Warum uns die Idee perfekter menschengleicher Wesen, die über Künstliche Intelligenz verfügen, fasziniert – und wieso sie zerplatzen würde, sobald sie Realität wird.
Von Matthias Horx (10/2016)
Warum uns die Idee perfekter menschengleicher Wesen, die über Künstliche Intelligenz verfügen, fasziniert – und wieso sie zerplatzen würde, sobald sie Realität wird.
Von Matthias Horx (10/2016)
Der berühmte Turing-Test besagt, dass Künstliche Intelligenz (KI) in dem Moment existiert, wenn wir in einem Dialog mit einem Computer oder Roboter nicht mehr unterscheiden können, ob wir es mit einem realen Menschen zu tun zu haben oder nicht. Der Bechdel-Test – benannt nach einer amerikanischen Cartoonistin – testet, ob Filme oder Romane dumme frauenfeindliche Machwerke sind. Nur wenn zwei Frauen, die einen ernsthaften Namen haben (nicht irgendwie nur was mit Amanda oder Jennifer), im Lauf der Handlung länger über etwas anderes als Männer sprechen, gilt der Bechdel-Test als bestanden.
Mehr als die Hälfte aller Hollywood -Filme fallen komplett durch. Auch "Ex Machina", der jüngste Film von Alex Garland über KI, punktet nicht gerade hoch auf der Bechdel-Skala. Es geht um ein weibliches Wesen mit durchaus ernsthaftem Namen – Ada, von Ada Lovelace, eine der ersten Computer-Spezialistinnen –, das von zwei Nerds einem ziemlich gründlichen Turing-Test unterzogen wird. Erschaffen wurde die Schöne aus dem Silikon von einem mächtigen Internet-Startup im Google-Stil. Ada entwickelt, wie kann es anders sein, Gefühle. Die Nerds, die “sie” erschaffen haben, werden schließlich, man ahnt es, verführt. Man schafft eben nicht ohne Konsequenzen traumhaft gutaussehende weibliche Androiden ...
"Ex Machina" ist nicht der erste Film, in dem es um Gefühle von und mit Robotern geht. Aber einer der ersten, die die AI-Frage wieder konsequent ins Gender-Universum zurückverlegt – und damit in eine als verrückt-utopisch erscheinende Gegenwart. Wen lieben wir? Was lieben wir eigentlich an einem Menschen, wenn wir ihn vorher in einen Dating-Algorithmus zerlegen, wie bei Parship oder OKCupid? Was ist Schönheit, Leidenschaft – und wie verändert sie sich im digitalen Zeitalter? Ada findet sich übrigens schon auf Tinder, wo sie zu den am meisten rechtsgewischten Bildern der App zählt.
Es ist erstaunlich, wie sich die dramaturgische Bühne der KI verändert hat. Selten geworden sind die klassischen Trümmer-Orgien, in denen die Roboter die Welt übernehmen und uns alle versklaven. Jenseits von "Matrix", "Terminator" und "Transformers" scheint dieser Handlungsstrang erschöpft. Auch das rote Auge von Hal aus Stanley Kubricks "2001 – Odyssee im Weltraum" strahlt heute eher matt: Trotz aller Überwachungsangst bleibt die Imagination eines allwissenden Brothers doch seltsam fade und motivlos (warum, zum Teufel, sollten uns Maschinen unterdrücken wollen?). Auch die gnadenlosen Killer-Avatare aus der "Blade Runner"-Dystopie sind auf den Schrottplatz der Kulturgeschichte gewandert. Dort gab es allenfalls ein "Basic Pleasure Model" als weiblichen Androiden, das besonders hart zuschlagen konnte.
In einer langen Traverse kehren die KI-Phantasien aus dem Weltraum heute in die eigenen vier Wände zurück. "Her" zeigt einen hermetisch lebenden Nerd-Angestellten, der sich von einer leicht hysterischen Empathie-Simulation herzzerreißend in eine emotionale Katharsis führen lässt. In "Die Frauen von Stepford" mit Nicole Kidman erweisen sich amerikanische Hausfrauen als perfekte Maschinen, die genau aussehen und handeln wie Maschinen.
Haben wir das nicht immer schon geahnt? Menschen sind in Wirklichkeit Roboter. Wir haben es nur noch nicht gemerkt ...
Sind die Roboter männlich oder weiblich? Hat Bewusstsein ein Geschlecht? Das war bis vor wenigen Jahren keine ernsthafte Frage. Es gab den guten alten "Blechkameraden", wie er sich Schritt für Schritt aus der industriellen Revolution herausevolutionierte – Soldat, Diener, willfähriger Sklave. General Electric präsentierte auf der "Futurama"-Weltausstellung von 1939 Elektro, den klobigen Roboter, der auf Befehl laufen und (etwas grob) tanzen konnte. Die am meisten erwähnte Fähigkeit von Elektro: Er konnte rauchen. Das galt als besonders sensationell, weil es das Menschliche an der Maschine betonte.
Roboter liefen in der Blütezeit des Industrialismus auf einer klaren evolutionären Schiene in die Zukunft – ihr Geburtsort war die Fabrik. So gab es den sozialistischen wie den kapitalistischen Roboter als raumgreifende Superkomfort-Phantasie: Roboter schleppen die Koffer beim Reisen, servieren das Essen, kümmern sich um den Hund. Sie ersetzen das Dienstpersonal des vor-vergangenen Jahrhunderts und brachten endlich "Komfort für die Massen". Dass die ganze Geschichte dabei irgendwann aus dem Ruder laufen würde, war klar: Irgendwann würden die Blechkameraden "die Macht übernehmen" und "gegen das Abschalten rebellieren" – der Sklavenaufstand als nachgespielte Geschichtskonstante. Roboter waren eben immer schon nur Menschen …
Immerhin: In den KI-Filmen der 90er und 2000er-Jahre wurde die Gender-Frage auf eine zaghafte Weise angesprochen – indem man ihr elegant auswich. Die Roboter wurden einfach schwul. In "AI" von Stephen Spielberg (ursprünglich wollte Stanley Kubrick diesen Klassiker aller Roboterfilme drehen) begleitet "Gigolo Joe" den verlorenen kleinen Jungen, auch er ein Roboter, durch eine dystopische Menschenwelt. In "Prometheus" spielt der eloquente David eine liebenswerte Tunte, die als einziges Wesen aus dem Raumfahrertrupp keinen an der Waffel hat und halbwegs vernünftig reagiert.
Dazwischen taumelten wie eh und je die niedlichen Gestalten aus der Abteilung “sprechendes Spielzeug” herum. Die R2-D2s aus dem "Krieg der Sterne". Oder Wall-E, der süße kleine Kerl, der in einer Welt fetter Konsum-Dekadenz nichts anderes als das "treue" (selbstreflektive, empathische) menschliche Prinzip repräsentiert. Eine klassische Rollen-Umdrehung, die in vielen Sci-Fis immer wiederkehrt: Menschen verhalten sich mechanisch oder einfach so, als ob sie kaputt wären. Roboter übernehmen den vernünftigen und hilfreichen Part.
Was ist Intelligenz? In meiner Jugend war sie definiert durch Intelligenztests, die man brav und eifrig ausfüllen und "gewinnen" konnte. Stolz durfte ich Oma und Opa mein Ergebnis aus dem Großen Reader-Digest-IQ-Test von 1967 mitteilen: 130! ("Einstein hat auch nur 140 gehabt!").
Solche Intelligenz-Test, in denen schnelle Mustererkennung und Zahlenkolonnen eine große Rolle spielten – viele werden heute noch verwendet –, sind eher umgedrehte Turing-Tests: Könnt ihr so Kreuzchen machen, dass es aussieht, als wäret ihr ein Computer? Heute hat uns die Kognitionspsychologie einige Schritte weitergebracht. Denken, Intelligenz ist immer auch Fühlen. Emotionen lassen sich von kognitiven Operationen niemals abtrennen. "Intelligenz" ist ein Fraktal: Emotionale Intelligenz. Kommunikative Intelligenz. Soziale Intelligenz. Heuristische Intelligenz. Körperliche Intelligenz. All das gehört zum Bewusstsein. Zum Denken. Zum Menschsein.
Der Kognitionspsychologe Steven Pinker hat in seinem Buch "Wie das Denken im Kopf entsteht" das genuin Humane am Denken so formuliert:
"Der Geist muss aus spezialisierten Teilen aufgebaut sein, weil er ganz unterschiedliche Probleme zu lösen hat. Nur ein Engel könnte ein allgemeiner Problemlöser sein; wir Sterblichen müssen aus bruchstückhaften Informationen fehleranfällige Annahmen ableiten. Jedes unserer mentalen Module löst sein unlösbares Problem, indem es in einem Akt des Glaubens auf die Funktionsweise unserer Welt vertraut. Es macht Annahmen, die unverzichtbar sind, aber nicht begründet werden können – die einzige Rechtfertigung lautet: Diese Annahmen haben sich in der Welt unserer Vorfahren bewahrt." (S. 45)
Was Pinker hier formuliert, zerstört gewissermaßen die KI-Debatte – und stellt sie gleichzeitig auf ein neues existentielles Fundament. Wir denken in vielerlei Hinsicht "mit dem Körper": mit den Hormonen, den "bodily fluids". Darin drückt sich unsere evolutionäre Gewordenheit aus, die aus lauter Improvisationen und Kombinationen besteht, die auf wunderbare Weise "messy" sind – ein einziges kreatives Durcheinander, das uns aber gleichzeitig überlebens- und entwicklungsfähig macht. Die Roboter sind unsere "Engel", nach denen wir uns sehnen, weil wir uns von ihnen die drei K erwarten: Klarheit, Konstanz, Kontrolle. Genau das würde die Evolution, deren "Kinder" wir sind, beenden. Aus Komplexität würde Entropie.
Noch einmal Stephen Pinker, der uns eine einzige zentrale Frage stellt: "Why do people believe that there are dangerous implications of the idea that the mind is a product of the brain, that the brain is organized in part by the genome, and that the genome was shaped by natural selection?"
Was KI eigentlich bedeutet, begreifen wir besser, wenn wir sie als paradoxes Rätsel begreifen, eine Art Delphi-System, durch das wir uns selbst – und unsere Zukunft – betrachten und befragen. Die Avatare aus der Morgenwelt stellen uns einige interessante Rätsel:
Im witzigsten und wahrsten aller Star-Trek-Filme ("Der erste Kontakt" von Jonathan Frakes, mit einem übermächtig coolen Jean Luc Picard als Kommandant der Enterprise) wird der Androide Data gefangen genommen von der bösen Borg-Oberdrohne, Herrscherin über ein Geflecht übel zugerichteter, vernetzter Teilexistenzen (vulgo: Gesellschaft). Data repräsentiert im Star-Trek-Universum das Prinzip der staunenden Vernunft: Ein Androide, der in seinem Bemühen, zu verstehen, was an ihm maschinell ist, genuin human ist. Die böse Drohne foltert Data mit einer besonders perfiden Methode: Sie bietet ihm Fleisch und Sterblichkeit an.
"Data, wolltest du nicht immer wissen, was Menschsein heißt? Wolltest du dich nicht an den Verderbtheit des Fleisches berauschen, den Freuden des Schmerzes und der Zerfalls ... Ist das nicht das, was du dir zutiefst wünschst?"
Data ist durchaus zum Verrat bereit – in einem doppelten Sinne, der ihm ermöglicht, zu bleiben, wer er ist: ein ewig Suchender, der sich nur durch ungelöste Fragen entwickeln kann. In dieser Szene liegt die ganze Wahrheit über unser erotisches, tragisches Verhältnis zur Künstlichen Intelligenz. Wenn wir tatsächlich unsere Intelligenz reproduzieren wollten, müssten wir den Robotern Fleisch und Sterblichkeit geben. Im selben Moment wären sie aber keine Roboter mehr.
Der Engel Ada stellt uns vor ein Problem wie das Gleichnis vom Einhandklatschen im Zen: Wenn eines Tages tatsächlich ein menschengleiches künstliches Wesen das Licht eines Labors erblickt, würden wir erkennen, dass dieses Wesen vollkommen sinnlos ist. Sinnvolle Roboter umgeben uns heute schon – Waschmaschinen, Geschirrspülmaschinen, Autos, die demnächst selbst fahren können. Sie tun das, was wir nicht können oder wollen. Aber wollen wir wirklich fühlende Maschinen? In ein Auto, das "denken und fühlen" kann, würden wir niemals einsteigen. Wenn der Kühlschrank "intelligent" wird, beginnt eine andere, eher blödsinnige Geschichte. Warum sollen wir etwas erschaffen, was es schon gibt? Uns etwas aussetzen, was komplexe Intentionen hat?
Humanoide Sex- oder Liebesroboter wären ein Marktflop, weil sie immer unter dem Stigma des Surrogats leiden würden: Wer sie kauft, ist im Wortsinn "asozial", oder er/sie "bekommt eben keine echte Frau ab" (ja doch: auch Frauen würden Sexroboter kaufen!). Vielleicht wird dieses Wesen dann rauchen können, aber an seiner Seite wird man sich so einsam fühlen wie nie zuvor im Universum. Gerade wenn es alle Turing-Tests bravourös besteht.
Zur Erzeugung und Begegnung mit sterblichen, warmen, zweifelnden, großartigen Menschen gibt es wahrhaftig bewährtere und vergnüglichere Methoden als die mühsame Aufeinanderschichtung von Silikon und Kunststoffen.