Gesucht: Unternehmenskultur 4.0

Arbeit soll vernetzter, flexibler, fluider werden. Doch das ist nur möglich, wenn zugleich an einer neuen Form von Unternehmenskultur gearbeitet wird.

Von Kirsten Brühl (09/2015)

Scheinbar läuft alles gut. Unter dem Schlagwort “Industrie 4.0” wird gerade die Arbeit neu verhandelt: Hoch vernetzt und digital sollen Geschäftsprozesse künftig ineinandergreifen und ehemals getrennte Welten von Kunden, Partnern und Lieferanten zu einem sinnvollen Ganzen zusammengefügt werden. Über alle Grenzen hinweg, Einsparungen inklusive. Das wirft viele technische Fragen auf und auch juristische. Eine weitere wird aber nur selten gestellt: Wollen wir das überhaupt? Und können wir das als Menschen und Mitarbeiter – und zwar wirklich? Co-Creation, vernetztes Arbeiten, fluide Organisationen, grenzenlos und ganz im Dienst am Kunden, werden zwar oft beschworen, aber nur selten umgesetzt

Getan wird viel, damit es gelingen kann: Großangelegte Unternehmensdialoge versuchen Mitarbeiter über alle Silos hinweg in einen kreativen und offenen Austausch bringen, interne Labs sollen zum Hort ungewöhnlichen Denkens werden und Diversity-Initiativen und Frauenquoten treten an, um für Vielfalt der Mitarbeiter und gute Durchmischung von Erfahrungen und Kompetenzen zu sorgen. Auch das Lernen voneinander ist bei vielen Unternehmen schon Standard. Ob über Unternehmensgrenzen hinweg auf gemeinsamen Learning Journeys, bei Cross Innovation Workshops oder bei Veranstaltungen wie der FailCon, einer weltweiten „Konferenz des Scheiterns“. 

Doch trotz guten Willens ist die Offenheit für Neues nicht immer so groß wie gewünscht. Unter der Oberfläche lauern oft subtile, aber mächtige Hindernisse und jede Menge Widerstand. Und das ist verständlich, weil menschlich. Ebenso wie kein Entwickler ein Super-Upgrade von Version 1.0 auf 4.0 durchführt, brauchen auch Menschen Zeit, um ihr Weltbild neu auszurichten, vorsichtig eigene Vernetzungs-Erfahrungen zu sammeln, sie auszuwerten und sich zu öffnen. Das ist ein gradueller Prozess und braucht Unterstützung.

Macht abgeben, das bedeutet Sicherheit aufgeben. Das machen die Wenigsten gern. In der Transformation zum vernetzten Unternehmen haben Führungskräfte deswegen immer wieder die Aufgabe, Mitarbeitern Basissicherheit zu vermitteln, auch als Rollenvorbilder. Gleichzeitig sind sie aufgefordert Stück für Stück Sicherheit im Umgang mit Unsicherheit zu trainieren. 

Das eigene Nicht-Wissen zu offenbaren oder gar offensiv mit dem eigenen Scheitern umzugehen, erfordert enorme persönliche Souveränität. Um die offene Auseinandersetzung nicht nur mit Erfolgs-, sondern auch Misserfolgsfaktoren möglich zu machen, muss Führung im Transformationsprozess für geschützte Räume und offene Kommunikation ohne Sanktionen sorgen. Der unspezifische Ruf nach einer Vertrauenskultur allein reicht da nicht. Dazu gehört es auch, Widersprüche im Unternehmen auszuräumen. Denn es kann nicht sein, dass dieselben Kollegen, mit denen man im „Lab“ kritisch vertane Business-Chancen analysiert, an anderer Stelle für die Ausgestaltung der eigenen Boni zuständig sind. 

Gemeinsames Entwickeln von Lösungen erfordert wiederholte positive Lernerfahrungen mit dem Sich-Einlassen auf andere (Unternehmens-)Welten, dem konstruktiven Umgang mit Konflikten und dem Aushandeln von Kompromissen.  

FAZIT: Bei Vernetzung geht es nicht nur um neue Zukunfts-Strategien und Strukturen. Ein Wandel in der Tiefe findet erst statt, wenn sich parallel auch die Unternehmenskultur transformiert. Das beinhaltet oft viele kleine Transformationsschritte und fordert Führungskräfte in hohem Maß heraus. 

Über die Autorin

Kirsten Brühl arbeitet als Zukunftsforscherin und Speakerin für das Zukunftsinstitut sowie unter dem Slogan „LinkingMinds“ als Business-Coach und Beraterin in eigener Praxis. Ihre Themen sind die Arbeitswelt der Zukunft und New Leadership. Beim Zukunftsinstitut ist 2015 ihre Studie „Die neue Wir-Kultur“ erschienen.

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