Kollaborative Konzepte als Treiber gesellschaftlicher Innovation: Im Projekt „Open Factory“ werden Produktionsstätten zu Kollaborationsräumen erweitert.
Von Patricia Wolf und Urs Gaudenz (09/2016)
Kollaborative Konzepte als Treiber gesellschaftlicher Innovation: Im Projekt „Open Factory“ werden Produktionsstätten zu Kollaborationsräumen erweitert.
Von Patricia Wolf und Urs Gaudenz (09/2016)
Westliche Industrieländer stehen vor der Herausforderung, im globalen Wettbewerb und unter hohem Innovationsdruck nachhaltig neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Gleichzeitig ist das Schlagwort "Industrie 4.0" in aller Munde, ein Denkmodell für Veränderungen in der Industrie aufgrund von Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung entlang der Wertschöpfungskette. Beides führt zu der Frage: Wo bleibt Raum für Kreativität, wenn wir in Unternehmen immer mehr Prozesse automatisieren?
Marcellinus Pfeifer, CEO der R²manufacturing AG, ist überzeugt: "Die Antwort liegt in der Integration von Kreativ- und Produktionsprozessen." Das in Glattbrugg bei Zürich ansässige Unternehmen hat sich auf maßgeschneiderte Elektroniklösungen für die Medizin-, Telekommunikations- und Industriebranche spezialisiert. Die junge Firma verfügt über modernste Produktionsanalagen und technologisches Know-how – und sie ist offen für neue Unternehmenskonzepte.
Im Projekt "Open Factory" mit Produktdesignern und Ingenieuren aus dem Zukunftslabor CreaLab der Hochschule Luzern gestaltet die R²manufacturing AG ihre bestehende Produktionsstätte gerade testweise in Kollaborationsräume um: "Unsere Maschinen stehen häufig still, insbesondere zu Randzeiten und nachts – wir würden gern Kreativschaffenden die Möglichkeit geben, in dieser Zeit Kleinstserien für innovative Produkte zu fertigen”, erklärt Pfeifer die Projektidee. "Die Kreativarbeit soll in den Wertschöpfungsprozess eingebettet werden und so zu mehr Innovation, auch in größerer Serie, führen." Hier bekommt der Begriff "Fabrik" eine ganz neue Konnotation, weil die ursprüngliche Produktionsstätte durch Interaktion und Integration zum geteilten Kollaborationsraum wird.
Produktdesigner Stijn Ossevoort ist aktuell an den ersten Realexperimenten beteiligt. Ihn fasziniert die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die sich aus dem Teilen der Produktionsräume im Wertschöpfungsprozess ergibt: "Innovationen entstehen nicht nur in etablierten Organisationen, wie uns die aktuelle staatliche Förderpolitik oft suggeriert", so Ossevoort. "Eine Gesellschaft, die Innovationsprozesse nachhaltig fördern möchte, muss Kreativen die Möglichkeit geben, ihre Ideen in Kleinstproduktionen umzusetzen, zu testen und anzupassen."
Das Realexperiment, an dem er arbeitet, erfasst im Sinne der "Industrial Art" die Möglichkeiten und Grenzen der modernen Mikroelektronik-Produktionsanlage – und es entwickelt ein Konzept für ein neuartiges Kunstprojekt für die Produktionsanlage im Fabrikgebäude. So soll ein neues Verständnis für die Nutzung moderner Produktionstechnologie aufgezeigt und neue Designgrundlagen für die Gestaltung von interdisziplinären Kollaborationsräumen im Kontext bestehender Fabrikgebäude abgeleitet werden. Marcellinus Pfeiffer: "Kunst findet in Unternehmen eigentlich nicht statt, und falls doch, trägt sie selten dazu bei, Wertschöpfungsprozesse effizienter zu machen. Das ist hier anders."
Aus diesem und weiteren Realexperimenten entwickelt das Projekt "Open Factory" Szenarien und Handlungsoptionen, die aus der Integration von Industrie und Kreativwirtschaft in offenen Fabriken entstehen – als Kollaborations- und Innovationsräume für die beteiligten Akteure. Reflektiert und diskutiert werden Gestaltungsdimensionen in Bezug auf physisch manifeste Gebäude- und Produktionsinfrastruktur sowie auf kollaborative Elemente einer offenen Fabrik, die als gesellschaftlicher Innovationstreiber wirken soll. Die erarbeiteten Grundlagen ermöglichen im Idealfall eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit zwischen Kreativen und Unternehmen, zum Beispiel in Form einer virtuellen oder realen offenen Fabrik. Und, längerfristig: die Etablierung von Kleinstproduktionsstätten als Integrationsorte der produzierenden Industrie in urbanen Gebieten.