Algorithmus
An solchen Beispielen zeigt sich die neue Form des Entscheidungsverfahrens im Kontext einer digitalisierten Kultur: durch Algorithmen. Sie helfen dabei, mit der schieren Menge an Information umzugehen und sie für die menschliche Wahrnehmung erschließbar zu machen. Sie filtern, was unserem Profil und Verhalten entsprechend interessant und wichtig ist. Durch den Prozess der Selektion von profilierten Fragmenten (Information) erheben sich die Algorithmen zur wesentlichen Grundlage gemeinschaftlichen Handelns und sind damit fester Bestandteil dessen, was Kultur prägt. Die Autorenschaft der Algorithmen ist Fluch und Segen zugleich: Wer sie schreibt, entscheidet in direktem Sinne darüber, was wir wahrnehmen. Der Effekt ist ein fragiles, anfälliges System, weil wir in unserer Meinungs- und Kulturbildung auf eine neue Weise abhängig werden von einigen wenigen Big Playern. Werden die Algorithmen etwa zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung manipulierbar, steuern wir auf eine Zeit der Post-Demokratie zu. Zwar kann jeder Einzelne mehr denn je auf Information zugreifen, doch die algorithmisch eingedampfte Heterogenität der Sachverhalte wird fremdbestimmt stark reduziert. Der berühmte Satz "Wissen ist Macht" würde dann umgedreht zu "Macht ist Wissen".
Was bleibt für die G20-Digitalisierunsagenda?
Nichts. Beschäftigen sich die G-20-Digitalisierungsminister beim ersten Treffen mit mehr Regulierungen, setzen sie den ersten Schritt in die falsche Richtung. Es ist die Reaktion eines alten Systems, das den grundlegenden Wandel nicht erkennt oder anerkennt. Die beschriebenen Effekte der Digitalisierung sind nicht durch Weißbücher oder Regulierungen beeinflussbar, und sie
Es kann nur darum gehen, der durch Selbstreferenz begünstigten Blasenbildung entgegenzuwirken.
sind keine Aufgabe für Digitalisierungsexperten. Auch Maßnahmen in der Primär- oder Sekundärbildung greifen zu kurz. Denn die Grundvoraussetzung für den Umgang mit komplexen Umwelten sind die Suche nach Gemeinschaft für individuelle Orientierung und, damit verbunden, die Nutzung von Algorithmen als Selektions-Werkzeug. Es kann also nur darum gehen, der durch Selbstreferenz begünstigten Blasenbildung entgegenzuwirken. Durch Radikalisierung unseres demokratischen Konzepts etwa, das mehr Partizipation zum permanenten Standard und zur Forderung macht, anstatt nur alle vier Jahre beim Urnengang. Mehr Partizipation...
- hat das Potenzial, die Heterogenität der Fragezeichen und Tendenzen transparent werden zu lassen.
- bewirkt, dass sich Menschen intensiver mitteilen als nur durch Likes, Follows und Unterschriften.
- führt dazu, dass Menschen nicht nur durch Algorithmen zusammenfinden, um sich selbst zu bestätigen, sondern im Gegenteil: mehr miteinander – und auch mit Andersdenkenden – in Kontakt kommen.
- erlaubt uns, das zu tun, was Menschen am besten können: das Erzeugen von persönlicher Berührung und Resonanz – auch technisch unterstützt, aber vor allem emotional.
Nur so wird das möglich, was künftig immer wichtiger wird: das mutige, gemeinschaftliche und visionäre Angehen der gesellschaftlichen Herausforderungen, vor die uns die Digitalisierung stellt.