Lebensmittelhandel: Trading Up für mehr Qualität, Service und Frische

Die Branche erlebt eine Aufwertung auf ganzer Linie. Lebensmittel einkaufen wird damit schöner – doch kann es auch zu einem Erlebnis werden? Ein gekürzter Auszug aus dem “Retail Report 2018”.

Von Janine Seitz

Foto: Kochhaus / www.kochhaus.de

Führte vor einigen Jahren noch die Erkenntnis zu Verwirrung, dass Konsumenten sowohl beim Discounter als auch im Feinkostgeschäft einkaufen, zeigt sich diese Verschmelzung nun auch in den einst klaren Konzepten zur Distribution von Lebensmitteln. Discounter rüsten ihr Angebot mit Markenprodukten auf, Supermärkte liefern nach Hause, und SB-Warenhäuser bieten auf ihrer Fläche Genuss- und Erlebnisinseln. Wir erleben ein Trading Up im Lebensmitteleinzelhandel. Vor allem in die bessere Ausstattung und in das Store-Design wird investiert.

1. Vom Hard-Discounter zum Convenience-Discounter

Weil die LEH-Discounter in Deutschland mit der Preisstrategie allein nicht mehr Erfolg haben und eine Stagnation der Umsätze bis hin zu einer Sättigung des Marktes in Deutschland und Österreich eingetreten ist, setzen die Discounter verstärkt auf Expansionskurs in neue Märkte, darunter selbst China. Länder, die auf keine „Discount-Tradition“ wie in Deutschland zurückblicken können, konnten sie über die Preisstrategie im Sturm erobern. Aldi will bis 2022 in Großbritannien mit 1.000 Filialen vertreten sein, Mitte 2016 lag die Anzahl laut Unternehmensangaben bereits bei 627. Weltweit ist Aldi mittlerweile in 17 Ländern, Lidl sogar in 25 Ländern vertreten. Der Discounter Penny Denken Sie über Ihre Branche hinweg: Handel, Gastronomie, Handwerk und Events verschmelzen immer mehr hat neben Deutschland Filialen in fünf weiteren europäischen Ländern.

In der Schweiz haben Aldi und Lidl allerdings erfahren, dass auch im Ausland die Strategie des reinen Preiskampfes allein noch nicht zum Erfolg führen muss – eine Anpassung an die nationalen Konsumgewohnheiten war nötig. Während es die Billig-Strategie den deutschen Unternehmen zwar zunächst erlaubte, in der Schweiz Fuß zu fassen, schafften sie es zum durchschlagenden Erfolg erst mit der Ergänzung des Sortiments durch regionale Produkte aus der Schweiz sowie mit Konzepten, die auf Nachhaltigkeit und Frische setzen.

2. Vom Supermarkt zum Super-Service-Markt

Supermärkte sind in ihrer Evolutionsstufe schon einen Schritt weiter als die Discounter. Sie sind aktuell die Innovationstreiber im LEH und voller Experimentierfreude – und die anderen Konkurrenten schneiden sich von ihren Ideen häufig eine Scheibe ab. Supermärkte haben bereits früher als die Discounter erkannt, dass sie mehr bieten müssen als die Funktion einer Vorratskammer. Während Discounter bis vor wenigen Jahren noch stetig wuchsen, haben Supermärkte schon seit Jahren mit Umsatzrückgängen und einem Filialsterben zu kämpfen. Die Anzahl der Supermärkte in Deutschland hat sich von 2008 bis 2016 beinahe halbiert: von gut 13.000 auf knapp 7.500 (Nielsen 2016). Aus diesem Grund wurde eine Aufwertung auf ganzer Linie vollzogen.

3. Disruption im Lebensmitteleinzelhandel

Den Lebensmittelhandel radikal neu zu denken, das fällt vielen Branchen-Playern schwer – zu groß ist die Befürchtung, mit komplett andersartigen Konzepten zu scheitern. Die Erfolge aus der Vergangenheit, die noch bis in die Gegenwart hineinreichen, gelten häufig als Argument gegen einen disruptiven Wandel: „So schlecht läuft’s doch gar nicht.“ Weitermachen wie bisher und kleine Veränderungen vornehmen ist eine Option, die zumindest die nächsten fünf Jahre noch gut funktioniert – so die vorherrschende Meinung. Der LEH wägt sich auch deshalb in Sicherheit, weil bereits seit Längerem der kommende Online-Handel mit Lebensmitteln propagiert wird, aber bis jetzt noch kein durchschlagender Erfolg sichtbar geworden ist. Der Start von Amazon Fresh in Deutschland bringt nun eine ganze Branche zum Zittern.

4. Vom SB-Warenhaus und Verbrauchermarkt zum Erlebniscenter und Foodmarket

Während der LEH-Discount und die Supermärkte fleißig und erfolgreich experimentieren, stehen SB-Warenhäuser und Verbrauchermärkte vor großen Herausforderungen. Denn wer heute extra ins Auto steigt, um einzukaufen, erwartet mehr als reine Bedarfsdeckung. Die Ursachen für diese neue Erwartungshaltung sind der Online-Boom, kleinere To-go-Formate in Wohnortnähe und der Wunsch nach Frische seitens der Kunden. Daher werden heute mehr kleinere Einkäufe getätigt, während die großen Wocheneinkäufe zurückgehen.

2013 kauften laut der Verbrauchs- und Medienanalyse 36,1 Millionen Menschen in Deutschland mehrmals pro Woche Lebensmittel und Getränke für ihren Haushalt ein, 2016 ist die Anzahl auf 38,3 Millionen angestiegen. Die GfK bestätigt in einer Untersuchung, dass beinahe die Hälfte aller Einkäufe von Fast Moving Consumer Goods in Geschäften getätigt werden, die innerhalb von fünf Minuten Fahrzeit erreichbar sind. Nur knapp 20 Prozent der Konsumenten sind bereit, für den Einkauf von Waren des täglichen Bedarfs mehr als zehn Minuten Fahrzeit auf sich zu nehmen.

5. Renaissance des Handwerks

Die Integration von Produzenten in Supermärkte sowie der Trend zu Food Markets zeigt: Wir erleben eine Renaissance des Handwerks. Diese geht zum einen auf den Wunsch zurück, Dinge selbst zu machen und zu produzieren – und die damit verknüpfte Vorliebe für individuell hergestellte Produkte. Zum anderen ist sie Folge des wachsenden gesellschaftlichen Bedürfnisses, zu wissen, wo etwas herkommt und wie es hergestellt wurde. Das Selbstgemachte und Handgefertigte wird in Zeiten der Massenfertigung mit einem besonderen, beinahe spirituellen Wert aufgeladen. Konsumenten wollen sich mit dem Wunsch nach “Do it yourself” nicht aus dem traditionellen Wirtschaftssystem ausklinken, sich aber stärker in die Nahrungsmittelproduktion einklinken.

6. Erfolgreich in der Nische

Der wachsende Wunsch nach Individualisierung bringt zahlreiche unterschiedliche Bedürfnisse hervor. Doch unter den Individualisten finden sich stets Gleichgesinnte: Aus ihnen formen sich Interessengruppen, die ein entsprechendes Angebot am Markt fordern. Nischenkonzepte bieten Konsumenten nicht-massenfähige Produkte und Services, die sie sonst nur schwer erhalten. Wer etwas Besonderes anbietet, kann daher auch damit rechnen, dass Kunden den Anbietern eine hohe Loyalität entgegenbringen.

Nischen können lange Zeit erfolgreich neben dem Mainstream existieren – oder aber auch in den Mainstream übergehen. Lange Zeit galten etwa vegetarische und vegane Lebensmittel oder Produkte für Allergiker als Nische, heute finden sich fleischlose Würstchen, Sojaschnitzel, laktosefreie H-Milch oder glutenfreie Backwaren in den Regalen zahlreicher Lebensmittelmärkte. Bei der Spezialisierung auf Nischeninteressen können kleine Fachgeschäfte und Supermärkte, die in den vergangenen Jahren ganz klar die Verlierer im Lebensmitteleinzelhandel waren, wieder punkten. Ihre Zukunft liegt nicht mehr in einem umfangreichen Angebot, sondern darin, eine Nische professionell zu besetzen.

Fazit

  1. Die Distributionskonzepte des stationären Einzelhandels verschmelzen immer mehr. Hierbei zeigt sich in allen Bereichen eine Aufwertung hin zu mehr Qualität, Service und Frische.
  2. Discount wird immer „supermarktiger“, der Supermarkt immer serviceorientierter und auf großen Handelsflächen wird mit branchenübergreifenden Erlebnisangeboten experimentiert.
  3. Die Verknüpfung von Retail- und Gastronomie-Angeboten wird von Konsumenten positiv aufgenommen. Hierbei gewinnen auch neue Marktkonzepte, die mehr Third Places als Einkaufsstätten sind.
  4. Food-Lieferkonzepte boomen – doch die Digitalisierung hat die Lebensmittelbranche noch nicht erreicht. Zahlreiche Start-ups im Bereich Food und Technologie stehen bereits in den Startlöchern, um die digitale Disruption im LEH voranzutreiben.
  5. Auch in Zukunft ist Platz für erfolgreiche Nischenkonzepte: von der Inszenierung der Handwerkskünste über Ethnic Food bis zu ländlicher Nahversorgung.

Dieser Artikel ist ein gekürzter Auszug aus dem “Retail Report 2018”.

 

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Dossier: Handel

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„Handel ist Wandel“ – das ist die Devise einer Handelslandschaft. Das Flächenwachstum im stationären Einzelhandel stößt an seine Grenzen und im Internet wird die Handelswelt neu vermessen.

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