In einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft zählt es zu einer der wichtigsten Aufgaben von Führungskräften, für mehr Zusammenhalt zu sorgen. Diese gemeinschaftsorientierte Führung beruht auf dem PEP-Prinzip: Purpose, Education und Partizipation. Ein Kommentar von Franz Kühmayer.
Führen mit PEP: Mehr Zusammenhalt erzeugen
Der Zusammenhalt in Europa nimmt ab. Stand vor 20 Jahren noch in Aussicht, dass die EU ein stärkeres Zusammenwachsen des Kontinents vorantreiben würde, so mehrten sich in letzter Zeit eher Anzeichen eines Auseinanderdriftens. Immer seltener werden die gemeinsamen Errungenschaften gewürdigt. Nicht nur in den USA geht es um „My Country First“, auch in Europa werden nationale Stimmen lauter. Überall tun sich Risse auf.
Neue fragmentierte Arbeitswelt
Die Fragmentierung wirkt nicht nur auf der Ebene der Staaten, sie zeigt sich auch in der Arbeitswelt, in der verstärkt Einzigartigkeit zählt. Das Außergewöhnliche, Innovation und Unternehmergeist stehen im Rampenlicht, und damit der Einzelne. Individualisierung ist ein hohes Gut, sie gilt im aufklärerischen Sinne als Ausbruch der Menschen aus ihrem selbstverschuldeten Elend. Es wäre jedoch trügerisch, im Lichte der unbestrittenen Vorteile einer stärker individualisierten Arbeitswelt nicht auch die Schattenseiten zu erkennen.
Um der Gefahr der Entsolidarisierung zu entgehen, bedarf es höherer Anstrengungen, gerade auch auf Seiten der Unternehmen. Arbeit ist mehr als Sicherung ökonomischer Grundlagen – ein Leitsatz, den man in Zeiten einer auf exponentielles Wachstum und Shareholder Value getrimmten Wirtschaftslandschaft nicht oft genug betonen kann.
Das PEP-Prinzip: Purpose – Education – Participation
Zusammenhalt entsteht nicht von selbst. Kohäsion ist ein gesellschaftlicher und wirtschaftspolitischer Auftrag. Gefragt sind daher Verantwortungsbewusstsein und ein Führungsstil, der den Zusammenhalt fördert. Die drei Säulen dieses gemeinschaftsorientierten Führens sind: Purpose, Education, Participation - Sinn, Bildung, Teilhabe.

The Importance of Purpose
Purpose, also einen höheren Sinn in der eigenen Tätigkeit zu erkennen, gehört zu den fundamentalen Antrieben des Menschen. Auf der anderen Seite stehen kennzahlengetriebene Führungskräfte. Mit Purpose hat das nichts zu tun, und entsprechend wenig Energie lässt sich auf Dauer daraus ableiten. KPI’s sind die Schimären der Sinnstiftung.
Purpose bedeutet, den eigenen Daseinszweck schlüssig erklären zu können und in den Kontext der Öffentlichkeit zu stellen. Freude am Helfen, der Wunsch, etwas für das Gemeinwohl zu tun, der Gesellschaft etwas zurückzugeben sind wichtige Motive. Das hat immer auch mit sozialer Anerkennung zu tun. Und zwar nicht als Feigenblatt von Corporate Social Responsibility, sondern aus einem inneren Antrieb des Unternehmens heraus. Purpose darf kein Nebenprodukt der normalen Geschäftstätigkeit sein, sondern ist das zentrale Kernelement. Das hat mit Nachhaltigkeit zu tun, mit ethischer Vorbildwirkung, mit Engagement.
Betriebe können nicht mehr für sich erfolgreich sein, die Zeit der Einzelkämpfer und Self-Made-Men ist vorbei. Wir schöpfen zwar unsere Kraft aus uns selbst, brauchen aber andere, um Erfolg zu haben. Dazu gehört auch, das Gemeinwohl in den Fokus zu rücken, von der betriebswirtschaftlichen auf die volkswirtschaftliche Perspektive umzuschalten, von Kundenzielgruppen zur Gesellschaft als Ganzes. Die Schlüsselfrage lautet: „Wieso wird die Welt ein Stück weit besser, weil es uns gibt?“
Education creates cohesion
Bildung schafft Zusammenhalt. Sie ist nicht nur der Schlüssel zu wirtschaftlicher, sondern auch zu sozialer und kultureller Teilhabe und damit Grundvoraussetzung für eine Orientierung an gemeinsamen Werten. Bildung ist in der Lage, unterschiedliche Startvoraussetzungen auszugleichen und damit soziale Durchlässigkeit zu fördern.
Gesellschaftliche „Betriebe können nicht mehr für sich erfolgreich sein, die Zeit der Einzelkämpfer und Self-Made-Men ist vorbei.“ Mobilität und das Überwinden von Herkunftsgrenzen sorgen für eine Durchmischung von Lebensgeschichten, für Erfahrungsaustausch und Perspektivenwechsel.
Ob das Bildungssystem mit den Herausforderungen der Zukunft Schritt halten kann, ist Gegenstand leidenschaftlicher Diskussionen. Besonders für Unternehmer ist ein pragmatischer Zugang ratsam: Nicht zu klagen, sondern zu handeln.
Werden derartige Bildungsangebote von Schulen nicht zeitnah und in ausreichender Qualität und Anzahl geschaffen, wird es umso mehr zur unternehmerischen Pflicht, die eigenen Weiterbildungsangebote zukunftsfit zu gestalten. Um Zusammenhalt zu stärken, müssen daher die Schulungs- und Trainingspläne auf den Prüfstand gestellt werden.
Participation for the success of community
Teilhabe und Mitbestimmung sind Ressourcen, die für den Zusammenhalt und das Gelingen von Gemeinschaften essentiell sind. Soll die gemeinschaftliche Tatkraft gestärkt werden, müssen Handlungsspielräume geöffnet und Intrapreneurship vorangetrieben werden.
Teilhabe darf nicht an der finanziellen Beteiligung am Unternehmenserfolg Halt machen. So gut gemeint Bonusregelungen, Gewinnbeteiligungen oder ähnliches sein mögen, führen sie motivatorisch doch in die Sackgasse. Leistungsabhängiger Lohn führt zu lohnabhängiger Leistung. Wer sich nicht wirklich einbringen kann, sondern finanziell abgespeist wird, wird sich nur im Rahmen seiner eigenen Interessen beteiligen und gleichzeitig sein Anspruchsdenken im Laufe der Zeit weiter steigern.
Wer dagegen seine Stellenbeschreibung selbst gestalten, mit anderen Mitarbeitern Ziele und Maßnahmen festlegen kann, wer Verantwortung für das Gelingen oder Scheitern von selbstdefinierten Vorhaben übernehmen darf, wer nicht nur dafür belohnt wird, in existierenden Strukturen bestmöglich zu performen, sondern Strukturen verändern und gestalten kann, wer nicht nur das Kleingedruckte bearbeiten, sondern am großen Ganzen mitarbeiten darf, fühlt sich tatsächlich beteiligt.
Partizipation bedeutet, sich einsetzen zu können, zu dürfen – und auch zu müssen. Nicht nur für wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch für ein gegenseitiges Vorankommen, im Geiste des gemeinsamen größeren Ziels.
TRENDPROGNOSE
Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten, Individualismus, politische Strömungen und wirtschaftliche Verwerfungen erzeugen eine Granularität, die uns voneinander entfernt. Auch wenn es einfacher ist, in homogenen Gruppen gemeinsame Ziele und Interessen zu entwickeln, sind Diversität und Zusammenhalt kein Widerspruch. Damit das gelingt, bedarf eines Führungsstils, für den Zusammenhalt an erster Stelle steht.
Zukunftsinstitut, 10/2018
Über den Autor

Franz Kühmayer beschäftigt sich als Trendforscher, Autor und Speaker intensiv mit den Themen Leadership und New Work. Der studierte Physiker und Informatiker verbindet dabei wissenschaftliche Erkenntnisse mit seinen Erfahrungen als Top-Manager, u. a. aus seiner Zeit als Director of Business Management Europe, Middle East & Africa bei Microsoft. Als Vordenker der neuen Arbeitswelt lehrt der Experte des Zukunftsinstiuts an der Fachhochschule Wiener Neustadt sowie der Ferdinand Porsche FernFH. Kürzlich veröffentlichte Kühmayer die vierte Auflage seines Leadership Reports.