Wie können wir damit umgehen, dass gefälschte Nachrichten eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit erzeugen? Fünf Ratschläge für die politische Kommunikation.
Von Dr. Heidi Tworek (04/2017)
Wie können wir damit umgehen, dass gefälschte Nachrichten eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit erzeugen? Fünf Ratschläge für die politische Kommunikation.
Von Dr. Heidi Tworek (04/2017)
„Wir stehen am Anfang eines neuen Zeitalters“, schrieb Jakob Augstein in seiner Spiegel-Kolumne Mitte Januar vor der Vereidigung von Donald Trump als dem 45. Präsidenten der USA. Das neue Zeitalter sei das Zeitalter der Lüge: „Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.“ Wie können Politiker in Europa damit umgehen?
Die Lage ist ernst. Auf der einen Seite behaupten einige Politiker, es gehe den Deutschen gut und man müsse den Wohlstand nur besser kommunizieren. Auf der anderen Seite geraten einige Politiker in Panik über Hacks oder internationale Einflüsse auf deutsche Nachrichten. Beide Seiten haben das Problem verkannt. Gute Kommunikation allein kann die Probleme der heutigen Welt nicht lösen oder vertuschen: Die besten Kommunikationsstrategien haben dann Erfolg, wenn sie auf gutes Regieren aufbauen – aber gutes Regieren kann nur dann erfolgreich sein, wenn es innovative Kommunikationstechniken anwendet. Einige dieser Techniken sind neu, anderer bedient man sich aus der Vergangenheit.
Das Internet und soziale Medien haben die menschliche Natur nicht grundlegend verändert. Mit Hilfe neuerer Forschung aus Psychologie, Politik- und Geschichtswissenschaft lässt sich die digital unterstützte Kommunikation mit den Wählern schnell verbessern, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die folgenden fünf Ratschläge eignen sich am besten für eine Wahlkampagne, sind aber auch nützlich für das tägliche Regieren – und generell für gelingende Kommunikation in Zeiten digitaler Vernetzung.
Am 2. Januar 1980 brach ein nationaler Streik der Stahlarbeiter in Großbritannien aus. Die Regierung war darauf unvorbereitet. Viele Politiker vertraten die Meinung, man müsste den Streik so schnell wie möglich beenden. Die strategischen Berater von Margaret Thatcher schlugen heimlich einen anderen Kurs vor: den Streik noch möglichst lange laufen lassen, sodass die Medien jeden Tag einen neuen Blickwinkel auf die Probleme finden mussten. So berichteten die Medien mit der Zeit auch tiefergehend über die Gewerkschaftsbewegung und Thatchers Reformpläne, und über den Streik selbst las man bald auch im Feuilleton. So bot sich eine unerwartete Gelegenheit, die britische Öffentlichkeit über die Regierungsstrategie zu informieren. Der Streik endete drei Monate später – mit einem Sieg für Thatcher.
Unvorhergesehene Ereignisse sind unvermeidbar. Wie Thatcher kann man sie bewusst instrumentalisieren, wenn man pragmatisch mit ihnen umgeht und sich die passende Gelegenheit zur Stärkung der eigenen Programme aussucht. Gerhard Schröder verwendete diese Strategie beim Hochwasser im August 2002 und verkaufte sich als kompetenter Krisenmanager. Er gewann überraschend die Wahl kurz danach.
Werte sind die Grundlage jeder guten Kommunikationsstrategie. Sie bieten den Wählern eine emotionale und ideologische Verbindung mit einer politischen Plattform an. Wissenschaftler wie George Lakoff und Elisabeth Wehling schlagen zwei unterschiedliche Rollenmodelle (oder Frames) der Politik vor, basierend auf der Metapher der Familie – als strikter oder fürsorglich-pflegender Elternteil. Die zwei Modelle funktionieren oft auf der metaphorischen Ebene, die über Kommunikationsstrategien aktiviert wird.
Die erfolgreichsten Politiker schaffen es, ihre Werte metaphorisch mit einem Modell zu verbinden. Angela Merkel hatte auch deswegen Probleme mit der Flüchtlingskrise, weil sie plötzlich das Modell gewechselt hatte. Vor Sommer 2015 erschien sie als strikte Mutter („Mutti“), zum Beispiel während der Euro-Krise. Die Willkommenskultur ließ sie als pflegenden Elternteil erscheinen, der die deutsche Gesellschaft aufforderte, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Ihr „Wir schaffen das“ erregte auch deshalb Aufsehen und verringerte das Vertrauen in ihre Führungskraft, weil sie ihr Wertemodell gewechselt hatte.
Eine wertorientierte Kommunikationsstrategie fängt mit positiven Diskussionen von Werten an, nicht mit Fakten und Zahlen – die natürlich dennoch wichtig sind. Aber eine faktenreiche Kampagne wird gegen eine emotional gesteuerte, lügengesättigte Schwierigkeiten haben. Dass eine emotionale Verbindung mit den Wählern nicht gleichzusetzen ist mit Demagogie, zeigt der Erfolg von Kanadas Premierminister Justin Trudeau: 2015 gewann er überraschend die Wahl, weil es ihm gelang, Vertrauen auf der Grundlage von Emotionen aufzubauen und eine klare Plattform von Werten wie “Offenheit” und “soziale Verantwortung” zu schaffen.
Die Medienlandschaft ändert sich rasant. Print-Auflagen sinken, Nachrichten werden immer mehr im Netz gelesen, das Vertrauen in Medieninstitutionen schwindet. Eine differenziertere Wahlkampagne nutzt Targeting-Methoden, um Social-Media-Reichweite zu generieren. Die Kampagne von Donald Trump arbeitete mit der Firma Cambridge Analytica zusammen, um die politischen Präferenzen einzelner Facebook-User zu analysieren – die daraufhin unterschiedliche Werbespots zu sehen bekamen. Hillary Clinton arbeitete dagegen eher mit demographischen Daten. Man kann den Einfluss dieser Taktiken schwer einschätzen, kann aber mindestens daraus die Lehre ziehen, dass die demographische Arbeit viel differenzierter gestaltet werden kann als bisher üblich.
„Fake News“ gibt es seit Jahrtausenden, doch heute verbreiten sie sich schneller denn je. Wichtig ist es, diesen Nachrichten keine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen – auch nicht über Dementis, denn auch das bewirkt psychologisch, dass sich die Leser mehr an die Nachricht selbst erinnern als an ihren Wahrheitsgehalt. Zentral ist es, die eigene wertbasierte Kampagne hervorzuheben und eine eigene Sprache, einen eigenen Wortschatz zu benutzen. Wahlsprüche müssen vor allem die eigene Politik vorantreiben – nicht die Politik anderer Parteien bekämpfen. Dass Clinton den Spruch „Love trumps hate“ benutzte, war daher irreführend – denn er erinnerte nur an ihren Gegner. Reagiert man ständig auf die Lügen oder die Äußerungen anderer Politiker oder Parteien, hilft man ihnen nur, im Rampenlicht zu stehen.
Können die Medien, auch mit Hilfe von „Fake News“, die Wähler beeinflussen und ihr Wahlverhalten ändern? Vielleicht – doch wer sich zu sehr auf die Medienpolitik und auf die Kommunikation konzentriert, vergisst, dass es im Kern immer noch um das Regieren geht. Die Medien alleine können die Demokratie weder abschaffen noch retten. Man braucht starke Institutionen und Politiker, die sich um die Bürger kümmern, ihre Probleme ernst nehmen und sie zu lösen versuchen. Eine erfolgreiche Kommunikationsstrategie kann das eigentliche Regieren nur unterstützen, nicht ersetzen.
Prof. Dr. Heidi Tworek ist Juniorprofessorin für internationale Geschichte an der University of British Columbia und seit 2016 Fellow an der Transatlantischen Akademie in Washington, DC. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Geschichte der Nachrichten und internationaler Organisationen.