Die vier Super-Szenarios der Zukunft

Unsere Vorstellungen von Zukunft prägen unseren Blick auf die Welt mehr als wir glauben wollen: vier Modelle, die immer funktionieren – aber nie zutreffen werden.

Von Matthias Horx (12/2015)

Schon Immanuel Kant unterschied 1789 in der Preisschrift “Erneuerte Frage: Ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum Besseren sei?” drei grundlegende „Zukünfte“:

• Eudämonismus (beständiger Fortschritt)
• Terrorismus (ständige Verschlechterung bis zum Ende)
• Abderitismus (zufälliger Wechsel von Auf und Ab)

Da die menschliche Psyche Ambivalenz und Unsicherheit nur schwer ertragen kann, tendieren wir zu „sauberen Lösungen“ in Sachen Zukunft. Deshalb lösen wir komplexe Zukunftsbilder tendenziell zugunsten einer der vier Grundvisionen auf, die sich als linear verlaufende Visionen in einem Wert-Zeit-Raum anbieten: Fortschritt und Rückschritt bilden die Extreme auf dem Zeitpfeil, (zweifelhafte) Besserung und katastrophale Verschlechterung sind die Endpunkte auf der Vertikal-Achse.

Jeder Prognostiker befindet sich deshalb immer in diesem kollektiven Resonanzraum, der die Echos der vier „Superszenarios“ zurückwirft. Und gleichzeitig steuern diese Grundeinstellungen kulturelle Grundeinstellungen: Zukunftsbilder konstituieren Weltbilder, und diese steuern auf vielfältige Weise politische Groß-Haltungen und Zeitgeist-Phänomene.

Die nonlineare Zukunft

In Sachen Zukunft ist die bequeme Lösung jedoch selten die richtige. Stellen wir uns also vor, die Zukunft läge gar nicht in einer bestimmten Richtung. Renaissance, Ende, Niedergang und Erlösung wären Teil einer immerwährenden Story des menschlichen Lebens. Die Zukunft entstünde in einer zyklischen Rekursion, in der sich der Zeitpfeil „um sich selbst dreht“. Dabei entsteht – langfristig und immer wieder bedroht – Komplexität, Freiheit, Wahlmöglichkeit, Bewusstsein. Phasen der Wiederholung, des Stillstands und der Regression wechseln sich mit Fortschrittsgewinnen ab, Niedergänge und Krisen sind die Bedingungen neuer Konnektivität.

Noch radikaler gedacht, könnte Zukunft sich gänzlich vom klassischen Zeitpfeil verabschieden. In einer dezentrischen Betrachtungsweise sind wir von Zukünften umgeben. Damit verabschieden wir uns endgültig von den Fesseln der Kausalität und der Linearität. Eine solche Evolution wäre ergebnisoffen, aber nicht richtungslos. Sie hätte kein Ziel, aber einen Sinn.

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