Künstliche Intelligenz: K.O. durch KI?

Die Angst vor der Machtübernahme durch Maschinen ist ein Produkt der Science-Fiction-Kultur – und verstellt den Blick auf die wahren Potenziale Künstlicher Intelligenz.

Von Jerri Bazata (09/2016)

Im März 2016 gewann Googles Supercomputer AlphaGO gegen Lee Sedol, einen der besten Go-Spieler unserer Zeit. Vor der Partie gab sich der Koreaner siegessicher und bezweifelte, dass sein Gegner "überhaupt ein Spiel gewinnen" würde. Zwei Tage später musste er eingestehen: "Ich kann keine Schwäche in seinem Spiel finden, er spielt rücksichtslos und unberechenbar." AlphaGOs 4:1-Sieg ist ein Meilenstein im Forschungszweig der Künstlichen Intelligenz (KI). Go galt lange als das Spiel, das ein Roboter niemals lernen könne, weil es nicht nur Rechenarbeit, sondern auch Intuition erfordert. Und Intuition, so war man sich einig, haben nur Menschen.

AlphaGO bewies eindrücklich das Gegenteil – eine Erkenntnis, die auch außerhalb der Forschungsinstitute hohe Wellen schlug. Auch angesichts Warnung von Top-Forschern vor selbstständigen Waffensystemen stellen sich nun viele Menschen die alten Science-Fiction-Fragen: Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Maschinen uns überflügeln werden? Wird mein Gehirn in 30 Jahren wirklich noch mein Gehirn sein? Oder läuft es einfach darauf hinaus, dass mein Hausroboter abends für mich abspült? Aber was ist, wenn ich irgendwann feststellen muss: Er ist klüger als ich?

Bei näherer Betrachtung zeigt sich: Viele dieser Ängste sind völlig irrational – begründet einzig durch Fantasien aus Science-Fiction-Filmen oder Büchern.

Wovor haben wir Angst, wenn wir uns vor KI fürchten? Der große Fundus der Popkultur bietet zahlreiche Antworten. Da gibt es die klassischen Vernichtungsszenarien, etwa die "Terminator"-Filme, in denen (von Menschen entwickelte) intelligente Maschinen sich von ihren Schöpfern bedroht sehen und daraufhin beginnen, diese systematisch zu vernichten. Oder HAL 9000 aus Kubrick und Clarkes "2001", der eigentlich gutmütige Supercomputer, der aufgrund eines logischen Fehlers Mordgelüste gegenüber der Crew des Raumschiffs "Discovery" entwickelt. Solche Szenarien haben immer einen klaren "bösen" Gegenspieler in Form einer hochintelligenten und analytisch-kalten KI.

Es gibt aber auch Umsetzungen des Themas, die uns eher dazu bringen, das Konzept unser eigenen Menschlichkeit zu hinterfragen, so wie Mamoru Oshiis Animationsfilm "Ghost in the Shell" (1995): In naher Zukunft wird es durch Cyber-Gehirne nicht mehr möglich sein, Mensch und Maschine klar voneinander zu unterscheiden – was Hacker nutzen, um ihren Opfern falsche Erinnerungen einzupflanzen und sie damit zu Straftaten zu bewegen.

Den gemeinsamen Nenner dieser Szenarien bildet unsere unterbewusste Annahme, hochentwickelte KIs würden menschenähnlich denken. So sind auch die ersten Codeschnipsel, die wir von AM, dem bösen Supercomputer in dem Science Fiction Roman "I have no mouth and I must scream", zu hören bekommen, nichts anderes als die Basis unserer Selbstwahrnehmung: "I think, therefore I am." Ob AMs Wut auf seine Schöpfer oder HALs Anfälligkeit für double binds: Wir gehen unterbewusst davon aus, dass KIs im Grunde nur höherentwickelte Menschen sein werden, inklusive unserer psychischen Stärken und Schwächen. Und diese Vorstellung macht uns Angst, selbst wenn die Entwicklung einer KI in diese Richtung höchst unwahrscheinlich ist.

Auch der Philosophie-Professor Luciano Floridi sieht das fundamentale Problem darin, dass wir in Bezug auf KI in falschen Dimensionen denken: Wir versuchen stets herauszufinden, wie gut eine Maschine ein menschliches Gehirn imitieren kann, anstatt uns zu fragen, wie ein autonomer Computer-Verstand aussehen könnte und wozu er dann in der Lage wäre. Die "Sci-Fi-Denkweise" macht uns also nicht nur paranoid, sie verstellt auch den Weg zu neuen Ansätzen für die Implementierung von KIs (oder ihren Vorläufern).

Folgt daraus nun, dass wir die Sci-Fi-Kultur besser meiden sollten? Nein. Das Genre führt uns vor Augen, welche Ängste und Vorbehalte wir gegenüber noch unbekannter Technologie pflegen – und spiegelt immer auch das aktuelle kulturelle Verständnis von Menschsein, das sich in der Abgrenzung von Technologie manifestiert. So reflektiert Science-Fiction stets auch die gegenwärtige und künftige Beziehung zwischen Mensch und Maschine.

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