Mit dem wachsenden E-Commerce wird die Auslieferung zur Herausforderung. Händler rüsten auf und erobern die letzte Meile zum Kunden. Zahlreiche Player wetteifern um die besten Innovationen in Sachen Convenience. Ein gekürzter Auszug aus dem “Retail Report 2018”
Dash Delivery: Mut zur neuen letzten Meile

Wer kennt diese Situation nicht: Man bestellt etwas online, die Lieferung kommt ein bis zwei Tage später, der Postbote klingelt und man selbst ist nicht zuhause. Dafür findet man am Abend einen Zettel, dass das Paket zur nächsten Abholstation gebracht wurde, weil der Nachbar das dritte Paket in der Woche nicht entgegennehmen wollte. Natürlich könnten wir das Paket am nächsten Tag dort abholen, allerdings zwischen 10 und 18 Uhr, wenn wir selbst im Büro sitzen... Spätestens an diesem Punkt wünscht man sich, man hätte das entsprechende Produkt einfach im Laden gekauft, so wie früher.
Die größte Schwäche des E-Commerce: die Lieferung
Gegen den E-Commerce und die Lieferung spielt die Handelslandschaft in großen Städten und Metropolen die Trumpfkarte, beinahe alles direkt um die Ecke stationär kaufen zu können, sofortige Mitnahme eingeschlossen. Besonders für den täglichen Bedarf und kleine, tragbare Produkte greifen daher Städter auf den altbekannten stationären Einkauf zurück. Eine Lieferung innerhalb von ein bis zwei Tagen kommt für viele Kunden nicht mehr zwangsweise in Frage. Doch das heißt nicht, dass die Logistikbranche nicht boomt! Nach wie vor bestellen immer mehr Menschen Produkte im Internet: 258 Milliarden Euro Umsatz wurden laut Bundesvereinigung Logistik hierzulande im Jahr 2016 branchenübergreifend erwirtschaftet. Ein Rekord, der leicht gebrochen werden könnte, wenn der E-Commerce endlich seine größte Schwäche überwinden würde: die Lieferung.
Die ersten alternativen Pick-up- und Liefer-Konzepte, die den E-Commerce in den vergangenen Jahren stärken sollten, fanden in den Städten nicht den erhofften Anklang. Obwohl sich heute fast alle Paketdienstleister bemühen, dezentrale Abholmöglichkeiten für den Kunden wie Paket- und Abholstationen zu schaffen, wollen mehr als die Hälfte der Deutschen diesen Service auch in Zukunft nicht nutzen (Studie Es sind Lösungen gefragt, die in den Alltag integriert sind und dem Kunden keine zusätzliche Mühe machen von PricewaterhouseCoopers im Dezember 2015). Vielmehr sind Lösungen gefragt, die in den Alltag integriert sind und dem Kunden keine zusätzliche Mühe machen. Als einer der Vorreiter hierfür gilt Amazon: In den vergangenen Jahren häuften sich die Meldungen zu eigenen Flughafenstationen, Logistik-Hubs überall in der Stadt und schnellen selbstfahrenden Logistik-Fahrzeugen, um die komplette Wertschöpfungskette selbst zu kontrollieren und zu optimieren. Das „Alles-aus-einer-Hand-Prinzip“ ermöglicht es Amazon, die Lieferungen nicht nur schneller und kontrollierter zu bewerkstelligen, sondern auch Schwachstellen in der Logistik einfacher zu identifizieren, weitere Daten über den Kunden zu gewinnen und die Lieferung individueller zu gestalten.
Doch auch jenseits des großen Herrschers der letzten Meile finden sich Unternehmen, die den Wettstreit um die kundenorientierte Logistik aufnehmen. Schnelligkeit, die durchgehende, transparente Vernetzung mit dem Kunden und die kontrollierbare Treffsicherheit in Bezug auf Ort und Zeit sind die wichtigsten Faktoren der Logistik-Vorreiter.
Liefer-Innovationen der wettstreitenden Händler
Im “Retail Report 2018” haben wir die 5 spannendsten Liefer-Innovationen für Sie herausgearbeitet – drei davon können Sie bereits jetzt lesen:
1. Smart Pop-Up-Boxes
Die ideale Lösung würde dem Kunden von vornherein jeglichen Umweg ersparen. Die nahtlose Integration in den Alltag des Kunden ist der Schlüsselfaktor für die Zukunftsfähigkeit von Konzepten, die nach wie vor auf Abholstationen setzen. Der perfekt ausgewählte Ort ist entscheidend, denn hier geht es nicht nur um die Schließfach-Kühlbox vor dem Supermarkt, um die Öffnungszeiten zu verlängern, sondern darum, reale neue und einfache Kontaktpunkte zu schaffen. 2016 startete Amazon beispielsweise gemeinsam mit DHL und Audi in Deutschland ein Pilotprojekt mit Amazon-Prime-Kunden für die Zustellung in den Kofferraum des Kunden-Pkws. Die vernetzten Händler nutzen heute den großen Vorteil, dass sie den Kunden immer besser kennen und planen können, welche Waren, in welcher Menge und wo in der nächsten Zeit benötigt werden. Das Vertrauen des Kunden ist hierfür Voraussetzung.
Best Practice: DB BahnhofsBoxen – Lebensmittel aus dem Schließfach
Seit Frühjahr 2017 bietet die Deutsche Bahn in Zusammenarbeit mit dem LEH-Unternehmen Edeka und dem Startup Emmasbox die DB BahnhofsBoxen am Stuttgarter Hauptbahnhof und Berliner Ostbahnhof an. Ziel ist es, die intelligenten Schließfächer nach der Pilotphase an weiteren ausgewählten Bahnhöfen zu installieren. Per App oder online bestellte Lebensmittel werden dort gekühlt gelagert und können von den Kunden „on the go“ abgeholt werden. Hierfür erhält man nach der Bestellung einen Zugangscode aufs Handy geschickt, mit dem sich das Schließfach öffnen lässt. Doch die Multifunktionsboxen können auch anderweitig genutzt werden, etwa zum Hinterlegen von Wäsche für die Reinigung oder zum Deponieren von Autoschlüsseln für den Mietwagen.
2. Mesh-Logistik
Amazon Prime bietet bereits in verschiedenen Städten eine Lieferung innerhalb einer Stunde und arbeitet intensiv daran, noch schneller zu werden. Das passiert teilweise durch autonome Prozesse, die in der Logistik durch Maschinen bewerkstelligt werden können: Herstellung oder Auswahl der Produkte, die einfach auf die Straße verlagert werden. Im Food-Bereich wird hier bereits an mehreren Konzepten gefeilt.
Best Practice: Zume Pizza – automatisierte Produktion und Lieferung
Das Start-up Zume Pizza aus dem Silicon Valley setzt auf einen beinahe vollautomatisierten Prozess: Nach dem Kneten und Formen des Teiges durch einen Menschen werden die Pizzen in der Bäckerei von Robotern weiterverarbeitet. Gebacken werden diese dann während der Auslieferung in fernsteuerbaren Öfen, die in Liefer-Trucks integriert sind. Dass die Pizza dann genau zur Ankunftszeit pünktlich fertig ist, wird durch ein intelligentes System möglich gemacht, das in der Lage ist aufgrund der aktuellen Verkehrsdaten die Fahrtdauer zu errechnen und auf deren Grundlage die Öfen im Lieferfahrzeug zu starten.
3. Self-Driving-Delivery
Besonders mit den aktuellen technologischen Innovationen, den autonomen Lkw, Drohnen und Robotern, wird es einfacher, viele Aufträge gleichzeitig und in kurzer Zeit zu übernehmen. Synchronisierte Lieferprozesse sind ein Faktor, mehr Kundentransparenz der andere: Den Überblick liefert eine App für den Kunden, der damit sieht, wann das Paket in der Nähe ist. Denn Schnelligkeit ist nicht alles, auch die Servicequalität muss stimmen.
Best Practice: Starship Technologies – Roboter in ländlichen Gegenden
Ein Beispiel für selbstfahrende Lieferungen ist das Start-up Starship Technologies, das die letzte Lücke der On-Demand-Lieferungen schließen will. Hierfür sprechen Skype-Mitbegründer Ahti Heinla und Janus Friis die ineffizientesten Liefergebiete an: nämlich Wohnviertel. Die kleinen rollenden Transportroboter des Unternehmens sind in der Lage, Pakete bzw. Waren bis zu einem Gewicht von zehn Kilogramm innerhalb eines Ein- bis Drei-Meilen-Radius in 15 bis 30 Minuten auszuliefern. Dafür sind sie mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs, mit Kamera und GPS ausgestattet, um nirgends anzuecken und jederzeit ortbar zu sein.
Trendprognose: Vertrauen in Anbieter schlägt Schnelligkeit
Der „Markt der letzten Meile“ ist im Umbruch. Klar ist: Wer in Zukunft im Liefergeschäft mithalten will, muss jetzt Geld in die Hand nehmen und sich Anteile sichern. Experimentierfreudige Startups schaffen lokale Netzwerke für Unternehmen und eröffnen damit neue Möglichkeiten. Der Markt um die letzte Meile ist trotz einer gewissen Veränderungsgeschwindigkeit noch relativ jung und bietet ein großes Potenzial für Innovationen. Deshalb haben viele Händler und Unternehmen die Chance, sich erfolgreich gegenüber der Konkurrenz zu positionieren – vorausgesetzt, die Lieferlösungen stimmen. Entscheidend hierbei sind nicht nur clevere Logistiklösungen, die maximale Geschwindigkeit ermöglichen, sondern vor allem auch die Servicequalität. Transparenz für den Kunden ist und bleibt hierbei oberstes Gebot, denn sein Vertrauen ist der eigentliche Rohstoff dieser Industrie. Gewinnen wird nicht der schnellste, sondern derjenige Anbieter, dem der Kunde den Schlüssel für den Kofferraum seines Autos anvertraut.
Retail Report 2018: Die vier großen Retail-Trends
Im diesjährigen Retail Report stellen wir die Potenziale der vier aktuell wichtigsten Tech-Trends in den Fokus.
- Retail Recruiting: Der Verkäufer hinter der Kasse ist ein Auslaufmodell – hingegen werden mehr Digital-Experten in der Retail-Branche benötigt. Der Handel muss sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren, um die Young Talents mit den benötigten Digital-Skills zu begeistern.
- Dash Delivery: Durch den anhaltenden Boom des E-Commerce wird die Auslieferung auf der letzten Meile zur Herausforderung. Der Wettstreit zwischen Händlern und Logistikern um die besten Innovationen ist entbrannt. Convenience wird zum Trumpf.
- RoboRetail: Die Automatisierung von Prozessen macht vor dem Handel nicht Halt: Vor allem in der Logistik und Lagerhaltung kommt Robotertechnologie verstärkt zum Einsatz. Der Roboter am PoS bleibt der Einzelfall.
- Voice Commerce: wird zu einer intelligenten Erweiterung des E-Commerce. Digitale Sprachassistenten ermöglichen das Einkaufen per Sprachsteuerung unabhängig von Bildschirmen.
Dieser Artikel ist ein gekürzter Auszug aus dem „Retail Report 2018“.