Ein Gespenst geht um in Wirtschaft und Gesellschaft. Es raunt auf den Konferenzen, es bringt reihenweise Sonderbeilagen in den Wirtschaftszeitungen hervor, es gebiert ganze Heerscharen von Beratern, die mit den immer gleichen Charts den Unternehmen "Digitalisierung“ verordnen. Die Sprache ist alarmistisch bis euphorisch: Kein Stein bleibt auf dem anderen! Die Möglichkeiten sind grenzenlos! Die vierte industrielle Revolution ist in vollem Gange! Digitale Disruption überall!
Digitalisierung? Wie bitte? Das soll etwas Neues sein? Ist nicht das Digitale längst Alltag, spätestens seit wir Bankgeschäfte im Internet abwickeln und E-Mails unterwegs auf unseren Smartphones lesen? Seit 40 Jahren verändert die Computerisierung Produktions- und Verwaltungsprozesse. Früher hieß das "EDV“, elektronische Datenverarbeitung. Seit 20 Jahren existiert das Internet – und immer noch entdecken Unternehmen Social Media als Werbeplattform: "Man müsste mal was auf Facebook machen ...“
Worum geht es also wirklich in dieser aufgeregten Propaganda eines neuen unerhörten Zeitalters?
Wer heute über Digitalisierung spricht, kommt nicht an der Beobachtung vorbei, dass der digitale Wandel mitten in einer Krise steckt – in einer gesellschaftlichen Krise. Die Frontlinie verläuft ausgerechnet
Die Zeiten der bedenkenlosen Netzaffinität sind vorüber. Es entwickelt sich eine Gegenbewegung, eine digitale Revision
dort, wo das Digitale das Alltagsleben am tiefsten verändert hat: in der Kommunikation. "Das Internet ist kaputt“, konstatierte schon 2014 Deutschlands großer Digital-Indianer Sascha Lobo. Damit meinte er die Exzesse von Hass und Niedertracht, die sich in den Untiefen des sozialen Netzes epidemieartig verbreitet hatten.
Einst als Wahrheits-, Demokratie- und Wissensmedium gefeiert, scheint sich "das Netz“ in eine gigantische Black Box verwandelt zu haben, in der Neurosen und Narzissmen, Shitstorms und persönliche Vernichtungsfeldzüge blühen. Zwischen Katzenbildern, Pornos und Unfall-Schadenfreude-Clips wuchern Verschwörungstheorien, Hysterien und Gerüchte. Roland Emmerich, Hollywoods Katastrophen-Regisseur, sagte in einem Interview über das Leben vor 20 Jahren: "Es war noch eine einfachere Welt. Unsere Welt ist irre kompliziert geworden. Ich glaube auch, dass das Internet nicht unbedingt gut für uns ist. Dass jeder sagen kann, was er sagen will, ohne dafür geradestehen zu müssen, weil es ja anonym ist.“.
Der Soziologe Hartmut Rosa hat in seinem Schlüsselwerk "Resonanz“ einen Deutungsansatz dafür geliefert, wie und warum das Netz solche zerstörerischen Wirkungen zeigen kann. Das soziale Internet, das wir auf dem Smartphone jederzeit und überall mit uns herumtragen, macht süchtig, weil es uns an unserem wundesten Punkt berührt: unserer Angst, nicht gehört zu werden. Es packt Menschen an ihrem emotionalen Grundbedürfnis nach Resonanz – nach einer wirkmächtigen Beziehung zur Welt. Deshalb funktioniert das Netz wie eine gewaltige Echokammer unserer Wünsche, Träume und Gefühle. Es wird zu einem Verstärker der Ängste und Aggressionen, die bislang unbenannt und ungeäußert blieben. Das Internet bildet eine Art Meta-Resonanzmaschine, die alle unterdrückten Gefühle verstärkt, zuspitzt und extremisiert.