Von der Ökonomie des Wachstums zur Ökonomie der Reife

Bis 2050 müssen wir laut Wirtschaftsexperten Prof. Dr. André Reichel mit Wachstumsraten der Weltwirtschaft unter einem Prozent rechnen. Wer also künftig erfolgreich sein will, muss unabhängiger vom Wachstum werden. Ein Auszug aus der Trendstudie „Geld-Gehirn“.

Von Janine Seitz

Zukunftsinstitut / Ksenia Pogorelova

Das Wirtschaftswachstum der Eurozone in den letzten 16 Jahren (2000-2016) betrug durchschnittlich jährliche 1,1 Prozent. Das entspricht zwar noch nicht einem Nullwachstum, doch sind wir auf dem Weg in eine Postwachstumsgesellschaft. Europa wird in den kommenden 20 Jahren mit weiter zurückgehenden Wachstumsraten konfrontiert sein und die Wirtschaft wird stagnieren. Die aktuelle Form des Wirtschaftens beruht auf dem Verständnis von Knappheiten: Dadurch, dass Waren, Geld oder Zeit begrenzt bzw. nur in einem endlichen Rahmen verfügbar sind, wird die Kreativität und Anpassungsleistung des Menschen gefordert.

Ein Umdenken des Wirtschaftens bedeutet jedoch nicht, dass kein Wachstum stattfindet, sondern ein langsames Wachstum bzw. einen Rückgang der Bedeutung von Wachstum. In der Ökonomie der Reife kommt es auf Langlebigkeit und ökologisches Bewusstsein an.

Trends für eine Wirtschaft ohne Wachstum

1. Do it yourself oder Do it together: Produkte werden in einer neuen Form der Subsistenzwirtschaft selbst bzw. in einer Peer-Group hergestellt. Voraussetzung hierfür sind das wachsende Empowerment der Konsumenten und der Wunsch, Probleme gemeinschaftlich zu lösen, indem man möglichst auf den Einfluss von Konzernen verzichtet. Strick-Cafés und Makerspaces sind nur eine Manifestation der Do-it-Together-Bewegung, das Aufkommen von Cohousing-Projekten (das gemeinschaftliche Bauen und Wohnen) eine weitere. 3-D-Drucker ermöglichen die Herstellung von individuellen Werkzeugen oder Ersatzteilen.

2. Share Economy beschreibt die gemeinschaftliche Nutzung von Produkten. Die Ökonomie des Teilens beruht im Kern auf der Idee, dass sich der Wohlstand für alle erhöht, je mehr unter allen Marktteilnehmern geteilt wird. Die Idee hinter dem Sharing entspricht einer Welt, in der es eigentlich keine Bedürfnisse mehr gibt, alles ist gedeckt. Die Share Ecconomy ist vielfältig: Sie reicht von Finanzportalen, über die Geld ver- und geliehen werden kann über Crowdfunding-Plattformen bis hin zu Wiederverkaufsplattformen oder Tauschbörsen und (digitale) Flohmärkte. 

3. Mindfulness: Menschen und Unternehmen wenden sich in unserer heutigen komplexen Welt stärker der Suche nach einem höheren Sinn zu. Dies ist die Folge, da sich Komplexität nicht mehr ausreichend mit rationalen Mitteln erklären lässt. Der Beschleunigungsrausch ist an seine Grenzen gestoßen. Viele suchen ein Ausstieg aus dem Hamsterrad – indem sie sich auf sich selbst und die Werte, die ihnen wirklich wichtig sind, besinnen. Manche kehren an einen Ort der Stille ein, manche reduzieren ihren Konsum auf essenzielle Güter, andere investieren Zeit und Geld in gemeinnützige Projekte.

4. Das Prinzip Cradle to Cradle beschreibt ein Denken und Wirtschaften in Kreisläufen. Inspiriert durch das Vorbild der Natur, in der es keine Probleme mit „Abfall“ gibt, zielt es nicht auf Müllvermeidung oder Einschränkungen, sondern setzt auf biologische und technische Kreisläufe, bei denen die richtigen Materialien zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt werden, um Müll und Umweltschäden gar nicht erst aufkommen zu lassen. Statt den eigenen ökologischen Fußabdruck zu minimieren, soll ein positiver Fußabdruck hinterlassen werden.

5. Hinter „Reuse, Reduce, Recycle“ steht die verlängerte Nutzung von Produkten: Ziel bei „Reduce“ ist es, das Müllaufkommen grundsätzlich zu reduzieren oder gar auf Null zu bringen. Unter „Reuse“ wird verstanden, Dinge, die man selbst nicht mehr gebrauchen kann, an andere weiterzugeben. „Recycle“ hat in Österreich eine lange Tradition. Immer häufiger wird Müll, der nicht wiederverwendet werden kann, in seine Einzelteile zerlegt, damit die Rohstoffe in neuen Produkten verarbeitet werden können. Upcycling beschreibt die Entwicklung, Dinge nicht nur wiederzuverwerten, sondern sie sogar aufzuwerten.

Folgende Menschen haben mit dem Thema dieses Artikels zu tun:

Janine Seitz

Die studierte Kulturanthropologin ist seit 2008 Redakteurin des Zukunftsinstituts. Ihr Fokus: die Zukunft des Handels, Digitalisierungstrends und Global Sustainability. Als Projektleiterin verantwortet Seitz die inhaltliche Koordination der Branchen-Reports.