„Management ist die Gestaltung und Lenkung komplexer sozialer Systeme“, postulierte Managementpapst Fredmund Malik bereits 2005. Heute ist klar: Qualifizierte und engagierte Menschen wollen ihr Leben weder gestaltet noch gelenkt bekommen. In selbst organisierten Strukturen sind Modelle von Vorgabe und Kontrolle ebenso obsolet wie paternalistische Fürsorge. Ins Zentrum rückt deshalb das Menschenbild, das man als Führungskraft hat.
Das Transformationsduett: Pioniergeist und Empathie
Erfolgreiche Digitalisierung verlangt eine unternehmerische Neuorientierung, die vor allem von zwei Einstellungen geprägt ist:
1. Pioniergeist
Es ist immer das Gleiche: Während in vollmundigen Reden die disruptiven Geschäftsmodelle der digitalen Ökonomie bewundert werden, reicht der Mut in der eigenen Organisation für einen Durchbruch nicht aus. Statt über radikal neue Wertschöpfung auch nur nachzudenken, wird marginalen Produkt- und Prozessverbesserungen der Vortritt gelassen. Oder, fast noch schlimmer: Innovation wird an ein neu gegründetes Startup ausgegliedert. Dann dürfen Mitarbeiter im coolen Coworking Space vor sich hinspinnen – doch wie die im „Digital Hub“ entwickelten Ideen wieder zurückfließen und anschlussfähig werden sollen, bleibt unbeantwortet.
Früher war Innovation Aufgabe einer hermetisch abgekapselten Forschungs- und Entwicklungsabteilung, in der Experten vor der Außenwelt geschützt wurden. Heute werden Querdenker nach Berlin oder ins Silicon Valley abgeschoben, um den eigenen Betrieb vor der Sprengkraft ihrer Ideen zu schützen. Das muss sich ändern, wenn Unternehmen im Wettbewerb um Wachstum und Marktanteile an die Spitze wollen. Führungskräfte brauchen jetzt vor allem eines: mehr Mut und mehr Bereitschaft, die Zukunft aktiv zu gestalten.
Mutige, auch mal riskante Entscheidungen treffen, Neues ausprobieren – das war noch nie so einfach wie im digitalen Zeitalter. Die Maßstäbe von gestern zählen immer weniger, die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Unternehmerischer Mut wird deshalb in vielen Handlungsfeldern dringend gebraucht. Er lebt von der Erkenntnis, dass wirtschaftliches Handeln immer risikobehaftet ist – und von der Bereitschaft, dieses Risiko aktiv zu gestalten. Der Unterschied zwischen einer fremd- und einer selbstbestimmten Zukunft besteht darin, ob Chancen vorbeiziehen oder genutzt werden. Und was Leadership von Management unterscheidet, ist die Fähigkeit, mutig zu denken und zu handeln.
2. Empathisches Change Management
Veränderungen und Umwälzungen sind in einer vernetzten Welt an der Tagesordnung. Was die einen als Befreiungsschlag aus der Routine erleben, erschüttert andere in ihrem Streben nach Orientierung, Sicherheit und Stabilität. Daher reicht es nicht aus, die digitale Zukunft zu proklamieren und zu erwarten, dass alle Mitarbeiter sofort jubelnd voranschreiten.
Erfolgreiche Führungsarbeit bedeutet, einen Rahmen zu schaffen, der es Mitarbeitern ermöglicht, positiv mit den Dynamiken des digitalen Wandels umzugehen – Zukunft zu gestalten, anstatt gestaltet zu werden. Führungsarbeit darf deshalb nicht länger versuchen, Menschen in einem falsch verstandenen System aus Fehlervermeidung und Kontrolle in vermeintlicher Sicherheit zu wiegen. Sondern sie soll dabei unterstützen, selbstständig und mutig zu sein – mit dem Ziel, eine Kultur zu schaffen, in der Mitarbeiter auf allen Ebenen Verantwortung übernehmen. Dies zu fördern und zu fordern bringt alle weiter.
Dafür brauchen Menschen ein verbindendes Narrativ, das glaubwürdig erzählt, warum der Wandel wichtig ist, welche Freiheitsgrade dafür bereitstehen und welche Richtung eingeschlagen werden soll. Dieser Rahmen entsteht auf der Basis der Unternehmensgeschichte und -kultur. Um wirksam zu sein, muss er Teil des Betriebssystems des Unternehmens werden.
Solange aber auf Führungsebene Bullshit-Bingo gespielt wird, erleben Mitarbeiter den kommunikativen Austausch als Zeit- und Energievergeudung. Erst wenn tatsächlich authentisch agiert und kommuniziert wird, wenn soziale Kompetenz spürbar wird, ergibt sich eine tragfähige Beziehung auf Augenhöhe. Es braucht Empathie, um Menschen auf dem Pfad ins digitale Morgen mitzunehmen, zu unterstützen und zu stärken.
Re-Form statt Ent-Führung
Laut dem Neurobiologen Gerald Hüther besteht die wichtigste Führungsaufgabe darin, alles dafür zu tun, „dass Mitarbeiter Freude daran haben, Arbeitsprozesse selbstverantwortlich zu übernehmen“. Die Erwartungen an Führungskräfte bleiben also hoch – und steigen ständig. Erwarten wir das Unmögliche?
Sicher ist: Transformationale Führung erfordert mehr als einmalige Veränderungsimpulse, die Lernphase hört nie auf! Dazu gehören auch Verunsicherung und Irritation. Für zukunftsorientierte Leader ist das keine Drohbotschaft, sondern eine Selbstverständlichkeit. Wer Sicherheit und Klarheit sucht, meint damit nicht selten Routine. Viele möchten, dass sich etwas ändert – aber wenige wollen sich selbst ändern. Das hat nichts mit organisatorischer Führung zu tun. Das ist schlichtweg Bürokratie, die langweilige Schwester von Leadership, die als Einzelkind nicht nur Stillstand in Unternehmen schafft, sondern Niedergang und Tod.