Creativiteens: Mit digitaler Kraft voraus

Für Creativiteens sind Talente und Leidenschaften der Kern von Leben und Karriere. Über die digitalen Medien erschließen sie sich die Welt – und gestalten sie mit.

Quelle: Lebensstile für morgen (2014)

Monkey Business/ Fotolia

Creativiteens sind eigentlich ganz normal. Sie gucken Pornos – wie jeder Jugendliche früherer Generationen auch –, nur eben im Netz. Sie sind bekennende Bausparer, sehnen sich nach Familie und neuer Gemeinschaft. Und doch sind sie anders. Aufgeschlossener. Kreativer. Entspannter. Sie stehen für eine neue Generation an Teenagern, die weniger von der Abgrenzung lebt als von der integrativen Kraft der technisierten Digitalgesellschaft.

Für die erste Generation von Jugendlichen, die mit den neuen Medien groß wurde, steht gemeinhin der Begriff Generation Y – in Abgrenzung zur Generation X (für eXcluded = ausgeschlossen). Die Vorgänger-Generation war in der Tat ausgeschlossen. Auf der einen Seite von den großen Ideen und Visionen, welche die 68er-Generation gesät hatte – und von vielen Jobs und Ämtern, welche die Babyboomer-Eltern besetzten. Wir bewegen uns vom Mitmach-Web ins Mitmach-Leben Ausgeschlossen aber auch von den neuen Chancen, die sich den „Digital Natives“ durch die Digitalisierung ganz automatisch boten.

Anders sieht es in der jetzigen Jugendgeneration aus. Der demografische Wandel führt heute bereits zu Engpässen in der Besetzung von Stellen und eröffnet jungen Berufseinsteigern viele Karrierechancen. Ein globaler Arbeitsmarkt und die Möglichkeiten der Vernetzung multiplizieren die Chancen zusätzlich – zumindest für jene, die in diesem Umfeld geschickt agieren.

Leben und Werte

In unserer Lebensstil-Studie aus dem Jahr 2007 hatten wir die Pioniere der Generation Y mit dem Begriff CommuniTeens bezeichnet. Im Mittelpunkt stand für sie die soziale Vernetzung über Online-Medien. Die Suche nach digitalen Gemeinschaften,die nicht mehr an geografische Grenzen gebunden waren. Es war die Zeit, als soziale Netzwerke wie Facebook groß wurden und neue Formen des Austauschs, aber auch der Selbstdarstellung und des Selbst-Designs möglich wurden. Es war die Zeit der Eitelkeiten, des Ego-Postings um des Posings wegen.

Die Creativiteens gehen jetzt einen Schritt weiter. Der 1994 geborene Philip Riederle drückt es sehr treffend aus: „Wir sind die Generation nach Facebook: War es dort erstmals möglich, sich selbst in den öffentlichen Raum zu stellen, so hatte das zahlreiche Perspektiven eröffnet – es hatte aber auch mit Eitelkeiten zu tun, wie man bis zum heutigen Tag feststellen kann. Heute aber bestehen im wahren Leben die großen Möglichkeiten – wenn man es digital vernetzt. Wir bewegen uns vom Mitmach-Web ins Mitmach-Leben“ (Riederle 2013).

Philip Riederle hat sich mit 13 Jahren eines der ersten iPhones aus den USA mitbringen lassen. Er crackte das Gerät, um damit auch in Deutschland telefonieren zu können, und berichtete fortan darüber in seinem Podcast „Mein iPhone und ich“. Sein Podcast entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten in Deutschland und führte dazu, dass der Prototyp eines Creativiteens von Unternehmen eingeladen wurde, sein Wissen zu teilen, wie die Welt der interaktiven Medien funktioniert und wie seine Generation mit ihnen umgeht. Seine Erfahrungen und die Essenz vieler Diskussionen hat er als Buch niedergeschrieben: „Wer wir sind und was wir wollen. Ein Digital Native erklärt seine Generation“ - eine lesenswerte Selbstreflexion eines smarten jungen Menschen über sich und seine Generation.

  • Porträt: Thorben (17). Thorben geht in die 12. Klasse eines Gymnasiums in Heidelberg. Er spielt leidenschaftlich gern Saxophon und stellt besondere Arrangements – vorzugsweise Crossover-Acts aus Klassik und Grunge – in seinen eigenen YouTube-Kanal. Das brachte ihm schon Einladungen zu ein paar örtlichen Radiosendern sowie ein Stipendium für ein Musik- Camp in Ungarn ein. Thorben würde gern stärker seiner musikalischen Leidenschaft nachgehen, will aber zunächst einmal ein gutes Abitur über die Bühne bringen. Denn da macht er sich nichts vor: Die interessantesten Studiengänge – auch im künstlerisch- kreativen Bereich – erfordern einen guten Notendurchschnitt. Deswegen betreibt Thorben Koma-Lernen: 48 Stunden vor einer Prüfung wird durchgelernt. Vorher kommt er aufgrund seiner vielen Aktivitäten einfach nicht dazu. Dafür hat er sich aus dem Internet eine bestimmte Kurzschlaf-Technik angeeignet, die er sich von der britischen Einhandseglerin Ellen Mac Arthur abgeguckt hat. Thorben lebt und lernt intensiv. Nach dem Abitur – so viel steht schon fest – macht er ein Jahr Work & Travel. Um neue Erfahrungen zu sammeln, aber auch um herauszufinden, was er danach studieren will: Musik, BWL oder Politologie.

Was die Creativiteens auszeichnet, ist vor allem eines: Optimismus und der Glaube an sich selbst. Um zu sehen, ob sich ein Wunsch oder Vorhaben verwirklichen lässt, muss man es eben ausprobieren – so die pragmatische Haltung. Um ihre Ziele zu erreichen, sind die Creativiteens bereit, in die Hände zu spucken. Sie sind allesamt der Überzeugung, dass jeder, der sich anstrengt, sich hocharbeiten kann. Eine Aussage, der ihre Altersgenossen insgesamt „nur“ zu 70 Prozent zustimmen. Alles in allem ist die heutige Jugendgeneration sehr leistungsorientiert, doch die 13 Prozent Creativiteens innerhalb der 14- bis 25-Jährigen sind es noch ungleich mehr.

Creativiteens haben keine Angst vor den vielen Möglichkeiten. Sie sagen: Wunderbar. Gebt uns mehr davon. „Im Leben bin ich immer offen für neue Chancen und Herausforderungen“ lautet ihre Devise, eine Aussage, der aber auch sonst immerhin acht von zehn Jugendlichen dieses Alters zustimmen. Daran zeigt sich: Wir haben es mit einer sehr zukunftsorientierten Jugendgeneration zu tun. Von Angst oder Verzagtheit keine Spur. Mit ein Grund: Weil sie in ihrer Familie, in ihrem Freundeskreis großen Rückhalt finden. Nichts ist ihnen wichtiger. Freunde und Familie sind in einer unübersichtlichen Zeit die sichere Konstante. Daher träumen sie vom Haus im Grünen mit Familie. Ja, sie sind Bausparer. Warum auch nicht.

Medien und Beziehungen

Damit die Creativiteens ihre Chancen auch nutzen können, gehen sie sehr strategisch mit den neuen Medien um. Verschiedene Studien haben ergeben, dass Jugendliche, die verstärkt Social Media nutzen, auch im Realen häufiger Freunde treffen. Ein Ergebnis, das sich mit unserer Analyse deckt. „Sich mit Freunden zu treffen“ ist für mehr als die Hälfte der Creativiteens (56 Prozent) eine beliebtere Freizeitbeschäftigung als „Computer- oder Videospiele“ (38 Prozent). Wobei man natürlich auch zusammen mit Freunden Computerspiele machen kann.

Überhaupt sind Realität und Virtualität für die Creativiteens keine getrennten Welten, sondern eine Wirklichkeit mit verschiedenen Facetten. Dass digitale Medien zum Realitätsentzug oder zur „digitalen Demenz“ führen, halten sie schlicht für absurd. Das Gegenteil ist der Fall: „Von Generation zu Generation schneiden Kinder bei IQ-Tests besser ab. Pro Jahrzehnt liegt der Anstieg bei rund 3 Punkten“ (Schmundt 2012). Die Creativiteens integrieren in ihr Leben, was nun einmal real ist: das Virtuelle. Für sie sind digitale Screens keine Monitore, sondern der Zugang zu ihren Freunden, zur Welt. Das Management der Beziehungen und die Organisation des Alltags fällt mit iPad, Smartphone und Social Media schlichtweg leichter. Es ist sozial auch gar nicht möglich, aus dieser Welt auszusteigen. Ob Einladungen, Termine oder Neuigkeiten: Wer nicht drin ist, bekommt nichts mit.

Es ist jedoch ein Irrglaube zu meinen, das führe zur totalen Beschleunigung. Creativiteens leben in der Gleichzeitigkeit. Wer in Echtzeit immer mit dabei ist, klinkt sich ein und aus, wie es eben passt. Ganz entspannt. Hier wird deutlich, dass sich der Generationenunterschied tatsächlich über die digitalen Medien definiert. Dass Facebook – und mit dessen Kauf von WhatsApp auch dieses Tool – bei vielen Jüngeren uncool wird, heißt nicht, dass seine Tage gezählt sind. Der große Hype mag vorbei sein – eine ganz normale Entwicklung bei technologischen Neuheiten. Die Nutzung geht zurück auf ein sinnvolles Maß. Facebook entwickelt sich vom Spielzeug zum Werkzeug.

Konsum und Freizeit

Creativiteens sind keine Zielgruppe. Sie sind ein Publikum. Sie lassen sich durch Werbung nichts mehr vormachen, weil sie klassische Werbung immer seltener erreicht – dafür aber die Kommentare und Bewertungen Gleich- gesinnter via Social Media. Den direkten Dialog erwarten sie auch von den Unter- nehmen – und zwar auf Augenhöhe. Es wird in Zukunft immer mehr darum gehen, Nähe aufzubauen. Denn Creativiteens wollen Sinn statt Werbung. Unternehmen, die sich durch verkörperte und gelebte Werte auszeichnen. Die Creativiteens sind gleichermaßen konsumkritisch wie aufgeschlossen. Sehr viel mehr Creativiteens (53 Prozent) als ihre Altersgenossen (37 Prozent) sagen, dass sie sich gern teure Sachen leisten. Als gewiefte Internetnutzer gehören sie allerdings auch zu jenen, die sich im Laden schlau machen und dann online kaufen (38 vs. 29 Prozent).

Creativiteens Was die Creativiteens antreibt, ist die Erfahrung von der Selbst-Wirksamkeit des Talentismus sind zwar neugierige, insbesondere technisch aufgeschlossene, aber auch pragmatische Konsumenten. Sie können immer weniger mit dem alten Statusdenken anfangen, wonach das Image eines Produktes oder einer Marke den Glanz des Käufers erhöht. Die klassische Autowerbung – ein Wagen fährt durch spektakuläre Landschaft und verspricht Freiheit – finden sie an den Haaren herbeigezogen und fragen sich: Wo sind diese Landschaften in Berlin-Mitte?

Freiheit verheißt für sie, sich nicht um ein Auto kümmern zu müssen. Daher greifen Creativiteens lieber zu Car-Sharing-Angeboten oder machen erst gar keinen Führerschein mehr, sondern bewegen sich mit Fahrrad und den Öffentlichen fort. Zwischen 2008 und 2012 sank die Zahl der Fahranfänger von 170.000 auf 129.000 pro Jahr. „Autos werden (...) offenbar als Statussymbol gehandelt. Ich frage mich aber, wann das eigentlich zum Tragen kommt: in der Tiefgarage? Oder soll ich den halben Tag um den Block fahren wie ein Zuhälter, bis mich jemand bemerkt? Das ist mir zu aufwändig.“ (Philip Riederle)

Was die Creativiteens antreibt, ist die Erfahrung von der Selbst-Wirksamkeit des Talentismus. Die Erfahrung, dass man das, was man tun will, kraft seiner Talente und Fähigkeiten schafft. Deshalb stehen drei Aspekte für sie im Zentrum der Lebensführung: Track. Share. Compare. Die Creativiteens nutzen digitale Medien, um alles Mögliche zu erfassen und aufzuzeichnen (track): ihre Laufgeschwindigkeit beim Joggen, die Zahl ihrer Bekanntschaften, ihre Lernerfolge etc. Diese Informationen teilen sie (share), um ein Feedback zu erhalten, das ihnen hilft, sich selbst besser einzuschätzen (compare). Das tun sie nicht aus Eitelkeit. Klar geht es manchmal auch nur um Spaß. Aber im Vordergrund steht, selbst Dinge anstoßen zu können: ein Projekt zu realisieren, eine Community ins Leben zu rufen, eine Crowdfunding-Initiative zu starten.

Die jugendliche Vorgängergeneration zu den Creativiteens lässt sich am besten als Casting-Gesellschaft beschreiben. Das Leben wird als Bewerbung vor Leuten begriffen, die für mich sagen, was gut ist und was Erfolg bedeutet. Die Creativiteens stehen für die Coaching-Gesellschaft. Man stellt sich dem Feedback, um seine Talente zu entdecken und seinen eigenen Weg zu finden. Unternehmen oder Marken, die das begreifen, haben die Chance, einen echten Dialog mit Sinn und Substanz zu führen. Diese Entwicklung rückt Content-Marketing ins Zentrum der Unternehmenskommunikation. Via Website und Social Media über relevante Inhalte zu kommunizieren ist die konsequente Antwort auf die Wirkungslosigkeit klassischer Werbung. Man erhält dann zwar keine Kunden, dafür aber Fans.

Best Practices

  • Volks- und Raiffeisenbanken. Was treibt dich an? Schon vor ein paar Jahren haben die Volks- und Raiffeisenbanken eine preisgekrönte Kampagnenidee realisiert, die Menschen und ihre ganz persönlichen Antriebe in den Mittelpunkt stellt – nicht als Werbung im klassischen Sinne, sondern im Rahmen einer hoch emotionalen Dokumenttion. Es werden junge wie alte Menschen gezeigt, die alle die Frage beantworten: „Was treibt dich an?“ Damit treffen sie den zentralen Nerv der Creativiteens: seinen eigenen Leidenschaften zu folgen. Die zahlreichen Adaptionen und Aktualisierungen der Spots in den Folgejahren zeigen, wie aktuell dieses Thema ist und bleibt. Zum Erfolg trug auch die Dialogorientierung der Kampagne bei. Auf YouTube konnte man sich die Langversionen der Spots anschauen, kommentieren, „sharen“ – ohne dass die Bank werbe- trächtig dazwischenfunkt.
  • Snapchat: Echtzeit braucht Vergänglichkeit Der große Erfolg von Snapchat, einer Instant- Messaging-Anwendung für Smartphones und Tablets, erzählt sehr viel über den veränderten Umgang der Creativiteens mit Komplexität und Zeit. Snapchat ermöglicht es, Fotos an Freunde zu versenden, die nur eine bestimmte Anzahl an Sekunden sichtbar sind und sich dann selbst zerstören. Die Kommunikation wird auf einen einzigen Moment konzentriert, der sofort wieder verschwindet, um die mentalen Kapazitäten für neue Momente bereitzuhalten. Das Vergessen wird durch Nicht-Speicherung von Inhalten professionell organisiert, was zur mentalen Entlastung beiträgt, um sich wieder mit Neuem zu beschäftigen.

Trendprognose: Eine treibende Kraft

Die Creativiteens sind eine der treibenden Kräfte für Gesellschaft und Wirtschaft. Während ihre Eltern die virtuelle Realität entdecken, gestalten die Creativiteens die reale Virtualität – eine Wirklichkeit, die sich immer mehr mit digitaler Information und Simulation verwebt. Mittels Social Media bringen die Creativiteens einen Aspekt in unser Leben zurück, der beinahe verloren ging – die direkte Kommunikation wie auf dem Dorfplatz: alle miteinander und nicht jeder Einzelne mit einem anderen. Sie wollen sich mitteilen. Und das bedeutet Teilen. Die Creativiteens werden zu einer optimistischeren Grundhaltung in der Gesellschaft führen. Weil viele von ihnen die Erfahrung gemacht haben, dass selbst aus einer kleinen Idee eine große Sache werden kann. Sie sind keine Revolutionäre, wollen die Welt aber besser machen.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Dossier: Lebensstile

Dossier: Lebensstile

Der Megatrend Individualisierung hat dazu geführt, dass sich Menschen nicht mehr an Cluster-Codes halten: Im 21. Jahrhundert wechseln sie zwischen Clustern nach situativen Anlässen, mehrmals pro Tag. Heutige Lebensstile definieren sich deshalb nicht mehr nach äußeren Zuschreibungen, sondern nach Wünschen und Werten.

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