Lernen wird geschäftsfähig – dank Corona

Im Kontext der Coronapandemie sind digitale Trainingsformate und „Learning in the flow of work“ zum Performancetreiber geworden: Die Krise beschleunigt die Entwicklung von Lernprozessen, die dazu beitragen, Businessziele zu erreichen und die unternehmerische Wertschöpfung zu sichern. Welche Konsequenzen hat das für künftige Trainings- und Learning-Trends?

Ein Gastbeitrag von Janine Kappenberg, Senior Manager Experience Design bei der Kommunikationsagentur Stagg & Friends.

Foto: You X Ventures/Unsplash

Es scheint absurd: In der aktuell schwierigen Lage fallen oftmals viele Trainings dem Rotstift zum Opfer – dabei ist der unternehmerische Bedarf an Maßnahmen im Bereich Learning & Development (L&D) höher denn je, schließlich müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lernen, mit neuen Aufgaben, digitalen Tools und Produktionsprozessen zurechtkommen. Im Zuge der Digitalisierung reicht es allerdings nicht aus, auf die über Jahre gelernten Methoden und antrainierten Prozesse aus dem L&D-Bereich zurückzugreifen. Ersetzt werden diese nämlich idealerweise durch innovative Herangehensweisen, Technologien und zukunftsweisende Trends. Diese sechs gelten dabei am erfolgversprechendsten und effizientesten:

1. L&D wird business- und data-driven

Wenn wir für etwas Geld ausgeben, erwarten wir einen Gegenwert. Für den L&D-Bereich bedeutet dies: Wertvoll sind nur jene Trainingsmaßnahmen, die sich positiv auf das Geschäft auswirken und Mitarbeitern helfen, ihren Job besser zu machen, leistungsfähiger zu werden oder neue Fähigkeiten zu entwickeln. Dadurch werden L&D-Maßnahmen messbar, der gewünschte Trainingseffekt kann zum KPI werden (etwa weniger Anrufe bei der Service-Hotline, weniger Compliance-Vorfälle oder bessere Beratungsqualität). Ob Beschäftigte ein Training absolviert haben, muss nicht anhand von Learning Management Systemen erfasst werden. Relevant sind lediglich ihre Leistungen – denn sie beeinflussen letztlich das Geschäftsergebnis und die Unternehmensziele.

2. L&D wird nutzerzentriert

Um Beschäftigte dabei zu unterstützen, ihren Job besser machen, müssen sich L&D-Spezialisten in Unternehmen zwangsläufig mit deren Aufgaben befassen. Dabei gilt es, Empathie für die Nutzerinnen und Nutzer der Maßnahmen zu entwickeln: zu verstehen, wo sie im Job Probleme haben und wie diese gelöst werden können. Damit wird nicht nur das klassische Curriculum von einer anderen Seite aufgezogen – nämlich nicht mehr vom Inhalt ausgehend –, auch der Inhalt selbst bekommt einen anderen Stellenwert: Reale Probleme oder die „Jobs to be done“ in bestimmten Kontexten geben die Impulse.

3. L&D verabschiedet sich von „One fits all“

Stellt man den „Jobs to be done“-Ansatz in den Mittelpunkt, ergibt sich gleich der nächste Trend: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben unterschiedlichste Aufgaben und Herausforderungen – und brauchen dafür jeweils spezifische Unterstützung. Selbst vermeintlich generische Themen wie Compliance können dann individuell werden: Während die Führungskraft Hilfe bei einem Mitarbeitergespräch zu dem Thema braucht, sind für eine Sales-Mitarbeiterin eher Dos & Don'ts in der Kundeninteraktion wichtig. Deshalb wird es mehr und mehr darum gehen, für bestimmte Gruppen von Beschäftigten nützliche Ressourcen zu entwickeln, die ihnen ganz gezielt helfen, Aufgaben zu erledigen (von „Wie funktioniert eine Spesenabrechung?“ bis zu „Wie führe ich ein Feedbackgespräch?“). L&D geht damit weg vom periodischen Trainingsprogramm und dem vermeintlich günstigeren „One fits all“-Ansatz – und hin zu dem Ziel, möglichst reibungsfreie und individuelle Employee Experiences zu ermöglichen.

4. L&D-Formate werden erwachsener

Wir alle nutzen ständig digitale Video-Anleitungen oder Tutorials, um Probleme unseres Alltags zu lösen: Wie binde ich eine Krawatte? Wie baue ich ein Baumhaus? Gilt es ein Problem zu beheben, möchte man schnell und einfach zur Lösung kommen. Dieser Maxime folgen künftig auch L&D-Formate: Interaktive Bestandteile wie Drag & Drop, Hotspots oder Quizelemente werden reduziert, vermeintlich simple, aber hilfreiche Formate wie Checklisten, Guidelines, How-to-Anleitungen oder Videos setzen sich durch. Das gleiche gilt für Gamification: Nahezu alles, was dem Nutzer nicht dabei hilft, sein Problem zu lösen, wird eliminiert. Macht Lernen dann noch Spaß? Ja. Denn was ist der größere Erfolg: das Baumhaus gebaut zu haben oder dafür eine digitale Medaille zu bekommen?

5. L&D überdenkt Live-Experiences

Nahezu alle Präsenzveranstaltungen, von kleinen Seminaren und Workshops bis hin zu mehrwöchigen Großveranstaltungen mit mehreren tausend Teilnehmern fielen in diesem Jahr der Coronakrise zum Opfer. Die L&D-Branche hat mitunter schnell reagiert und alternative Formate gefunden, um Beschäftigte zu schulen, von Webinaren über Livestreamings und Videomitschnitte bis zu digitalen Events. Allerdings lässt sich erst rückblickend feststellen, inwiefern diese Alternativen die Performance der Teilnehmenden beeinflusst haben. Klar geworden ist dagegen, dass digitale Maßnahmen deutliche Einsparpotenziale besitzen. Auch deshalb steht im L&D-Bereich die Notwendigkeit von Veranstaltungen auf dem Prüfstand. Wir erwarten einen massiven Umschwung hin zu digitaler Qualifizierung. Gleichzeitig werden sich Präsenzveranstaltungen verändern, vor allem durch einen geschärften Fokus auf die Mehrwerte von Live-Experiences. Wir werden künftig wahrscheinlich weniger Trainingsveranstaltungen erleben – die dafür komprimierter sind und besser auf eine wirtschaftliche Zielerreichung einzahlen.    

6. L&D-Skills gehen mehr in die Breite

Um den neuen Anforderungen an modernes und digitales L&D gerecht zu werden, sind zusätzliche Fähigkeiten notwendig. Im Fokus stehen die Beschäftigten und ihre Bedürfnisse, ihnen gilt es zuzuhören und sie zu verstehen – um darauf basierend gemeinsam Lösungen zu entwickeln, bestenfalls in diversen Iterationsstufen. Design Thinking, Co-Kreation, User Research, Prototyping, Journey Maps und viele andere Methoden werden hier künftig eine größere Rolle spielen. Die entsprechenden Expertisen gilt es daher innerhalb eines L&D-Bereichs aufzubauen.

Was alle diese Trends eint, ist ein Mindshift, der L&D von alten Traditionen löst – von allem, was sich um Lernziele, Trainingsinhalte, Wissenstests, Erfolgskontrollen und die Anzahl abgeschlossener Trainings drehte. Dieser Prozess wird L&D schon in naher Zukunft zum festen Bestandteil des Business machen: indem es Beschäftigten hilft, ihre Probleme zu lösen und ihre Jobs zu erledigen.

Über die Autorin

Janine Kappenberg mischt seit rund 15 Jahren die Welt des Corporate Learning auf. Als Senior Manager Experience Design verantwortet sie bei der Kommunikationsagentur Stagg & Friends die strategische und inhaltliche Ausrichtung im Bereich Qualifizierung und entwickelt moderne Trainingsstrategien für alle Geschäftsbereiche.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

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