Im Fluss der Disruption

Im Fluss der Disruption, ©Zukunftsinstitut

Ist wirklich alles nur noch Krise?

Beim ersten Betrachten der Megatrend-Map entsteht oft ein irritierender Effekt: Sind die vielen Trendbegriffe, die hier miteinander in Beziehung und Verbindung gesetzt werden, nicht allesamt viel zu positiv formuliert? Sind die heutigen dystopischen Entwicklungen nicht viel stärker als die evolutionären Wandlungsphänomene? 

Der Philosoph Peter Sloterdijk bezeichnete die Politik von Angela Merkel neulich als „Palliativpolitik“. Die Politik der Kanzlerin passe so gut ins 21. Jahrhundert, „weil wir uns eine ausgeheilte Welt oder eine Weltgesellschaft im Zustand der Nicht-Krise gar nicht mehr vorstellen können“. Die Geschichte, so fühlen viele, neigt sich verschiedenen Enden zu: „Noch nie Wir können uns eine ausgeheilte Welt gar nicht mehr vorstellen war die Weltgeschichte so prekär!“ Doch diese Gegenwartsbeschreibung ist in Wirklichkeit uralt – so alt wie die Kultur der Menschheit selbst ist auch die Klage über ihre Unheilbarkeit. Der Historiker Andreas Rödder behauptet hingegen in seinem Buch „21.0“: Die Welt war für diejenigen, die in ihr leben, immer schon prekär, gefährlich, unsicher. Vor hundert Jahren fürchtete man sich mit viel mehr Berechtigung vor Krieg und Armut, vor Verlust von Leben und Gesundheit. Auch damals schon gab es kulturell überformte Ängste – vor Schnelligkeit, vor gefährlichem Sittenzerfall oder den verderblichen Reizen von Literatur. Romanlesen zum Beispiel galt vor 150 Jahren als Ursache geistiger Verwirrung – ähnlich wie heute das Internet. 

Ja, wir sind verwirrt. Aber womöglich waren wir es immer schon. Die Welt wird nicht wahrhaft schlechter: Es ist nur unsere Rezeption, die aus dem Ruder läuft. Immer schwerer können wir zwischen NAH und FERN unterscheiden. Der Megatrend Konnektivität lässt grüßen. Bestimmte Worte spielen bei dieser heillosen Weltinterpretation eine Schlüsselrolle. Der Soziologe Ulrich Beck hat mit seinem Begriff der WELTRISIKOGESELLSCHAFT unsere Panik vor der Globalisierung auf den Punkt gebracht. In diesem gutgemeinten Gefahrenvokabular wird aber die andere Seite der Globalisierung einfach vergessen: die multiple Küche, unser Wohlstand, der durchaus auch globale Gründe hat, und die kulturelle Diversität. 

Veränderungen als Bedrohungen umzudeuten ist eine weit verbreitete Übung. Man kann die Rhetorik der Super-Krise auch als eine Art GEGENWARTS-EITELKEIT verstehen: Wir sind seltsam stolz darauf, in der gefährlichsten aller Welten zu leben. Ein anderer deutscher Philosoph, Odo Marquard, spricht vom „Krisenstolz“. In einem Interview mit dem SPIEGEL formulierte er: „Die Menschen sind viel zu zerbrechlich, um sich die Totalnegativierung des wirklichen Lebens, diesen permanenten Luxus des Krisenstolzes leisten zu können. Gegen diese philosophische Wacht am Nein und ihre stetig steigende Jammerrate halte ich den nüchternen Blick auf das, was an der modernen Welt Nicht-Krise ist, die Einübung in die Zufriedenheit damit, dass das Leben endlich und bunt ist; und dass die Entzweiung in den rationellen Fortschritt, heute Globalisierung genannt, (…) nicht überwunden, sondern ausgehalten werden muss.“ 

Krisentrends, revisited

Gibt es tatsächlich heute immer mehr Kriege und Flüchtlingsströme und Elend auf der Welt? Und wäre dann nicht ein „Megatrend Völkerwanderung“ dringend nötig auf unserer Karte? Die Daten geben das nicht wirklich her. Zwar ist die Anzahl der weltweiten Flüchtlinge in den letzten Jahren auf fast 60 Millionen gestiegen. Aber diese „Ströme“ sind meistens gar keine Ströme. Der größte Teil der Menschen auf der Flucht sind Binnenflüchtlinge – von den über 60 Mio. auf der Flucht befindlichen Menschen 2014 flüchteten 38,2 Mio. innerhalb des eigenen Landes. Und im Vergleich mit den gewaltigen Migrationen der Vergangenheit ist das kein qualitativer Wandel. Trotz des Trecks auf der Balkanroute sind die heutigen Konflikt-Wanderungen keine Völkerwanderung, die es nur im Entferntesten mit den Flüchtlingsströmen nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem 30-jährigen Krieg, in den Kälteperioden des Spätmittelalters oder den echten Völkerwanderungen, die Rom zum Einsturz brachten, aufnehmen kann. 

Hans Rosling, der Apologet einer neo-statistischen klugen Weltbetrachtung, hat mit seinem GAPMINDER-Projekt und in seinem „Global Ignorance Test“ (www.gapminder.org/ignorance) die globalen Wohlstandstrends kartographiert. Wer sich mit diesem Datenmaterial auseinandersetzt, gerät ins Staunen: Die meisten globalen Trends zeigen in eine positive Richtung! Globale Bildung, globale Gesundheit, Lebenserwartung, Geburtenraten, Impfungen … die bittere Armut auf dem Planeten Erde hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich reduziert! Wie aber ist das mit den Kriegen? Der zwischenstaatliche Krieg zwischen Iran Diplomatie spielt heute eine andere Rolle. Polarisierungen sind seltsam gedämpft. Mobilisierungen sind in einer pluralen Meinungsgesellschaft weniger möglich. und Irak, der von 1980 bis 1988 noch über eine Million Tote forderte, erzeugte zwei Millionen „displaced persons“ – Menschen, die ihre Wohnung, ihren Lebensort verloren, aber nicht als Flüchtlinge ins Ausland zogen. Die „Killing Fields“ von Ruanda und Kambodscha, die letzten registrierten Völkermorde, kosteten fast vier Millionen Menschen das Leben. Können solche extremen Exzesse der Gewalt nicht jederzeit wiederkehren? Die Antwort muss notwendigerweise JA lauten. 

Denn ein Ausdruck wie „können“ ist unscharf. Wir müssten fragen: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für die Rückkehr von großen Völkermorden oder großen globalen Konflikten? Die kriegerisch-instabile Lage in der arabischen Welt scheint die These von der wachsenden Fragilität des (Welt-)Friedens zu bestätigen. Aber es gibt Historiker, die dies von einer anderen, nämlich systemischen Warte betrachten. Das Szenario des Nahen Ostens ähnelt tatsächlich in vielerlei Weise der des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Instabile Nationalstaaten mit despotischen Regierungen kämpfen um Vorherrschaft. Umliegende Supermächte sind beteiligt und verstrickt. Ein ideales Feld für einen großen Krieg! Und doch hat sich etwas in der weltweiten Machtmechanik verändert. Trotz Putin. Trotz – oder gerade wegen – einer geschwächten Weltmacht Amerika. Diplomatie spielt heute eine andere Rolle. Polarisierungen sind seltsam gedämpft. Mobilisierungen sind in einer pluralen Meinungsgesellschaft viel weniger möglich. Könnte es so etwas wie einen kriegshemmenden Effekt von Meinungs-Konfusion geben, wie sie in der Medien-Internet-Gesellschaft vorherrscht? Und lohnen sich klassische, frontale, zwischenstaatliche Kriege überhaupt noch – in einer Welt vernetzter ökonomischer Strukturen? 

Vielleicht ist das die Lehre, die gerade wieder einmal gezogen wird: Kriege sind unsäglich ruinös! Bislang (Stand Winter 2015) forderte der schreckliche Syrien-Krieg 260.000 Tote. Gleichzeitig gingen jedoch weltweit andere Bürgerkriege zu Ende, etwa der Bürgerkrieg in Kolumbien, der die gleiche Anzahl von Opfern kostete, ohne dass wir das überhaupt wahrnehmen. Eine statistische Spitze erlebte die Anzahl weltweiter Bürgerkriege eher in den 1990er Jahren.

In jeder anderen vergangenen Zeit war die Anzahl der Opfer menschlicher Gewalt höher als heute. In den Jäger- und Sammlerkulturen kam bisweilen bis zur Hälfte der Bevölkerung durch Mord und Totschlag um. Im Mittelalter wurde öffentlich gehenkt, geköpft, gepfählt – ein Leben galt wenig bis in die frühe Neuzeit, die alsbald die industrielle Vernichtung von Menschen praktizierte. Nein, es ist nicht die MORAL, die den Frieden bringt. Aber neue Formen von Kooperation, Nutzen-Erwägungen, ein anderes Spielfeld-Design des Gesellschaftlichen und Ökonomischen.

System, Störung, disruptiver Gewinn

Die Stadt Akrotiri auf der griechischen Vulkaninsel Santorin war über viele Jahrhunderte eine blühende Metropole. Im 17. Jahrhundert vor Christus bewohnten fast 70.000 Bewohner die Stadt. Es gab Wahlen, eine öffentliche Verwaltung, eine hoch entwickelte Kunst, eine Buchhaltung, die im ganzen Mittelmeerraum verstanden wurde – alles lange vor Die menschliche Zivilisation ist eine endlose Abfolge von Ruinen und Wiederaufbau zum Besseren der Römerzeit. Akrotiri war – nach allem, was wir wissen – das alte Atlantis, die sagenumwobene Stadt von Gold und Reichtum. Heute sind die Ruinen erst eines Zehntels der Stadt ausgegraben worden – allein diese Fläche bedeckt etwa zehn Fußballfelder. Aber man fand keine sterblichen Überreste von Bewohnern. Offenbar hatten sich diese vor dem großen Vulkanausbruch in Sicherheit gebracht. Als der Vulkan von Santorin gegen 1650 vor Christus explodierte, wurden 100 Kubikkilometer Gestein in den Himmel gerissen. Die Gewalt der Eruption zerstörte neben Atlantis/Akrotiri praktisch die gesamte minoische Kultur des 80 Kilometer entfernten Kreta. Bei den tieferen Grabungen fanden die Archäologen Erstaunliches heraus: Die Stadt Akrotiri/Atlantis war bis zu ihrer endgültigen Zerstörung von zahlreichen kleineren und mittleren Katastrophen heimgesucht worden. Alle 20, 50, 80 Jahre erschütterten starke Erdbeben die seismisch instabile Insel Santorin. Und jedes Mal bauten die Bewohner ihre Stadt wieder auf. Nur jedes Mal ein bisschen prächtiger, schöner, größer und KOMPLEXER. 

Judith Rodin, “The Resilience Dividend”

Die Evolutionsbiologin Ruth de Fries spricht in ihrem Buch „The Big Ratchet“ (Der große Bruch) von einer „katastrophischen Evolution“. Die menschliche Zivilisation ist eine endlose Abfolge von Ruinen und Wiederaufbau zum Besseren. Die gesamte Naturgeschichte basiert auf Mega-Katastrophen. Das erste Massensterben führte zum Aufstieg der Echsen. Das Aussterben der Saurier machte die Säugetiere zu Gewinnern. Und so weiter … Ähnliches gilt für die Mutationen und Disruptionen der Wirtschaft: Der Untergang der Kolonialreiche erzeugte erst den modernen, variablen Kapitalismus. Das schnelle Segelschiff zerstörte die Hanse-Monopole. Die Dampfschifffahrt zerstörte die Segeltransporte. Die Untergänge alter Branchen bringen das Neue hervor. Kreative Destruktion eben.

Silicon Valley disruptiert die alten Industrien. Kodak verliert gegen die digitale Fotografie, Nokia verliert (sich) gegen Apple. Volkswagen muss erst in den Dieselruß fallen, bevor die Elektromobilität zum Überholmanöver ansetzt. Die Bankenkrise hat für die Soziokultur europäischer und amerikanischer Städte eine positive Wirkung. Die extremen Mieten in Florida oder Frankfurt gingen zurück, der „New Urbanism“ der Kreativen bekam einen gewaltigen Schub, als die Künstler, Entdecker, die New Worker, in die Innenstädte strömten. Naturkatastrophen bringen Menschen zusammen. Nach dem großen Erdbeben von Lissabon wurde die Stadt aus den Ruinen neu aufgebaut – und entwickelte eine viel komplexere soziale Integration. Selbst der Tsunami von 2004 hat in den meisten Küstenstreifen, die damals von der Flut betroffen waren, eine Veränderung zum Besseren ausgelöst. Fast alle beteiligten Länder der betroffenen Küstenregionen verzeichneten starke Wachstumsraten, nicht nur aufgrund der Transferzahlungen. 

Schocks, Krisen, Katastrophen erzeugen einen Gegenimpuls. Sie führen – in vielen, nicht in allen Fällen – zu einer Emergenzreaktion. Sie re-organisieren und re-vitalisieren in den meisten Fällen – nicht in allen! – das gesellschaftliche System. Wir alle kennen das aus unserem privaten Beziehungsleben: Eine „angenommene“ Krise führt zu evolutionären Prozessen, in denen die Qualität (der Beziehung) steigt. Dahinter steckt das eigentliche Geheimnis der Evolution: Das Wechselspiel zwischen Reiz und Adaption, Konnektivität und Wachstum, Störung und Vitalität. 

Das Resilienz-Prinzip

Vor rund zwanzig Jahren machten Psychologen eine interessante Entdeckung. Bei Reihenuntersuchungen fanden sie heraus, dass Kinder und Jugendliche, die schwere traumatische Belastungen erlebt hatten – von Naturkatastrophen über Krieg bis zu Missbrauch und Misshandlung –, in vielen Fällen eine spezifische Stärke ihrer Persönlichkeit entwickelten. Diese Entdeckung führte zu einem Aufschwung der RESILIENZ-Forschung. Und zu einer neuen Betrachtung des Verhältnisses von Störung, Krise und Stabilität. In ihrem Buch „The Resilience Dividend“ hat Judith Rodin die Erkenntnisse dieser Forschungen auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Systeme übertragen. Rodin bringt fünf Kategorien ins Spiel, die in ihrem Zusammenspiel Resilienz – also die Fähigkeit, aus Krisen Vorteile zu ziehen – konstituieren: 

  1. BEWUSSTHEIT: sich der Risiken und Verletzlichkeiten bewusst sein. 
  2. DIVERSITÄT: Eine Organisation mit innerer Diversität kann besser auf äußere Schocks reagieren – und sie besser voraussehen. 
  3. INTEGRATION: Um auf Krisen zu reagieren, benötigt man hohe Kooperationsfähigkeit. Die kann man üben. 
  4. SELBSTREGULIERUNG: Äußere Schocks können abgefangen werden, wenn eine hohe innere Selbstorganisation herrscht - wie bei einer guten Feuerwehr. Strikt hierarchische Kontrollsysteme sind zu langsam. 
  5. PROGNOSTISCHE ADAPTION: Durch Voraussage und Antizipation entwickeln sich Systeme in Richtung höherer Robustheit. 

In diesen Rahmenbedingungen durchlaufen Individuen, Organisationen und Gesellschaften einen ADAPTIVEN ZYKLUS (siehe Abbildung oben). 

Nicholas Taleb, der zornige Systemtheoretiker und Börsenanalyst, machte vor einigen Jahren mit seinem Begriff ANTIFRAGILITÄT Furore. Er führte die Bankenkrise auf das fanatische Bemühen der Finanzwelt zurück, alles berechenbar und risikolos zu machen. Ein System, so Taleb, wird fragil, wenn es alle Störungen zu eliminieren sucht und sich damit aus der Vitalität „herausstiehlt“. „Wenn Du fragil bist, bist Du davon abhängig, einem ganz genau geplanten Kurs zu folgen, mit so wenig Abweichung wie möglich. Wenn Du nach Umwegen suchst, und Du hast kein Problem mit Störungen, weil ihr Resultat immer willkommen ist, dann bist Du ANTIFRAGIL!“ 

Die Ergebnisse der modernen Chaosforschung – und die Erfahrungen des gesunden Menschenverstandes – bestätigen: Wenn Systeme vollkommen ungestört bleiben – immer nur in einer Richtung Systeme ohne ausreichende Störungen und Krisen können nicht stabil bleiben! wachsen, sich linear verhalten, niemals „kritisiert“ werden –, neigen sie zu Eruptionen. Viele kleine Krisen verhindern den großen Kollaps. Störungen sind notwendig, weil sie Systeme VITAL HALTEN – sie mit der Umwelt auf neue Weise in Verbindung bringen. Wenn Menschen „ungestört“ vor dem Fernseher sitzen, degenerieren sie. Wenn wir keine Kinderkrankheiten haben, entwickelt sich unser Immunsystem nicht. Wenn alle Volkswagen-Ingenieure gleich denken, kommt der Abgasskandal heraus. Man könnte dieses Prinzip der dissipativen Strukturen mit folgendem Satz auf den Punkt bringen: Systeme ohne ausreichende Störungen und Krisen können nicht stabil bleiben!

Die Welt von ihrer neuen Seite aus betrachten

 

Natürlich könnten wir zu jedem Trend und Megatrend einen negativen Gegen-Trend auf der Karte eintragen:

  • GLOBALISIERUNG hätte dann den Trend NATIONALISMUS/SEPARATISMUS als Gegenpart.
  • KONNEKTIVITÄT würde durch ISOLATIONISMUS konterkariert.
  • MOBILITÄT wäre durch STILLSTAND in Frage gestellt. 

Was wäre das Gegenteil zum Trend „Crowdfunding“? Die völlige Rückkehr des tradierten Kreditwesens. Der Gegentrend zum Bio-Boom wäre die Rückkehr zur rein industriellen Nahrung. Das Gegenteil des Megatrends Frauen und Gender Shift wäre der Megatrend Männer. Das Gegenteil von Co-Working: das abgeschottete Arbeiten als „Lone Survivor“. Also die völlige Wiederherstellung der alten, lebenslang gebundenen Arbeitswelt. Das alles ist aber eben nicht wahrscheinlich: Das Alte kehrt niemals vollständig zurück.

Unsere Megatrend-Map beschreibt Das Alte kehrt nie vollständig zurück. Krisen sind Teil des Prozesses. die Zukunft als einen EVOLUTIONÄREN WAHRSCHEINLICHKEITS-RAUM: Da das Alte ja bereits existiert, ist die Wahrscheinlichkeit für das Neue hoch. Der „langfristig komplexe Trend“ (Hermann Kahn) trägt langfristig den Sieg davon – auch wenn es Rückschläge geben kann. Die epochalen Megatrends spielen bei diesem Prozess die Rolle der TREIBER, die „normalen“ Trends sind die „Zeiger“ – die Avantgarde des Neuen. Also das, was das Alte langfristig ablösen wird.

Die Megatrend-Map ist also eine Art Komplexitätsmaschine: Sie bildet die systemische Drift in höherkomplexe Systeme ab. Wobei die notwendigen – und unvermeidbaren – Krisen jedes einzelnen Entwicklungspfades (Trends) Teil des Prozesses sind. Krisen und Gegen-Trends führen zu jenen Rekursionen, in denen sich das Alte mit dem Neuen konfrontiert – und neue Synthesen entstehen. „Glokalismus“ als Verbindung von Lokalität und Globalität. „Downaging“ als Jüngerwerden in erweiterten Lebensspannen. „Flexicurity“ als Prinzip, (Arbeits-)Flexibilität und Sicherheit miteinander zu verbinden. 

 

Der Fluss der Disruption

Bleiben die „X-Events“ (John Casti), die das ganze System der Komplexitätsbildung zerstören könnten. Wagen wir ein Gedankenexperiment und bauen wir einen River of Disruptions – einen Fluss der Katastrophen, der das Netzwerk des Wandels durchströmt. Die „digitale Verrücktheit“ – leben wir nicht heute schon mitten darin? Viele behaupten sogar, wir lebten in einer Weltwirtschaftskrise– in Wahrheit leben wir aber in einem weltweiten Boom mit eingebauten Turbulenzen. Food Dooms, Nahrungsmittelknappheiten, werden lokal immer wieder vorkommen. Die Nahrungssituation der Menschheit ist durch massive Fortschritte der Landwirtschaftstechnik und höhere globale Vernetzung aber robuster geworden – der Klimawandel könnte allerdings lokale Knappheiten befördern. Ist der Klimawandel selbst eine Mega-Katastrophe? Nur dann, wenn die Berechnungen der irrsten Klimaforscher noch übertroffen würden. Vulkanausbrüche, Tsunamis, Erdbeben – all das wird es geben, aber die Wahrscheinlichkeit für „The Big One“ beträgt rund 0,02 Prozent pro Jahrhundert. Ein atomarer Weltkrieg ist möglich – aber ist er auch wahrscheinlich? Wenn der Euro zusammenbräche – wäre das wirklich eine Mega- Katastrophe? 

Im weiteren Delta der Menschheitszukunft lassen sich dann noch Disruptionen der ganz großen Art zeichnen: die Singularität, bei der der rasende technische Fortschritt uns alle in sich inkorporiert und wir unsterbliche Wesen werden. Vielleicht werden uns eines Tages Partikel aus unserer eigenen Nano-Küche umbringen – die berühmte Grey-Goo-These. Oder der Aufstand der intelligenten Maschinen: Sehen die dann alle aus wie Arnold Schwarzenegger? Und stellen wir tatsächlich einmal den Kontakt zu Außerirdischen her? Das ist noch reine visionäre Utopie.