Herr Katzmair, Sie forschen intensiv zu Netzwerken innerhalb der Wirtschaft. Wie wirkt sich der Einfluss der Digitalisierung hier aus?
Harald Katzmair: Die Digitalisierung mit ihren flimmernden Taktraten verkürzt den wahrgenommenen „Schatten der Zukunft“ von uns allen. Beziehungen benötigen zum Aufbau von Vertrauen einen Zukunftshorizont, das Gefühl eines gemeinsamen Weges. Der fehlt aber auch in der Wirtschaft immer mehr: Was zählt, ist das Hier und Jetzt, das aktuelle Quartal. Über die Blockchain können künftig Transaktionen abgewickelt werden, ohne dass wir einander persönlich vertrauen müssen. Das hat massive Auswirkungen auf die Beziehungskulturen.
Welche Arten von Netzwerken beobachten Sie in der aktuellen Wirtschaft und wie funktionieren sie?
Katzmair: Generell erleben wir eine Zunahme an Fragmentierung: Beziehungen sind immer transaktionaler
Strategiefähige, resiliente Netzwerke sind radikal zentralisiert und dezentralisiert zugleich
und kürzer getaktet, Quartalsergebnisse werden wichtiger als der Aufbau von Beziehungen zur nationalen Politik oder Zivilgesellschaft – insbesondere, wenn die eigentlichen Zukunftsmärkte in China liegen. Teils absurde Compliance-Regeln tragen ihr Übriges bei zur Auflösung von Beziehungskulturen. Umgekehrt können damit kleine, hoch organisierte und meist um einzelne Personen gruppierte Netzwerke in das Beziehungsvakuum stoßen und durch ihre hohe Koordinationsfähigkeit leichter als früher an Macht gewinnen.
Netzwerke können sowohl genutzt werden, um individuelle Interessen zu stärken, als auch, um gemeinsam etwas Größeres durchzusetzen. Dominiert eine dieser beiden Funktionen im digitalen Zeitalter?
Katzmair: Die Bildung von Netzwerken wird immer beides beinhalten: einerseits machtorientierte „Seilschaften“ mit dem klaren Ziel, andere vom Ort der Macht zu verdrängen, andererseits die Herstellung von etwas, das alleine nicht gelingen kann – eine neue Idee, ein neues Produkt, eine gesellschaftliche Innovation. In einem Fall geht es darum, sich selbst Mehrwert anzueignen, im anderen, diesen Mehrwert zuallererst zu schöpfen.
Wie müssen sich Netzwerkbeziehungen im digitalen Zeitalter ändern, um einen Mehrwert zu generieren?
Katzmair: Das hat mit dem digitalen Zeitalter wenig zu tun. Um Mehrwert zu schöpfen, benötigt es die Fähigkeit, Unterschiedlichkeit und Variabilität so zu rekombinieren, dass sie produktiv wird. Mehrwert entsteht in der Kooperation von Unterschiedlichem. Netzwerke – analog wie digital –, die ihre innere Diversität so organisieren können, dass sie produktiv werden, generieren Mehrwert.