Die französische Küche gilt gemeinhin als Grundlage jeder guten Kochausbildung im deutschsprachigen Raum. Jedoch wer sein Handwerk beherrscht, wendet sich nicht selten von ihr ab – gilt sie doch als schwer und wenig experimentierfreudig. Während die Nouvelle Cuisine schon lange nicht mehr als neu angesehen werden kann, hielten viele Gastronomiekonzepte an ihr fest. Es gab nur ein Entweder-oder: entweder Haute Cuisine oder Bistroküche.
Erst seit der Jahrtausendwende begann in Frankreich ein Umdenken, angetrieben meist von jungen, wilden Köchen, die ihr Handwerk eben nicht in Frankreich gelernt hatten. Sie kombinierten und mixten französische Kochkunst mit exotischen Zutaten und innovativen Techniken. Was sich im Heimatland der Genießer mehr und mehr durchsetzt, schwappt nun auch in die Nachbarländer. In Metropolen wie Berlin, Wien oder München eröffnen Neo-Bistros, die Geschmack und Qualität in den Mittelpunkt stellen und auf Chi-Chi verzichten. Vor französischen Bäckereien bilden sich lange Schlangen, um eines der frisch gebackenen Croissants oder Baguettes zu ergattern. Und auch die ersten Restaurants wenden sich vom Menü ab und bieten französische Häppchen in Tapas-Manier an. Die einst so starre französische Küche öffnet sich – und erlebt durch die Symbiose und Mixtur mit anderen Koch- und Esskulturen eine Renaissance.
Let’s celebrate Bistronomy! – Great, smart, casual
Vor allem die jungen Generationen, die immer weniger Zeit haben, wenden sich von der starren Formel „Vorspeise, Hauptgang, Dessert“ ab, die in Frankreich jahrzehntelang streng befolgt wurde. Gesellschaftliche Veränderungen führen auch zur Erosion des traditionellen Gastro-Dualismus. Lange dominierten in Paris zwei Restauranttypen: Die sich an Michelin- und Gault-Millau-Kriterien orientierenden
Bistronomy bedeutet kleine, schnelle, gute Gerichte in zwangloser Atmosphäre
Lokale mit ihrer elitären Haute Cuisine (die ihren nationalen Elitarismus nicht nur auf dem Teller, sondern auch im Ambiente und Service pflegte) auf der einen Seite und jene mehr oder weniger unprätentiösen Alltags-Brasserien und gemütlichen Bistros mit ihrer oft nur mittelmäßigen Küche auf der anderen Seite. Neuen Schwung in die Pariser Gastronomie brachten vor allem junge Köche, die Kostenbewusstsein, Weltoffenheit und Nonkonformität in sich vereinten, sich vom erstarrten Traditionalismus befreien und damit das Bistro neu erfinden konnten. Trendiges Wording – „Bistronomy“ – und Marketing inklusive.
Mehr Spontaneität, weniger Regeln
Es waren und sind vor allem auch Nicht-Franzosen, die der Renaissance der französischen Küche die entscheidenden Impulse geben. Die aktuelle Pariser Restaurant- und Bistro-Szene ist ein Spiegelbild der vernetzten Situation wechselseitiger Einflüsse. Zahlreiche Köche, die auch in den Medien und in Restaurantführern gehypt werden, kommen aus den USA, Japan, Indonesien, Australien, Großbritannien oder aus sonst einer Weltregion: Julia Sedefdjian, die armenisch-sizilianische Wurzeln hat und als die jüngste Sterneköchin Frankreichs gilt, eröffnete Anfang 2018 das Restaurant Baieta; zuvor begeisterte sie im Neo-Bistro Les Fables de la Fontaine die Gäste mit ihren Kochkünsten.
Frischer Wind in der französischen Küchenkultur
Die Starköchin Adeline Grattard kombiniert im Restaurant yam’Tcha französische Produkte mit chinesischer Kochkunst, während ihr Ehemann Chi Wah Chan für die Auswahl der Teesorten zuständig ist, die zu den Gerichten serviert werden. Das Restaurant Le Baratin der argentinischen Köchin Raquel Carenas gilt inzwischen in Paris als legendär. Die Schwestern Tatiana und Katia Levha mit philippinischen Wurzeln beschreiben Le Servan als französisches Bistro, in dem sie traditionelle französische Rezepte mit asiatischen Zutaten aufpeppen. Myriam Sabet, geboren in Aleppo, kredenzt in ihrer Pâtisserie Maison Aleph ein Stück genussvolle Heimat.