Die Digitalisierung hat das Konsumverhalten grundlegend geändert – vor allem der E-Commerce sorgt dafür, dass Retail-Konzepte vollkommen neu gedacht werden müssen.
Von Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit (04/2016)
Die Digitalisierung hat das Konsumverhalten grundlegend geändert – vor allem der E-Commerce sorgt dafür, dass Retail-Konzepte vollkommen neu gedacht werden müssen.
Von Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit (04/2016)
Laut der YouGov-Studie 2014 besuchen nur 24 Prozent der Deutschen regelmäßig ein Kaufhaus, vor allem für die jüngere Generation sind Karstadt & Co. wenig attraktiv. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen: Wir steuern auf das Ende des Kaufhauses und des Einkaufszentrums in ihrer derzeitigen Form zu. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass alle Kaufhäuser verschwinden, aber ein Umdenken und neue, innovative Konzepte werden nötig. Je nach Standort, im Zentrum oder am Stadtrand, gibt es unterschiedliche Lösungsansätze, um mit dem Ende der klassischen Konsumpaläste umzugehen.
In den großen Metropolen wie auch in Kleinstädten gibt es bereits einige erfolgreiche Konzepte, die ein Beispiel für die Wiederbelebung der ehemals homogenen Einkaufswelten setzen. Neue Mischnutzungen bieten vielfältige Möglichkeiten, die Geschäfte mit Büroflächen, Arztpraxen, Unterhaltungsangeboten, Gastronomie und mancherorts sogar Wohnungen zu kombinieren. Fast wie in einer europäischen Stadt werden hier verschiedene, sich gegenseitig positiv beeinflussende Anziehungspunkte geschaffen. Diese komplexen Systeme kombinieren verkaufsfördernd verschiedene Nutzungssituationen. So kann nach dem Besuch im viel besprochenen Restaurant gleich nebenan noch schnell eingekauft werden. Mischnutzungen bieten Anziehungspunkte, die immer auch Nebeneffekte auf Nachbarnutzungen haben. Das Einkaufen selbst ist nicht mehr Magnet, sondern wird sehr praktisch mit anderen Erledigungen kombiniert.
Umnutzung: Innerstädtische Großnutzer Wo die Mischnutzung nicht möglich oder zu aufwendig erscheint, finden sich für die ehemaligen Konsumgiganten neue Großnutzer. Ein Vorteil ist in vielen Fällen die gute Lage der meisten Kaufhäuser und das mancherorts eingeschränkte Angebot an großen, zusammenhängenden innerstädtischen Flächen. Eine Herausforderung stellt in vielen Fällen die Gebäudestruktur dar. Meist wenden sich die Gebäude vom Umfeld ab und verschließen ihre Fassaden. Der Umbau ist oft aufwendig. Beispiele wie die Umnutzung des ehemaligen Kaufhauses Horten in Plauen zum Landratsamt Vogtlandkreis oder des Chemnitzer Kaufhauses Schocken zu einem Museum bilden als Bauten der öffentlichen Hand eine besondere Ausnahme. Beim geplanten Einzug eines Seniorenzentrums in das neue „Rathaus-Carré“, ehemals Kaufhaus Victor in Stolberg bei Aachen, handelt es sich dagegen um ein privat finanziertes Projekt. Beispiele aus den USA gehen noch einen Schritt weiter: Der Internetgigant Google baute sich die ehemalige Mayfield-Mall in Mountain View, Kalifornien, zum Bürostandort aus.
Unsere Städte waren vor vielen Jahren voll von kleinen bis mittelgroßen Einzelhändlern. Diese wurden durch immer größere Komplexe und Konglomerate ersetzt. Seit den Nachkriegsjahren waren das Kaufhäuser, seit den 1960ern Einkaufszentren. Der zunehmende Multi-Channel-Retail und die sich damit wandelnden Anforderungen an den physischen Handelsplatz läuten nun eine neue Ära des Shopping-Erlebnisses ein. Die großen Immobilien des Handels werden zu Logistikzentren, Callcentern und Büroflächen umfunktioniert, Retail-Flächen werden verkleinert, Handelskonzepte verschmelzen mehr und mehr mit Gastronomie- und Dienstleistungsangeboten zu hybriden Flächen, auch die Nähe zum Kunden in innerstädtischen Lagen ist wieder interessant. Und das nicht nur für kleine Marken, sondern zunehmend für die Big Player. Die frei werdenden innerstädtischen Großflächen werden zu Hybrid Spaces, die nun auch (wieder) kleinen, kreativen Einzelhändlern die Möglichkeit bieten, in guten Lagen Flächen zu mieten. Damit wird ein Strukturwandel in unseren Innenstädten möglich.
Kaufhaus Breuer, Eschweiler: Mischnutzung im Kaufhaus
Das Kaufhaus Breuer ist ein beispielhaftes Projekt zur Umnutzung eines ehemaligen Kaufhauses zu altersgerechtem Wohnraum in der Eschweiler Innenstadt. In dem mehr als 30 Jahre lang leer stehenden ehemaligen Kaufhaus wurden auf zwei Etagen großzügige, barrierefreie Wohnungen geschaffen. Darüber hinaus verfügt das Gebäude nach dem umfangreichen Umbau über eine gemeinschaftliche Dachterrasse, einen großen Gemeinschafts- und Veranstaltungsraum im vollverglasten Obergeschoss sowie Flächen für den Einzelhandel im Erdgeschoss. Das Gesamtkonzept ist auf die Wünsche und Bedürfnisse von älteren und behinderten Menschen ausgerichtet, die zentrale Lage im Innenstadtbereich sorgt für eine hervorragende Nahversorgung der Bewohner.
Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz:
Umnutzung im historischen Objekt Das ehemalige Kaufhaus Schocken, entworfen von Erich Mendelsohn, wurde 2014 als Museum für Archäologie wiedereröffnet. Als Vorbild für diese Konversion diente der Umbau des historischen Warenhauses Tietz in Chemnitz, in dem sich heute unter anderem das Museum für Naturkunde, die Neue Sächsische Galerie, die Stadtbibliothek und die Volkshochschule befinden.
Kaufhäuser und Einkaufszentren – die ehemaligen Einkaufsmagneten in den Innenstädten oder Peripherien – unterliegen einem starken Wandel und müssen als Konzept überdacht werden. Das ist eine Chance für Projektentwickler, aber auch für den Einzelhandel in den Innenstädten: Bestehende Gebäude werden komplett umgenutzt oder deren Funktion durch innovative, kleinteilige Mischnutzungen ersetzt. Der neue Abwechslungsreichtum und die kleinteiligeren, hybriden Nutzungen können zur Wiederbelebung der Innenstädte beitragen.
Dieser Text ist ein gekürzter und leicht veränderter Auszug aus dem Immobilien Report 2016
Die Architekten Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit gründeten 1998 in Los Angeles das Architekturbüro GRAFT. GRAFT hat zahlreiche nationale und internationale Preise gewonnen und im Laufe seines Bestehens internationale Beachtung erlangt. Heute beschäftigt GRAFT 100 Architekten und Künstler weltweit.