden weiter zu erhöhen. Letztlich wird sich auch hierzulande die Erkenntnis durchsetzen, dass – entgegen vieler Bedenken – digitales Bezahlen nicht nur absolut sicher und transparenter ist, sondern auch kostengünstiger, da mit geringeren Gebühren verbunden. Vor allem aber sind in einer hochgradig vernetzen und mobilen Gesellschaft die Tools dafür jederzeit und überall verfügbar – anders als Bargeld.