Mode-Revolution: Secondhand wird professionell

Der Modehandel steckt in der Krise – inzwischen setzen auch die Big Player im E-Commerce auf zirkuläre Business-Modelle. Alten Lieblingsstücken ein zweites Leben einzuhauchen spricht vor allem nachhaltig orientierte Lebensstile an – zugleich birgt der Secondhand-Markt ein wirtschaftliches Potenzial für Händler. Ein Auszug aus dem Retail Report 2021.

Foto: Carla Burke/Pixabay

Ditch Your Stuff

Der Secondhand-Markt boomt – und zwar online. Grund hierfür ist der wachsende Trend zu Tidyism, der durch die Coronakrise noch weiter verstärkt wurde – und das weltweit. Die Menschen räumen auf und misten aus: Keller, Dachböden, Kleiderschränke werden entrümpelt. Und nicht selten entdecken sie dabei Produkte, die sie kaum nutzen oder noch nie benutzt haben. Zum Wegwerfen zu schade, suchen sie Möglichkeiten, für diese Objekte neue Besitzer und Besitzerinnen zu finden. Der Hashtag #ditchyourstuff machte in den sozialen Netzwerken Furore – vor allem weil er seinen Ursprung im konsumfreudigen China hatte.

Aber auch hierzulande sind Angebot und Nachfrage auf Wiederverkaufsplattformen im Lockdown gestiegen. eBay spricht von einem rapiden Wachstum bei den Kleinanzeigen. Seit dem Beginn der Corona-Maßnahmen in Deutschland habe sich „die Zahl der aufgegebenen Anzeigen teilweise verdreifacht“. Am beliebtesten sind Fahrräder und Gartenzubehör, aber auch Gesellschafts- und Videospiele, Bücher und Filme werden verstärkt angeboten und nachgefragt. Auch die Marktplätze für Gebrauchtes Momox, Kleiderkreisel, Shpock und Medimops erfreuen sich einer wachsenden Beliebtheit.

Das Ende von Fast Fashion

Hinzu kommt, dass Secondhand-Mode inzwischen ihr verstaubtes Image abgelegt hat. Immer mehr Menschen sind gegenüber zirkulären Modellen aufgeschlossen, sei es der Wiederverkauf, das Leihen oder auch das Upcycling von gebrauchten Produkten. 71 Prozent der Konsumenten wollen mehr in eine hochwertige Qualität der Kleidung investieren und zeigen ein verstärktes Interesse an zirkulären Business-Modellen wie Wiederverkauf, Verleih und Reparatur in Folge von COVID-19, wie eine Umfrage von McKinsey unter mehr als 2.000 Personen in Deutschland und Großbritannien zeigt. Zudem steht die Fashion-Industrie vor einer existenziellen Krise: Das Ende von Fast Fashion ist erreicht.

Die gesamte Modebranche wurde durch die Krise hart gebeutelt, ist sie doch größtenteils auf konsumfreudige Shopper angewiesen. Das Fast-Fashion-System mit zahlreichen Kollektionen und unzähligen Mid-Sales wurde ausgebremst. Die Branche steht vor einem Umdenken. Die erzwungene Konsumabstinenz in den Einkaufsstraßen wurde nicht durch Online-Käufe kompensiert – und auch nach Öffnung der stationären Stores zeigte sich kein Run auf die heißesten Modetrends. Ein achtsamer Konsum wird die Fashionbranche umkrempeln.

Pre-Owned & Pre-Loved: Zweite Chance für Mode

Ein Blick auf die Big Player im Mode-Online-Handel zeigt, warum sie zu den Innovationstreibern in der Branche gehören. Und macht klar, dass und auf welche Art und Weise der Trend zu Circular Fashion künftig salonfähig werden wird. So möchte beispielsweise Zalando ab Herbst 2020 die neue Produktkategorie Pre-Owned einführen. Dieser Entscheidung ging eine zweijährige Pilotphase mit der Wardrobe-App voraus, über die Kundinnen ihre Kleidungsstücke teilen und verkaufen können. Bis 2023 will Zalando so mit Pre-Owned das Leben von 50 Millionen Kleidungsstücken verlängern. Auch der sechsmonatige Test eines Secondhand-Stores mit Namen Zircle im Berliner Shopping Center Alexa verlief erfolgreich.

Plattformen als Fundgruben für Einzelstücke

Tarek Müller, Gründer von About You, prognostiziert in einem OMR-Podcast mit Philipp Westermeyer, dass der Secondhand-Markt exponentiell wachse und in zehn Jahren 20 Prozent der Kleidungskäufe aus zweiter Hand stammen werden: „Erstens digitalisiert sich der Secondhand-Laden um die Ecke. Zweitens wird der Gesamtmarkt durch die Nachhaltigkeitsdebatte aktuell größer. Und auch unabhängig davon wächst er, weil nationale und internationale Märkte entstehen, in denen Secondhand erst Sinn macht“. Einfach erklärt: Secondhand-Mode sind immer Einzelstücke, sprich: Die Wahrscheinlichkeit, im Secondhand-Laden um die Ecke ein Kleidungsstück zu finden, das gefällt und zugleich auch passt, ist relativ gering. Online werden diese Einzelstücke dann beispielsweise deutschlandweit kumuliert präsentiert, somit ist die Auswahl viel größer und man ist erst in der Lage, Secondhand auch tatsächlich einzukaufen. Plattformen werden hierfür den entscheidenden Impuls liefern, indem sie den Einkaufsprozess optimieren: Nicht mehr Consumer-to-Consumer wie auf Kleiderkreisel oder eBay-Kleinanzeigen, sondern mit allen Rechten und Services wie beim Einkauf von Neuware, also geprüfte Ware, Rückgaberecht, versicherter Versand etc. Künftig wird dann sowohl neu als auch gebraucht gekauft wie auch geliehen.

Raus aus der Krise: Circular Fashion für mehr Vielfalt

So kommt es weltweit zu einem Paradigmenwechsel: Mode wird zwar nicht immens weniger, aber anders konsumiert. Textilien sind kein Einweg- und Wegwerfartikel mehr, sondern werden mehr und mehr im Kreislauf gehalten. Secondhand verliert sein verstaubtes Image und wird zu einer weiteren Form der Konsumkultur wie auch das Leihen von Mode. Vor allem Online-Plattformen machen das Verkaufen und Entdecken von Lieblingsstücken mit einer Vorgeschichte einfach und bequem, indem sie Vielfalt ermöglichen sowie Qualität und Sicherheit garantieren – und zu einem besonderen Erlebnis, indem sie den Fun-Faktor des Shoppings mit gutem Gewissen in den Mittelpunkt stellen.


Über die Autorin

Theresa Schleicher ist eine der führenden Retail-Beraterinnen Deutschlands. Die Trendforscherin ist in der Geschäftsleitung von VORN Strategy Consulting tätig und berät seit vielen Jahren die Handelsbranche. Innovative Handelskonzerne vertrauen auf Ihre Expertise, wenn es darum geht auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die Tech-Trends und die Wünsche der Kunden zu reagieren. Seit 2010 ist sie als strategische Beraterin und Rednerin für das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main und Wien tätig.


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