Female Shift: Die Zukunft ist weiblich

In vielen Regionen der Erde sind Frauen bereits besser gebildet und erfolgreicher - und bewirken so einen grundsätzlichen Wandel unserer männerdominierten Welt.

Quelle: Megatrend Dokumentation 2012

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Der Einfluss von Frauen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nimmt stetig zu. Während weltweit zu erkennen ist, dass Frauen den Männern in Sachen Bildung generell den Rang ablaufen, besteht bei den Karrierechancen noch immer eine große Diskrepanz, um nicht zu sagen Ungleichheit. Die Emanzipation der Frauen – also die Steigerung der Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten – schreitet in allen Ländern der Welt voran, äußert sich in den verschiedenen Gesellschaftsformen aber auf unterschiedliche Art und Weise. Die ökonomischen Wandlungsprozesse in Folge der Wirtschaftskrise werden den Megatrend Female Shift in den nächsten Jahren entscheidend vorantreiben.

Auf dem Weg zur Gleichstellung

Der vielbeschworene Gender Gap konnte in den letzten Jahren laut aktuellem Report des World Economic Forums größtenteils vor allem in den Bereichen Bildung und Gesundheit geschlossen werden. Im Global Gender Gap Report wird seit nun sieben Jahren die weltweite Geschlechtergleichstellung untersucht. Faktoren, an denen die Verringerung des Gender Gaps festgemacht wird, sind der Zugang zu Gesundheitsversorgung, der Zugang zu Bildung, die politische Beteiligung und wirtschaftliche Gleichstellung. Selbst in Entwicklungsländern genießen Frauen heute genauso wie Männer eine höhere Schulbildung und sind berufstätig. Doch die Geschlechterkluft ist in puncto Führungspositionen, Verdienstmöglichkeiten und Karrierelevel noch immer stark spürbar.

Die Politik könnte eine wichtige Rolle in der Weiterentwicklung des Megatrends Female Shift spielen – mit einem vernünftigen Beschluss zur Frauenquote oder dem weiteren Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, doch steht sie sich momentan noch selbst im Weg und beharrt zu oft auf dem Status quo, was die kürzlich verabschiedete „Herdprämie“ verdeutlicht. Die Feminisierung der Gesellschaft wird heute nicht mehr nur durch einen soziokulturellen Wertewandel vorangetrieben, sondern vor allem durch ökonomische Veränderungen und Neuorientierungen. Die wichtigsten Treiber dieser Entwicklung werden im Folgenden kurz beleuchtet.

Bessere Bildungschancen

Junge Frauen haben in Sachen Schulabschluss in Deutschland ganz klar die Nase vorn. Der größte Prozentsatz der Schülerinnen schließt die Schulbildung mit (Fach-)Hochschulreife ab (38,2 Prozent). 33 Prozent der jungen Frauen besitzen einen Realschulabschluss, und nur 15,9 Prozent geben sich mit einem Hauptschulabschluss zufrieden. Die jungen Männer sind dagegen genügsamer im Bildungsdurst: 24,5 Prozent besitzen in Deutschland nur einen Hauptschulabschluss. Diese Entwicklung zeigt sich schon früh: Mädchen werden häufiger frühzeitig eingeschult (59,7 Prozent), wohingegen 61,9 Prozent der Jungen verspätet die erste Klasse besuchen.

Weltweit beobachtet die UNESCO einen generellen Anstieg derer, die eine weiterführende Schule besuchen: Seit 1970 bis 2009 ist die globale Gross Enrollment-Ratio im Durchschnitt von 48 auf 69 Prozent bei den Männern und von 39 auf 47 Prozent bei den Frauen angestiegen. Die größten Zuwachsraten in der sekundären  Frauen sind weltweit klar die Bildungsgewinner Schulbildung der Mädchen verzeichnen die süd-, west- und ostasiatischen und die arabischen Staaten. In Qatar, Libyen, Lesotho und Surinam sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern besonders groß – zugunsten der weiblichen Schülerinnen. Wenn die jungen Frauen Grund- und weiterführende Schule erfolgreich absolviert haben, sind sie nicht mehr zu bremsen. Der „UNESCO World Atlas of Gender Equality in Education“ zeigt klare Vorteile für Frauen im tertiären Bildungsbereich, nicht mehr nur in Nordamerika und Westeuropa, sondern auch in Ostasien und dem Pazifikgebiet sowie in Lateinamerika und der Karibik. Frauen sind weltweit klar die Bildungsgewinner.

Mehr Wahlmöglichkeiten in der individualisierten Gesellschaft

Emanzipation heißt nicht Gleichheit, sondern Freiheit der Wahl. Noch nie hatten wir eine solch ambitionierte Frauengeneration wie heute. Frauen sehen sich selbst als emanzipiert und selbstbewusst – und das über alle Generationen hinweg. Das gaben 50 Prozent der 14- bis 29-Jährigen bei der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse an (im Vergleich 1990: 38 Prozent). Die 30- bis 49-Jährigen sind gar noch ein Stück weit selbstbewusster, nämlich zu 54 Prozent (1990: 40 Prozent). In der Frauengeneration 50plus hat sich das Selbstbewusstsein seit 1990 fast verdoppelt: von 25 Prozent der 50- bis 64-Jährigen auf 49 Prozent. Im Schnitt möchte circa die Hälfte aller Frauen bis 64 Jahre durch einen Beruf unabhängig sein. Männer übrigens wünschen sich ebenfalls selbstbewusste Frauen als Partnerinnen: Für knapp 50 Prozent der jungen Männer zwischen 16 und 29 Jahren ist das Selbstbewusstsein der Partnerin eine sehr wichtige Eigenschaft, bei den über 30-Jährigen sind es immerhin noch gut 34 Prozent.

Frauen auf der ganzen Welt sind davon überzeugt, dass sie bessere Chancen als ihre Mütter haben. Die Nielsen-Studie „Women of Tomorrow“ belegt aktuell das erstarkte Selbstbewusstsein der Frauen in der westlichen Welt, aber auch in den Emerging Markets. Knapp 80 Prozent aller Frauen in entwickelten Märkten sind der Meinung, dass sich die Rolle von Frauen verändern wird, wobei 90 Prozent davon an eine positive Entwicklung glauben. „Die Frauen erzählten Nielsen, dass sie sich befähigt fühlen, ihre Ziele zu erreichen und das zu bekommen, was sie sich wünschen, aber gleichzeitig verursacht dieses Level an Selbstbewusstsein zusätzlichen Stress“, erklärt Susan Whiting, stellvertretende Vorsitzende von Nielsen. Bei wichtigen Entscheidungen möchten die befragten Frauen in den entwickelten Märkten die Verantwortung für alle Fragen, von Kinderbetreuung bis zu größeren Kaufentscheidungen, teilen. In den Schwellenländern gibt es weiterhin noch einige traditionelle Rollenverteilungen, aber der Wunsch nach geteilter Verantwortung ist auch dort vorhanden. Männer in den Schwellenländern werden immer noch als letzte Instanz beim Kauf von Unterhaltungs- und Haushaltselektronik sowie Autos gesehen, während Frauen die Bereiche Gesundheit und Kosmetika sowie sämtliche Kinderbetreuungsfragen fest im Griff haben.

Der Individualisierungsgrad einer Gesellschaft zeigt sich besonders an folgendem Indiz: Während mehr als die Hälfte der Frauen in den Schwellenländern zusätzlich verdientes Geld in den nächsten fünf Jahren in die Bildung ihrer Kinder investieren möchten, sind es in den westlichen Ländern gerade mal 16 Prozent. Hier wird in das eigene Wohlbefinden investiert: in Urlaub (58 Prozent), Lebensmittel (57 Prozent) oder die Tilgung von Schulden (55 Prozent). Urlaub spielt dagegen in den aufstrebenden Märkten eine untergeordnete Rolle. Frauen sind weltweit klar die Bildungsgewinner.

Neue Rollen, neue Werte

Das gesteigerte Selbstbewusstsein der Frau wirkt sich natürlich auch auf die Partnerwahl bzw. die Art und Weise, wie Beziehungen geführt werden, aus. Der Wandel der Familie und die Neujustierung von Geschlechterrollen führen Die Codierung von Intimität und Romantik verschiebt sich zu Verschiebungen im Spannungsfeld von Liebe, Sex und Partnerschaft. Nicht nur die Rollenbilder, auch die Geschlechteridentitäten verschwimmen an den Rändern. Die Codierung von Intimität und Romantik verschiebt sich. Neue Arrangements für Sexualität und Partnerschaft drängen aus den Nischen in den Mainstream. Living apart together – laut einer aktuellen Allensbacher Analyse lebt jedes achte bis neunte Paar in Deutschland getrennt, vor allem junge Paare (43 Prozent der 16- bis 29-Jährigen).

Geheiratet wird heutzutage immer später, wenn überhaupt: Lag im Jahr 1970 der Anteil verheirateter Frauen unter 30 Jahren noch bei 43 Prozent, sind es heute nur noch 11 Prozent. Selbst seit 1990 ist der Anteil um zwei Drittel gesunken. Denn Heirat ist schon lange keine Voraussetzung mehr, um Kinder zu bekommen. Kinder alleine zu erziehen gehört heute in Deutschland schon zur Normalität: 1,6 Millionen Alleinerziehende gibt es, das entspricht einem Anteil an allen Familien von 19,4 Prozent (2010), Tendenz seit 15 Jahren steigend. 90 Prozent aller Alleinerziehenden sind Frauen. Zudem steigt auch die Anzahl der Frauen an, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden: Unter den Frauen, die 1970 geboren sind, haben mehr keine Kinder (26 Prozent) als ein Kind (23 Prozent).

Frauen in der Männerwelt

Frauen rücken mit den gesteigerten Wahlmöglichkeiten auch in einstige Männerdomänen vor – sei es bei der Berufswahl oder der Freizeitgestaltung. Junge Frauen, vor allem Akademikerinnen, erobern einst männerdominierte Berufsfelder als Ärztinnen, Rechtsanwältinnen oder Wirtschaftswissenschaftlerinnen. Der Studiengang Humanmedizin wird von gut 61 Prozent Studentinnen besucht, vor 20 Jahren waren es noch knapp 45 Prozent. Auch der Anteil der Frauen, die danach als Ärztinnen praktizieren, ist in diesem Zeitraum um circa zehn Prozent auf 43 Prozent angestiegen.

Nicht zuletzt durch die Fußball-WM 2006 in Deutschland verzeichnen wir ein verstärktes Interesse am einstigen Männersport schlechthin auch bei Frauen. Seit Jahren steigen die Zahlen weiblicher Mitglieder beim Deutschen Fußball Bund. 1,08 Millionen Fußballerinnen zählt dieser 2012, das ist ein Anstieg um knapp 30 Prozent seit dem Jahr 2000.

Veränderte Geschlechterrollen: der Neue Mann

Viele Frauen finden inzwischen ihre Selbstverwirklichung (auch) im Beruf. Für die Männer bedeutet das, nicht nur zu akzeptieren, dass ihrer Partnerin der Beruf wichtiger als erwartet ist, sondern auch festzustellen, dass sie bei der Arbeit für die Familie mehr anpacken müssen. Markus Theunert, ehemaliger Männerbeauftragter des Kantons Zürich, bringt das Dilemma in einem Interview mit Brand eins auf den Punkt: „90 Der neue Vater ist das fehlende Stück der Emanzipation Prozent der Männer äußern einer repräsentativen Umfrage des Kantons St. Gallen zufolge den Wunsch, Teilzeit zu arbeiten, auch um mehr für die Familie da zu sein. Aber nur 13,4 Prozent tun es. Es gibt also einen enormen Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit.“ Wie groß die Diskrepanz in der Aufgabenteilung ist, zeigt die Tatsache, dass selbst Mütter, die Vollzeit arbeiten, zu 53 Prozent das meiste der Familienarbeit erledigen. Bei den Männern hingegen sind es gerade einmal zwei Prozent.

Die Autorinnen des Buches „Macho Mamas – Warum Mütter im Job mehr wollen sollen“ kommen zu einer ernüchternden Erkenntnis: „Wir Frauen der Generation Golf studierten und arbeiteten, wir verdienten Geld und Titel, wir schliefen, wo und mit wem wir wollten, wir verhüteten und trieben ab. (...) Dann wurden wir Mütter. Und mit einem Schlag glich unser Alltag demjenigen unserer Großmütter.“ Während bei Frauen generell ein Umdenken stattfindet, was Mutterschaft betrifft, und man sich von der Vorstellung der Rund-um-die-Uhr-Mutter verabschiedet, und während sich auch die Arbeitswelt ein Stück weit von der Präsenzpflicht in Unternehmen entkoppelt, bleibt der Mann der Störfaktor der Modern Moms: „Der neue Vater ist das fehlende Stück der Emanzipation.“ In Zukunft wird es nicht mehr in erster Linie darum gehen, die Rolle der Frau zu stärken, sondern den Männern die neue Rolle der Frauen nahezubringen und ihnen Strategien aufzuzeigen, wie sie mit der „Female Power“ umgehen können.

Elternzeit für Männer

Inzwischen existieren viele Möglichkeiten und Einrichtungen für Frauen, um Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. Doch Männer haben ganz ähnliche Work-Life-Bedürfnisse. Das ergab eine Reihe von Untersuchungen des Boston College Center for Work & Family. Ein Teil der Männer überdenkt heutzutage ihre Karrierepläne nach der Geburt ihres Kindes und steckt beruflich zurück, um ein „guter Vater“ zu sein. Guter Vater bedeutet dabei für die meisten, dem Kind Liebe und emotionale Unterstützung zu geben, am Leben des Kindes aktiv teilzuhaben und ein Lehrer, Coach und Vorbild zu sein. 99 Prozent der 1000 befragten arbeitenden Väter gaben an, dass die Erwartungen ihrer Chefs nach der Geburt des Kindes genauso hoch oder sogar gestiegen waren. 65 Prozent sind überzeugt, dass beide Elternteile sich gleichberechtigt um die Kindererziehung kümmern sollten, wobei 70 Prozent zugaben, dass es in der Realität anders aussieht. Dass Männer sich zu gleichen Teilen an der Kindererziehung beteiligen wollen, ist in vielen Bereichen der Gesellschaft noch nicht angekommen und akzeptiert.

Dass Männer gar zuhause bleiben, um der Frau im Top-Job den Rücken zu stärken, ist auch keine Seltenheit mehr. Sieben der 18 Frauen, die derzeit Chefin eines Fortune-500-Unternehmens sind, haben oder hatten einen Hausmann. Jeder Väter wachsen immer mehr in die veränderte Rolle vom Versorger zum Fürsorger hinein vierte Mann (25,3 Prozent) in Deutschland nimmt inzwischen Elternzeit in Anspruch. Zwar blieben sie in der Regel nur die Mindestzeit von zwei Monaten zuhause, damit sich die Bezugszeit für das Elterngeld des Paares verlängert. Dennoch zeigt sich, dass auch Väter immer mehr in die veränderte Rolle vom Versorger zum Fürsorger hineinwachsen.

Womanomics: Die Wirtschaft wird weiblich

Noch immer sieht sich die Mehrheit der Frauen in Deutschland am liebsten in der Mutterrolle, aber nur 14 Prozent wollen dabei das Heimchen am Herd sein, das fulltime über Kind und Kegel wacht. 59 Prozent sehen sich als Mutter mit einer Teilzeitbeschäftigung, 18 Prozent gar als voll berufstätige Mutter. Kind UND Karriere ist der größte Wunsch der meisten Frauen.19

Die Tatsache, dass immer mehr Frauen weltweit einem Beruf nachgehen, stellt Frauen vor die Frage: Wie vereinbaren sie Beruf und Familie? Waren 1960 noch 90 Prozent der Männer und nur 47 Prozent der Frauen in Deutschland berufstätig, nähern sich die Geschlechter über die Jahre immer mehr an. 2011 sorgen nur noch 81 Prozent der Männer für den Unterhalt, aber inzwischen 71 Prozent der Frauen.20 In der EU stieg die Erwerbstätigenquote der Frauen seit 1992 um gut zehn Prozent an und liegt 2011 bei 62,3 Prozent. Spitzenreiter sind hierbei die skandinavischen Länder mit einer Quote über 75 Prozent.21 Obwohl also in diesen Ländern drei von vier Frauen arbeiten, ist die Geburtenrate dort erstaunlich hoch. Provokant formuliert: Weibliche Erwerbsarbeit fördert ganz offensichtlich die Fertilität! In Island liegt die Geburtenziffer bei 2,2 Kindern pro Frau, in Schweden, Norwegen und Dänemark liegt die Durchschnittskinderzahl bei knapp unter 2 (im Vergleich Deutschland: 1,4).22 Der Grund dafür sind die verbesserten Beschäftigungsoptionen für Mütter mit kleinen Kindern in diesen Ländern.

Immer mehr Frauen streben zudem Positionen in den Führungsebenen von Unternehmen an. 30 Prozent der vier Millionen Personen in Führungspositionen der Privatwirtschaft in Deutschland sind weiblich. Das entspricht einem Anstieg von acht Prozent seit 2001. Im öffentlichen Dienst liegt der Frauenanteil gar bei 53 Prozent, insgesamt sind 37 Prozent der Führungskräfte in Deutschland weiblich. Weltweit liegt Deutschland laut einer Studie der Unternehmensberatung Booz & Company auf Platz acht in der Statistik der Länder mit den meisten Frauen im Top-Management. Australien führt das weltweite Ranking an, gefolgt von Schweden, Norwegen und den Niederlanden.

Ausgeglichenes Geschlechterverhältnis fördert die Wirtschaft

Und doch besteht in Deutschland noch ein großer Nachholbedarf in Sachen Gender Mainstreaming in der Wirtschaft. Obwohl der Gender Pay Gap in den letzten Jahren stetig abgenommen hat, sind Frauen bei der Bezahlung noch immer benachteiligt: Die Verdienstlücke bei Führungskräften nahm seit 2001 um neun Prozent ab und liegt jetzt bei 21 Prozent. Der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern auf dem gesamten Arbeitsmarkt liegt bei 23 Prozent. Das Plädoyer für ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis hat ganz klare wirtschaftliche Vorteile, wie der Bericht von Booz Das männlich-industrielle Wachstumsmodell ist an seine Grenzen gelangt & Company aufzeigt: Die deutsche Wirtschaftsleistung könnte um vier Prozent steigen, wenn das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ausgeglichen wäre. Provokanter formuliert es Petra Jenner, Geschäftsleiterin von Microsoft in der Schweiz, in ihrem Buch „Mit Verstand und Herz“: „Unsere Wirtschaft wird langfristig ausbrennen und scheitern, wenn sie weiter vorwiegend von Männern geführt wird!“ Sie fordert eine konstruktive Gruppenintelligenz im Unternehmen, indem eine Balance geschaffen wird zwischen weiblichem und männlichem Führungsstil.

Letztlich werden es gar nicht so sehr die soziokulturellen Treiber sein, sondern ökonomische Interessen, die den Megatrend Female Shift in Zukunft noch tiefer in der Gesellschaft verankern. Der Female Shift vollzieht sich eher aufgrund der wirtschaftlichen Strukturkrise sowie der Erschließung noch nicht genutzter weiblicher Arbeitskräftepotenziale im Zug der Alterung der Gesellschaften als durch „freiwillige“ Wertewandelsprozesse. Womanomics beschreibt diesen Machtzuwachs der Frauen in einem sich wandelnden Wirtschaftssystem. Das männlich-industrielle Wachstumsmodell ist an seine Grenzen gelangt: Indem die traditionelle Industrieproduktion in Schwellenländern abwanderte oder vollautomatisiert wurde, gerieten viele klassischmännliche Berufsbilder unter Druck. Mit der Finanzkrise wurde klar, dass die Wachstumsraten des letzten Jahrzehnts auf männlichem Risikoverhalten beruhten. Das Problem des strukturellen Wachstumsdefizits in den westlichen Ländern kann nur durch eine andere Rolle der Frauen und eine neue Führungskultur gemildert werden.

Servicemarkt Familie

Die Entscheidung für Kinder wird von Frauen heute immer bewusster gefällt. Dadurch eröffnen sich Potenziale rund um die neuen Familienmärkte: von den Angeboten zur Partnervermittlung über die Familienplanung bis hin zu Zeitspar-Services für gestresste Mommys und Daddys. Wenn beide Elternteile berufstätig sind, gilt es geschicktes Organisationstalent an den Tag zu legen und Aufgaben an professionelle externe Dienstleister zu delegieren. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft sind in Deutschland 4,5 Millionen Haushaltshilfen beschäftigt. Diese zeitsparenden Deep-Support-Märkte werden sich in den nächsten Jahren immer weiter professionalisieren.

Die Liebe fürs Leben zu finden wünscht sich heute noch immer der Großteil der Menschen weltweit. Und doch erscheint es ihnen immer schwieriger in einer Welt der scheinbar unbegrenzten Wahlmöglichkeiten. Sieben Millionen Menschen in Deutschland suchen einen Partner online – viele nach einer Scheidung oder Trennung. Online-Dating ist eine zeitsparende Abkürzung der Liebe. In China zählt die Partnersuche über Online-Singlebörsen zu den bevorzugten Wegen sowohl bei Frauen (78 Prozent) als bei Männern (81 Prozent). Gerade in Ländern, die ein unausgeglichenes Geschlechterverhältnis aufweisen (wie China oder Indien), entstehen in den kommenden Jahren regelrechte Boom-Märkte der Kontaktanbahnung und Partnervermittlung.

Unterstützungsmarkt Neue Männer

Männer sind durch die Gleichstellungsbemühungen in Beruf, Bildung und Privatleben „aufgefordert“, ihre Rollen, Wünsche und Bedürfnisse den veränderten Situationen in Privatleben und Beruf anzupassen. Das schafft gehörigen Anpassungs- und Konformitätsdruck und führt zu Konflikten und Schwierigkeiten. Sie brauchen im wahrsten Sinne Hilfe: sei es bei der richtigen Auswahl des Hemds für den Geschäftstermin, der richtigen Temperatur des Babyfläschchens oder bei der Zubereitung Kuratierungs- und Unterstützungsmärkte machen aus dem gestressten einen „Neuen“ Mann des Abendessens. Produkte und Dienstleistungen müssen sich stärker an den neuen Lebensrealitäten der Männer (Vaterschaft, Hausmann etc.) orientieren. Auch die Berufswelt muss darauf reagieren und männliche Mitarbeiter auch als Väter mit Fürsorgepflichten und -wünschen sehen. Untersuchungen belegen, dass sich Maßnahmen wie Unterstützung bei Kinderbetreuung, Mutter- und Vaterschaftsurlaub, Teilzeit- und Telearbeit auszahlen. Die unmittelbaren positiven Effekte übersteigen die Kosten für die Maßnahmen nicht nur, sondern fördern auch die Motivation und Loyalität der Mitarbeiter.

Neue Strategien für die feminisierte Gesellschaft

In den Bereichen Gesundheitsversorgung sowie Bildung haben Frauen und Männer größtenteils gleiche Möglichkeiten und Chancen. Die Frauen gelten weltweit sogar als Bildungsgewinner. Immer mehr Frauen sind berufstätig und streben aufgrund ihrer exzellenten Ausbildung vermehrt auch in Führungspositionen. Diesen Machtzuwachs der Frauen in einer sich weltweit wandelnden Gesellschaft beschreiben wir als Womanomics. Der Female Shift verändert auch die Lebenswelten der Männer. In Zukunft gilt es den „Neuen Männern“ Strategien aufzuzeigen, um mit der Feminisierung der Gesellschaft adäquat umzugehen.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Megatrend Gender Shift

Megatrend Gender Shift

Die tradierten sozialen Rollen, die Männern und Frauen in der Gesellschaft zugeschrieben werden, verlieren an gesellschaftlicher Verbindlichkeit. Das Geschlecht verliert seine schicksalhafte Bedeutung und bestimmt weniger über den Verlauf individueller Biografien. Veränderte Rollenmuster und aufbrechende Geschlechterstereotype sorgen für einen radikalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer neuen Kultur des Pluralismus.

Dossier: Lebensstile

Dossier: Lebensstile

Der Megatrend Individualisierung hat dazu geführt, dass sich Menschen nicht mehr an Cluster-Codes halten: Im 21. Jahrhundert wechseln sie zwischen Clustern nach situativen Anlässen, mehrmals pro Tag. Heutige Lebensstile definieren sich deshalb nicht mehr nach äußeren Zuschreibungen, sondern nach Wünschen und Werten.

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