Die Transformation der Globalisierung

Der Krieg in der Ukraine und die dadurch verschärfte Vielfachkrise weltweiter Lieferketten ist ein Indiz für den überschrittenen Zenit der Globalisierung, wie wir sie heute kennen. In Zukunft müssen neue Zielparameter wie Resilienz, Qualität, Sicherheit und Nachhaltigkeit mitgedacht werden, statt nur auf Effizienz und Gewinnmaximierung zu optimieren. Ein zentraler Begriff zukünftiger Versorgungssicherheit lautet daher Glokalisierung. – Eine Einordnung von Jonas Höhn und Nina Pfuderer.

Die Welt des 21. Jahrhunderts ist Schauplatz multipler Krisen – von Klimawandel, Terror, Krieg und Pandemien bis zu despotischen Regimes, sozialer Ungleichheit und Finanzkrisen. Einige dieser globalen Krisen haben uns bereits in den vergangenen Jahren die Begrenztheit und Ungleichverteilung von Rohstoffen sowie daraus resultierende Abhängigkeiten aufgezeigt. Lieferengpässe und steigende Preise sind heute deutliche Hinweise darauf, dass unsere internationalen Versorgungssysteme an ihre Grenzen kommen und die Containerlogistik als Antrieb der Weltwirtschaft zunehmend ins Stocken gerät.

Infolgedessen scheint sich das Vertrauen in die unumstößliche Funktionsfähigkeit globaler Lieferketten immer stärker aufzulösen. Der Krieg in der Ukraine und die dadurch verschärfte Vielfachkrise weltweiter Lieferketten ist nur ein weiteres Indiz für den überschrittenen Zenit der Globalisierung, wie wir sie heute kennen. Die auf Effizienz getrimmte Hyperglobalisierung muss spätestens jetzt hinterfragt werden. Doch wie könnten Lieferketten und Produktionsnetzwerke angesichts dieser Herausforderungen zukünftig gestaltet sein? Und wie kann eine langfristig krisenresiliente und nachhaltige Versorgungssicherheit hergestellt werden?

Das Ende der Hyperglobalisierung

Globale Liefer- und Wertschöpfungsketten sind zu hochkomplexen Systemen herangewachsen. Eine Vielzahl von Akteuren und Weltregionen ist durch die vielschichtigen und netzwerkartigen Produktionsprozesse von Waren und Dienstleistungen miteinander verknüpft.

Über viele Jahrzehnte haben transnationale Unternehmen kostenintensive und weniger profitable Produktionsschritte durch Offshoring oder Outsourcing ausgelagert an Zulieferer in Ländern mit vergleichsweise niedrigen Lohnniveaus und Sozial- sowie Umweltstandards, um Kosten zu reduzieren und kurzfristige Gewinnmaximierungen zu erzielen. Dadurch ist das traditionelle System der globalisierten Lieferketten heute vor allem auf Effizienz und Beschleunigung ausgerichtet.

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Diese Vorgaben sorgen jedoch dafür, dass bereits kleinere und lokale Disruptionen – aufgrund der globalen Vernetzung der Lieferketten – weltweite Lieferausfälle auslösen können. Bedingt durch die Interdependenzen traditioneller Wertschöpfungsketten können sich unterschiedliche Versorgungskrisen sogar zusätzlich gegenseitig verstärken. Alleine ein Blick auf die gleichzeitigen Herausforderungen der Coronapandemie und des Krieges in der Ukraine zeigt deutlich die steigende Vulnerabilität und den wachsenden Druck auf die logistischen Versorgungssysteme der Weltwirtschaft. Die direkten Folgen internationaler Phänomene, deren Sinnbild vor allem die riesigen Containerschiff-Staus vor den größten Häfen weltweit sind, lassen sich nun auch immer öfter lokal beobachten – etwa wenn der Automobilbranche plötzlich wichtige Kabelbäume fehlen oder Lebensmittelpreise in den Supermärkten in die Höhe schießen.

Resilienz statt Effizienz

Die Lieferketten und Wertschöpfungssysteme der Zukunft brauchen in Anbetracht dieser und im Zuge der Klimakrise noch zu erwartender Herausforderungen neue Richtlinien und Grundsätze. Bei Lieferketten und Produktionssystemen von morgen müssen viel stärker auch neue Zielparameter wie Resilienz, Qualität, Sicherheit oder Nachhaltigkeit mitgedacht werden, statt nur auf Effizienz und Gewinnmaximierung zu optimieren. Ein zentraler Begriff zukünftiger Versorgungssicherheit lautet daher Glokalisierung.

Der Soziologe Roland Robertson wollte mit seiner Wortschöpfung aus den Begriffen Globalisierung und Lokalisierung einen globalen Determinismus und die Vernachlässigung lokaler Einflüsse innerhalb der frühen Globalisierungsforschung überkommen. Glokalisierung meint also nicht eine komplette Umkehr bisheriger Globalisierungsprozesse („De-Globalisierung“) oder eine Rückkehr zu ausschließlich lokalen Strukturen, sondern vielmehr deren Weiterentwicklung.

Die Stärke und der Kern des Glokalisierungskonzepts liegt im Bewusstsein für die gegenseitige Bedingtheit von globalen und lokalen Dynamiken und den sich daraus ergebenden Abhängigkeiten und Spannungen. Zuerst die Coronapandemie und jetzt auch der Ukraine-Krieg haben diesem Bewusstsein in der breiten Öffentlichkeit einen ganz neuen Stellenwert und auch eine besondere Dringlichkeit verliehen.

Neue Chancen und Herausforderungen für Unternehmen

Doch was bedeutet ein wachsendes glokales Bewusstsein für Lieferketten und wie könnten zukünftige Versorgungssysteme demnach aussehen? Neue Lösungsansätze, die einen klaren Fokus auf Parameter wie Resilienz, Sicherheit oder Nachhaltigkeit legen, versprechen zukünftig bessere Antworten auf die Herausforderungen multipler Krisen. Die Weiterentwicklung von globalen hin zu glokalen Prozessen beinhaltet vor allem eine gesteigerte Bedeutung von Risikoabschätzungen und eine Reflektierung bisheriger Bezugsquellen und Lieferantenstrukturen.

Unternehmen müssen zukünftig noch häufiger lokale Handelsbeziehungen als wichtigen Bestandteil globaler Verflechtungen stärken und regionale Wirtschaftskreisläufe implementieren. Mindestens in Zeiten globaler Versorgungskrisen können lokale Strukturen dann beispielsweise als Backup-System fungieren.

Neben der Suche nach lokalen Alternativrohstoffen, die durch den globalen Handel sinnvoll ergänzt werden können, werden auch größere Materialreserven eine wichtigere Sicherheitsfunktion in Produktionsnetzwerken einnehmen. Diese Transformation der globalen, linearen Wertschöpfungsketten in glokale, zirkuläre Lieferkettensysteme sorgt für eine höhere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit unserer Versorgungssysteme.

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Durch die stärkere Orientierung an den Prinzipien der Circular Economy bieten glokale Produktionssysteme zudem Möglichkeiten für eine nachhaltige Entwicklung. Längere Lebenszyklen von Produkten, der ressourcensparende Einsatz und die Wiederaufbereitung von (idealerweise lokalen) Produktionsmitteln sowie verkürzte Transportwege tragen zur Einsparung von Emissionen und Abfällen bei. Investitionen in digitale Lösungen zur Automatisierung und Robotisierung von Produktionsprozessen werden diese Entwicklung zukünftig noch stärker antreiben. Nachhaltigkeit bedeutet hier allerdings auch, dass Menschenrechte und internationales Recht in Produktions- und Lieferketten zukünftig besser geschützt werden müssen. Deutschland und die EU haben diesen Prozess mit entsprechenden Lieferkettengesetzen bereits eingeleitet.

Hands-on: Was jetzt zu tun ist

Dem Glokalisierungs-Trend kommt angesichts multipler Krisen, wie der Coronapandemie, der Klimakrise und dem Ukraine-Krieg, bereits heute als Weiterentwicklung traditioneller Globalisierungsprozesse eine wichtige Rolle in Fragen nach unserer Grundlagensicherung zu. Zukünftig gilt es unsere Warenproduktion und den Gütertransport glokaler zu gestalten, um so ein Versorgungssystem mit höherer Resilienz, Sicherheit und Nachhaltigkeit zu etablieren. Was dafür jetzt zu tun ist:

  • Stärkung des Bewusstseins für die gegenseitige Wechselwirkung von globalen und lokalen Prozessen und Reflektion der eigenen Abhängigkeiten.
  • Integration und Festlegung lokaler Handelsstrukturen innerhalb von globalen Verflechtungen.
  • Diversifizierung von Zulieferern und Rohstoffen und stärkere Fokussierung auf lokale Alternativen.
  • Aufbau von Materialreserven und Lagerhaltung als wichtige Elemente strategischer Risikoabschätzung.
  • Transformation von linearen, traditionellen Wertschöpfungsketten in zirkuläre, glokale Lieferkettensysteme, die sich stärker an den Parametern Resilienz, Sicherheit und Nachhaltigkeit orientieren.