Die „Lazy Eight“ ist ein systemisches Modell aus der Resilienzforschung. Es veranschaulicht die zentralen Lebens- und Erneuerungsphasen im Zyklus eines lebenden Systems – und beschreibt damit ein Grundprinzip des Lebens, das sowohl für biologische Systeme gilt als auch für Kommunikationssysteme, von der Interaktion in Gruppen, Organisationen und Unternehmen bis zum umfassendsten Kommunikationssystem, der Gesellschaft.
Lazy Eight: Die Revitalisierung des Wachstums
Die Kernaussage der Lazy Eight lautet: Systemische Resilienz und vitales, sozial und ökologisch verträgliches, also nachhaltiges Wachstum sind nur dann gegeben, wenn die verschiedenen Lebenszyklen diversifiziert und ausgewogen besetzt sind. Das schließt Schrumpfungsprozesse ganz bewusst mit ein. Diversität und Ausgewogenheit sind die Voraussetzungen für Vitalität und erfolgreiche Erneuerungsprozesse im Kreislauf des Lebens. Bezogen auf das Wirtschaftssystem heißt das: Es ist nur dann lern- und zukunftsfähig, wenn es Gleichzeitiges und Gegensätzliches zulässt und nicht monoton oder linear programmiert ist.
1. Von Wachstum zu Erstarrung
Betrachtet man die gegenwärtige Ökonomie aus dieser Zyklusperspektive, erscheinen zwei Phasen besonders prominent besetzt. Zum einen die Aufwärtsdynamik: Sie ist stark vom expansiven Wachstumsdenken des industriellen Kapitalismus geprägt, der heute unter den Vorzeichen der Netzwerkökonomie fortgeführt wird. Die digitale Wirtschaft bietet eine Fülle neuer Möglichkeiten für neue, stark effizienzgetriebene Geschäftsmodelle. Dazu zählt sowohl die Start-up-Kultur als auch die Plattformökonomie mit der Dominanz des GAFA-Quartetts (Google, Amazon, Facebook, Apple).
Ebenfalls dicht besetzt ist der Scheitelpunkt des Lazy-Eight-Zyklus. Hier zeigt sich immer deutlicher, dass und wie das traditionelle Wachstumsparadigma Bedingtheiten und Abhängigkeiten steigert, die sich kaum noch kontrollieren lassen. Gerade unter den beschleunigten Bedingungen der Netzwerkökonomie führt das eindimensionale, materiell-ökonomische Wachstumsdenken immer mehr in das Hamsterrad der digitalen Effizienzoptimierung. Während in der Wachstumsbewegung des ökonomischen Zyklus also akute Burn-out-Gefahr herrscht, beginnt am Scheitelpunkt das Freeze-in: Das herkömmliche, auf kontinuierliches Wachstum fixierte Wirtschaftsdenken des 20. Jahrhunderts gerät in die Erstarrung.
Die ökonomischen Erwartungen sind jedoch weiterhin auf Kraft, Leistung, Wettbewerb, Verdrängung und Geschwindigkeit ausgerichtet – und auf eine Reorientierung in Richtung Krisenabsicherung. So verhindert die ungebremste Fixierung auf Wachstum zugleich Antworten auf die Fragen, die heute zentral sind: Was könnte die ökonomischen Strukturen des vergangenen Jahrhunderts ersetzen, die nun obsolet werden? Wie kann ein Wirtschaften jenseits dieses Wachstumsparadigmas aussehen?
2. Die Kraft der Krise
Im zyklisch-dynamischen Verständnis der Lazy Eight ist Erneuerung untrennbar verbunden mit dem Moment der Krise, mit einer „schöpferischen Zerstörung“ im schumpeterschen Sinne. Je deutlicher heute also wird, dass die traditionelle, auf Wachstumsbeschleunigung ausgerichtete Ökonomie an ihre Grenzen gelangt, umso notwendiger erscheint eine Revitalisierung, die von der heilsamen Kraft der Krise getragen wird.
„Die moderne Wohlstandsgesellschaft steht am Scheitelpunkt“, sagt auch der Resilienzforscher Harald Katzmair: „Der krisenhafte Bruch ist seit der globalen Finanzkrise da. Politik und Institutionen, aber auch die Wirtschaft üben sich seither in Vermeidungsstrategien – mit noch mehr frischem Geld und dem Glauben an die Technologie.“
Im Zyklusmodell verlagert sich daher der Fokus auf jene Phase, in der tiefes, nachhaltiges Lernen stattfinden kann: auf die rekursive Schleife, die aus der Krise herausführt und neue innovative Ideen in den Kreislauf der gesellschaftlichen Erneuerung einspeist. Für eine Wirtschaft, die sich an einem Wachstumsscheitelpunkt befindet, ist die Zuwendung zu einer kollektiven Lernschleife eines Next Growth fundamental, um sich diversifizierter und zukunftsfähig aufzustellen.
3. Das Wachstum wird erwachsen
Die Signale, die einem solchen Wandel den Weg bereiten können, sind bereits deutlich zu erkennen. Die neuen Denk- und Handlungsmuster der Nachhaltigkeitsgesellschaft treiben das Next-Growth-Mindset voran. Es verheißt eine Befreiung von den traditionellen Wachstumszwängen der industriellen Wirtschaft – und die Öffnung für eine neue Qualität der Ökonomie, die sich von blinder Effizienzsteigerung verabschiedet und auf langfristige Lösungen setzt.
In vielerlei Hinsicht weist diese nächste Wirtschaft strukturelle Parallelen auf zum Mindset des Pro-Aging, das in Zeiten des demografischen Wandels einen neuen Umgang mit dem Alter einläutet. So wie das Pro-Aging-Paradigma von der Fixierung auf Jugendlichkeit erlöst und einen Gegenpol zum Anti-Aging-Wahn bietet, befreit das Next-Growth-Mindset von der traditionellen Ausrichtung auf größtmögliche Profitmaximierung und öffnet den Raum für neue Dimensionen des Wachstums. Beide Entwicklungen deuten hin auf den Beginn einer neuen Phase im Resilienzzyklus, auf die Hinwendung zu einem tieferen, resilienteren und „erwachseneren“ Verständnis von Wachstum.
Im Sinne der Lazy Eight lässt sich eine Wirtschaft des Next Growth daher auch als eine „Ökonomie der zweiten Lebenshälfte“ beschreiben: eine erwachsen gewordene Wirtschaft, die sich an den Imperativen der Weisheit orientiert, an den Ideen der Komplexität, der richtigen Prioritäten, des Prozesshaften. „Die Ökonomie der Zukunft braucht die Erfahrung“, sagt auch Resilienzforscher Katzmair: „Eine neue Form der Aufklärung ist gefordert: eine Ökonomie, die auf die Entwicklung von Potenzialen abzielt statt auf Wachstum.“
4. Vorboten der Erneuerung
Das Lazy-Eight-Modell hilft, die Anzeichen und die Notwendigkeit dieses Umbruchs zu erkennen und die aktuellen und bevorstehenden Krisen neu zu begreifen: als Chance für einen Innovations- und Lernprozess, der eine neue Resilienzqualität erzeugt. Am Horizont dieses Lernprozesses steht die Vision einer Wirtschaft, die es wagt, neue Dimensionen zu erschließen. Eine Wirtschaft, die nicht immer weiter wachsen muss, sondern sich selbstgewiss vom Prinzip der Selbstorganisation leiten lässt.
Denn auch das lehrt die Lazy Eight: Lebende Systeme sind selbstorganisatorische Systeme. Das Prinzip der Selbstorganisation spielt schon heute eine immer wichtigere Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft. Zunehmend positionieren sich eigenständige Formen von gesellschaftlicher Partizipation und Selbstorganisation, Netzwerke, die angetrieben sind von der Suche nach Sinn und dem wachsenden Wunsch nach selbstermächtigtem Handeln.
Die immer populärer werdenden Diskurse um Postwachstum und Kreislaufwirtschaft, die wachsende Zahl agiler Organisationen, die vielfältigen Sharing- oder Social-Business-Ideen, aber auch die neuen Slow-Märkte, die sich vom Gebot der beschleunigten Expansion verabschieden – sie alle sind Vorboten für das Eintauchen der Wirtschaft in diese Erneuerungsschleife. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten werden sie die Entstehung einer neuen Wirtschaft vorantreiben, die Wachstum redefiniert und in eine neue Bahn lenkt.