Das Internet ist eine gigantische Echokammer, die alle Impulse verstärkt und dabei ständig neue Konnektome erzeugt. Die Digitalisierung hat aber auch die analogen Medien radikal verändert. In der Rund-um-die-Uhr-Echtzeit-Welt bildet sich eine für die menschliche Psyche völlig ungewohnte Umwelt aus. Und genau hier entsteht inmitten der Shitstorm- und Angstwelt ein neuer großer mentaler Gegentrend, der in die Zukunft weist: die Achtsamkeits-Bewegung.
Achtsamkeit: Der wichtigste Gegentrend unserer Zeit
Jeder Impuls hat einen Gegenimpuls, jeder Trend erzeugt einen Gegentrend. Resonanz bedeutet eben auch, dass die Muster der Welt in ständigem Ausgleich schwingen. Zu jedem Shitstorm gehört ein Lovestorm. Der Brexit hat einen Gegenimpuls ausgelöst – in allen Ländern Kerneuropas stieg die Zustimmung zur EU erheblich. In der Wahl Trumps wird uns plötzlich deutlich, wie kostbar politische Ausgleichs- und
Achtsamkeit ist die Kulturtechnik der reifen Individualität in einer konnektiven Welt.
Kommunikationsformen sind. Und: Immer mehr Menschen beginnen, ihr digitales Kommunikationsverhalten im Sinne einer analog-digitalen Balance zu steuern. Immer mehr Menschen lernen, sich von den Erregungssystemen der Medien abzukoppeln und ihre mentale Autonomie wiederherzustellen. Immer mehr Menschen entwickeln Selbstwirksamkeitsstrategien gegen ihre Ängste. Dazu kann auch ein gesundes Maß an Gleichgültigkeit gehören – wenn man so will: Nicht-Resonanz. Jeder Achtsamkeits-Prozess beginnt mit einer notwendigen Distanzierung, einem Innehalten. Einen Moment lang entkoppeln wir uns von allem, was „dort draußen“ behauptet wird.
Achtsamkeit heißt, dass man das Trommelfeuer der Erwartungen, die Flut der Bilder und Ideologien, abschalten lernt – um wahrzunehmen, was ist. In der Achtsamkeits-Haltung erproben wir unsere neuronale Plastizität, unsere Fähigkeit, anders als in den Reflexen von Zorn, Angst, Neid, Furcht auf die Welt zu reagieren. Erst wenn man Menschen wahrnehmen kann, ohne sie unentwegt zu bewerten, erfährt man Verbundenheit. Achtsamkeit ist die Kulturtechnik der reifen Individualität in einer konnektiven Welt.
Wir brauchen eine neue Mutation der Menschheit, die den atavistischen Geist in die Gegenwart bringt, damit die Zukunft überhaupt möglich wird. Denn die Zukunft entsteht in Wahrheit nicht durch Technologien, sondern in unserer inneren Antwort auf das, was Technologien anrichten und ermöglichen. Auf diese Art und Weise verläuft der Fortschrittsprozess in einer ewigen inneren Schleife, zwischen dem Außen der Veränderung und dem Innen der mentalen Muster. Der Pfeil der Zukunft krümmt sich ständig in sich selbst, er ist eine Spirale, die dennoch, auf längere Sicht, nach oben weist, durch alle Krisen hindurch.