Kreislaufwirtschaft: Langsam ist das neue Schnell

Mit Suffizienz zum Erfolg: Prof. Nancy Bocken erklärt, wie das Prinzip des "Genug" als Geschäftsmodell funktioniert. Ein Auszug aus der Trendstudie „Next Growth“.

Die Kreislaufwirtschaft stellt einen alternativen Weg der nachhaltigen Entwicklung dar - und wird oft als Allheilmittel für Nachhaltigkeitsfragen angesehen. Wie lässt sich dieses Konzept operationalisieren? Um Unternehmen, politischen Entscheidungsträgern und Bürgern zu ermöglichen, verschiedene Lösungen zu verstehen, bewerten und steuern, hilft eine Unterteilung in die drei Kategorien Verengung, Schließung und Verlangsamung. Die Verengung der Kreisläufe betrifft Strategien, die den Ressourcenbedarf für die Herstellung und Nutzung eines Produktes reduzieren, also die Energie- und Materialeffizienz verbessern. Bei der Schließung von Kreisläufen handelt es sich um Strategien, die Materialien und Komponenten recyceln.

Während viele Unternehmen diese Strategien bereits praktizieren, ist die Verlangsamung von Rohstoffkreisläufen eine größere Herausforderung: Hier sind die unmittelbaren Geschäftsvorteile weniger offensichtlich als bei der Verengung und Verlangsamung, wo unmittelbare Geschäftsvorteile durch Effizienz und Kosteneinsparungen entstehen. Es geht um die Verlängerung der Nutzungsdauer oder die Intensivierung der Produktnutzung durch die Entwicklung langlebiger Güter und Geschäftsmodelle - also auch um eine Verlangsamung des Ressourcenflusses. 

Generell ist die Produktlebensdauer eines Produkts, von Haushaltsgeräten bis hin zu Elektronik und Bekleidung, im Laufe der Zeit gesunken. Berücksichtigt man die erhöhte Energieeffizienz, sollten etwa Kühlschränke, die im Jahr 2011 gekauft wurden, noch 20 Jahre verwendet werden, da die Vorteile der Weiterverwendung die Vorteile der Energieeffizienz überwiegen würden - aktuell werden sie aber nur durchschnittlich 14 Jahre genutzt.

Um „Anstatt unnötig eine kontinuierliche Nachfrage nach Produkten voranzutreiben, die wir nicht wollen oder brauchen, können Fehlkäufe vermieden und Ressourcenkreisläufe verlangsamt werden.“ solche Ressourcenschleifen zu verlangsamen, müssten Geschäftsmodelle eine längere Nutzungsdauer berücksichtigen und eine lange Produktlebensdauer (höhere Haltbarkeit, längere technische Leistung) anstreben. Hinzu kommen Optionen zu Ausbau, Reparatur und Wiederaufarbeitung - und eine nicht-konsumorientierte Art des Verkaufs. Für einige Produktkategorien, insbesondere solche mit hohem Selbstdarstellungswert wie Kleidung oder Autos, kann das Design eine emotionale Bindung erzeugen und so zu einer längeren Nutzung motivieren. Bei gemeinsam genutzten Produkten könnte dagegen ein standardisierteres, nicht personenbezogenes Design die gemeinsame Nutzung befördern.

Generell müsste sich zudem die Art und Weise ändern, wie Produkte verkauft werden. 82 Prozent der britischen Erwachsenen haben einen Kauf in der Vergangenheit bereut, insbesondere in Bereichen wie Kleidung und Schuhe sowie beim Takeaway Food. Auch das deutet darauf hin, dass sich Geschäftsmodelle auf Suffizienz, auf einen langsameren Konsum, konzentrieren sollten, indem sie das verkaufen, was nötig ist.

Anstatt also unnötig eine kontinuierliche Nachfrage nach Produkten voranzutreiben, die wir nicht wollen oder brauchen, können Fehlkäufe vermieden und Ressourcenkreisläufe verlangsamt werden. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht mag das zunächst kontraintuitiv klingen - doch es gibt bereits Unternehmen, die solche suffizienzgetriebenen Geschäftsmodelle erfolgreich praktizieren.

Was können Unternehmen tun?

Suffizienz zielt als Geschäftsansatz darauf ab, die Verbrauchernachfrage zu mäßigen. Dementsprechend gibt es verschiedene Geschäftsmodellstrategien für Unternehmen, um ökonomischen Gewinn mit der Förderung von Suffizienz oder langsamem Konsum zu verbinden:

  • höhere oder Premiumpreise, um den vollen oder realen Preis des Produkts abzudecken (einschließlich Haltbarkeit, Lebensdauerverlängerung, Reparaturunterstützung usw.)
  • ein Servicemodell, bei dem das Produkt geleast oder der Zugang zu diesem bereitgestellt wird (z.B. Bezahlung pro Nutzung: eine Stunde Autonutzung oder Bezahlung pro Wäsche)
  • Gebrauchtmärkte, die eine längere Lebensdauer der Produkte fördern, mit Händlern und Märkten wie eBay oder Unternehmen, die gebrauchte Produkte für ein zweites oder weiteres Leben sammeln, kuratieren, aufbereiten und verkaufen (z.B. Möbel, Kleidung, Elektronik)
  • Energiedienstleistungsunternehmen (ESCOs), die – oft von Regierungen subventioniert – den Verbrauchern helfen, ihre Energiekosten zu senken
  • kostengünstigere, sparsame Innovationen, bei denen es sich um einfache Lösungen handelt, die sich auf Low-Tech- und ressourcenschonende Lösungen konzentrieren (z.B. der Mitticool-Kühlschrank aus Ton, der Wasser als „Kältemittel“ nutzt) und auch auf den Märkten entwickelter Länder eingeführt werden könnten

Diese Strategien werden bereits von zahlreichen Unternehmen angewendet. Seltener sind dagegen Unternehmen, die proaktiv langsamere Formen des Konsums als Teil ihres Geschäfts fördern, indem sie etwa lebenslange Garantien, inklusive Reparatur und Wartung, anbieten:

  • Das Möbelunternehmen Vitsœ bietet klassische Designs unter dem Motto „besser, nicht neuer“ an. Das Unternehmen wendet sich explizit gegen die „Herstellung von Produkten, die bewusst auf eine begrenzte Nutzungsdauer ausgelegt sind“. Auch spezielle Schlussverkäufe oder Promotionen sind tabu. Stattdessen sollen die Kunden ermutigt werden, nur das zu kaufen, was sie wirklich benötigen. 
  • Das Outdoor-Unternehmen Patagonia forderte seine Kunden 2011 in einer Anzeige in der New York Times zum „Nicht-Kaufen“ auf. 2016 ließ es alle Gewinne am Black Friday direkt an gemeinnützige, nachhaltigkeitsorientierte Organisationen gehen. Patagonia fördert Reduktion („nur das kaufen, was man braucht“), Reparatur, Wiederverwendung, Recycling – und die Philosophie, nur das zu nehmen, was der Planet ersetzen kann. 
  • Das Start-up HOMIE experimentiert mit einem Pay-per-Use-Wäschepaket: Die Waschmaschinen werden kostenlos im Haus installiert, inklusive Wartung und Reparatur, die Kunden zahlen nur pro Waschgang. Wäschen mit hohen Temperaturen kosten dabei mehr, zudem ist das eigene Wäscheverhalten einsehbar. Erste Untersuchungen zeigen: Das Pay-per-Use-Modell hilft, die Zahl der Waschgänge pro Kunde zu reduzieren und den Energieverbrauch langfristig zu senken.

Eine weitere Option für Unternehmen besteht im Experimentieren mit neuen Geschäftsmodellen jenseits des Kostenwettbewerbs und des schnellen Verkaufs. Das kann auch bedeuten, Umsätze kurzfristig geringfügig zu reduzieren, um ein Geschäftsmodell langfristig zu stabilisieren. 

Was kann die Politik tun?

Um die Idee des „langsamen Konsums“ für den Mainstream zugänglich zu machen, müsste sie umfänglich in Gesellschaft, Politik und Märkte eingebettet sein. Dafür wäre an mehreren Stellen politische Unterstützung notwendig: 

  • ein breites Interventionsspektrum, von Anregungen zu Veränderungen über neue Produkt- und Dienstleistungsangebote bis zu Produktverboten 
  • indirekte Einflussnahme, etwa durch Informationsaustausch über Verbrauch und Abfall
  • ein geschützter Raum für Experimente und Zusammenarbeit, zu dem auch Regierungen beitragen könnten
  • gezieltes Erkennen und Sanktionieren von Unternehmen, die bewusst kürzere Produktlebenszeiten verfolgen – Frankreich hat dafür bereits ein Gesetz erlassen
  • positive Verstärkungsmechanismen, die nachhaltiges Konsumverhalten belohnen, etwa wenn Kunden bewusst ihren CO2-Fußabdruck reduzieren – Schweden hat bereits Steuererleichterungen bei Reparaturen eingeführt

Um mehr Unternehmen zu ermutigen, mit einem auf Suffizienz ausgerichteten Geschäftsansatz zu experimentieren, braucht es ein Umfeld, das die Herzen und Köpfe der Kunden verändert – und Innovationen ermöglicht. Dies ist die fehlende Schleife in vielen Aktivitäten der Circular Economy.

Dieser Text ist ein Auszug aus der Trendstudie „Next Growth“.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

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Dossier: Wir-Gesellschaft

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