Natural Born Digitals

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„The medium is the message“ - das berühmte Zitat von Marshall McLuhan beschreibt, wie neue Technologien unsere Wahrnehmung und unser Denken verändern. Für Jugendliche gilt das in verstärktem Maße: Sie sind traditionell die Earliest Adopters neuer Medien und initiieren dabei neue Verhaltensweisen. Im Zeitalter der digitalen Transformation erlangt die jugendliche Medienaffinität aber eine neue Bedeutung: Wer heute aufwächst, bewegt sich in umfassenden Feedbackschleifen, im ständigen Wechsel der Perspektive auf das eigene Ich. Das ist prägend. Will man am Anfang des 21. Jahrhunderts noch von einem Generationenkonflikt sprechen, so ist er medialer Natur.

In seinem Roman „Lachs im Zweifel“ beschrieb Douglas Adams die menschlichen „Reaktionen auf technische Neuerungen“:

  • 1. Alles, was es schon gibt, wenn du auf die Welt kommst, ist normal und üblich und gehört zum selbstverständlichen Funktionieren der Welt dazu.
  • 2. Alles, was zwischen deinem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu, aufregend und revolutionär und kann dir vielleicht zu einer beruflichen Laufbahn verhelfen.
  • 3. Alles, was nach deinem 35. Lebensjahr erfunden wird, richtet sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge.

Auch heute lassen sich drei koexistierende Generationen der Mediennutzung unterscheiden:

  • 1. Die Generation der um die Jahrhundertwende Geborenen, alias „Generation Z“, die fast ausschließlich mit Mobile Screens aufwachsen und die erste Post-PC-Generation bilden. Sie handeln nicht nach dem Motto „Mobile first“, sondern „Mobile only“.
  • 2. Die heute 25- bis 35-Jährigen, die gern als „Generation Y“ oder „Millennials“ bezeichnet werden. Sie sind in der digitalen Welt aufgewachsen, allerdings in der „alten“ Welt der Desktop-PCs.
  • 3. Die ältere Generation, inklusive der Vertreter der Generation X und der Babyboomer, die noch eine analoge Welt erlebt haben.

Die Liquid Youth hat durch den engen Bezug zu digitalen Medien einen Startvorteil gegenüber vorherigen Jugendgenerationen. Eine Gesellschaft, Die neuen Generationenkonflikte sind medialer Natur die sich rapide verändert und in der digitale Medien eine enorm zukunftsweisende Rolle spielen, ist stark angewiesen auf neue digitale Expertise. Digital und Mobile Natives, die sprichwörtlich verwoben sind mit den neu entstehenden Mediensphären, werden einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung der nächsten Gesellschaft leisten.

Digital Age Gap

Dabei kehrt sich das traditionelle Generationenverhältnis um: Nicht die jüngeren Generationen müssen dazulernen, sondern ältere Generationen müssen die neuen Kompetenzen der Liquid Youth erlernen, um zukunftsfähig zu bleiben. Ein Großteil der jugendlichen Mediennutzung geht heute aber an den über 30-Jährigen völlig vorbei. Ein prägnantes Beispiel bietet die Videoplattform Youtube. Hier hat sich ein eigener Jugendkosmos etabliert, eine mediale Form von Jugendbewegung 2.0. Nicht Google oder Wikipedia, sondern Youtube ist für Jugendliche heute die erste Anlaufstelle im Internet. Es gibt kaum ein Thema, das nicht mit Erklärvideos, Tutorials oder Diskussionen besetzt wäre.

Die Clips der Youtube-Stars, die millionenfach abonniert werden, sind ausgerichtet auf eine mobilaffine To-go-Konsumierbarkeit, mit der die meisten Erwachsenen wenig anfangen können. Das Gleiche gilt für Messaging-Services wie Snapchat oder Whatsapp, über die heute ein Großteil der jugendlichen Kommunikation läuft.

Die Nutzung der digitalen Medien ist ein verborgenes funktionales Äquivalent zu den sichtbareren analogen Abgrenzungsambitionen vorheriger Jugendgenerationen. Das Credo aber ist das gleiche: Aus jugendlicher Perspektive sind Erwachsene nicht up to date und haben keinen Schimmer von den jugendspezifischen Lebenswelten. Viele Youtube-Clips parodieren die unzeitgemäße, uncoole Mediennutzung der Erwachsenen, die noch immer telefonieren statt zu chatten oder fernsehen statt zu streamen.

So wenig dieser mediale „Digital Age Gap“ bislang auf seine identitätsstiftende Funktion hin untersucht wurde, so zahlreich sind die empirischen Befunde, die ihn belegen. Bezeichnend ist dabei, dass das Medienverhalten von Jugendlichen immer digitaler und mobiler wird:

  • Das Smartphone ist für deutsche Jugendliche ab zwölf Jahren das zentrale Kommunikationsgerät (Bitkom 2014).
  • Mädchen verbringen knapp vier Stunden pro Tag mit dem Messenger-Dienst WhatsApp (SevenOne Media 2014).
  • Nur 25 Prozent der britischen 11- bis 15-Jährigen nutzen ihre Handys mindestens einmal wöchentlich zum Telefonieren (Ofcom 2014).
  • 22 Prozent der 11- bis 15-Jährigen sehen wochenlang nicht fern (ebd.).
  • Fast alle 12- bis 19-Jährigen (94 Prozent) in Deutschland sind regelmäßig online. Nur noch 32 Prozent lesen Tageszeitungen, Tendenz stark fallend (MPSF 2014)

Im November 2014 war auf Spiegel Online der „Selbstversuch eines Teenagers“ zu lesen, der eine Expedition in die seltsame Welt der Print-Publikationen macht (Deutschländer 2014). Für den 16-jährigen Moritz sind Zeitungen und Zeitschriften „Ein Erwachsenending“: „In meinem Freundeskreis hat jedenfalls nie einer gesagt: ‚Krasse Zeitschrift entdeckt, willste mal haben?‘“ Bei der Lektüre des Magazins seiner Wahl, einer Ausgabe von „Geo Epoche“, stellt er fest: „Im Internet wäre ich jetzt wohl weg gewesen, auf anderen Seiten, die mir bieten, was ich suche. Kostenlos.“ Moritz‘ Fazit: „Ich bin enttäuscht. Im Internet gibt‘s mehr Für und Wider. Ein großer Zeitschriftenleser werde ich wohl nie mehr.“ Zwei Monate zuvor hatte die FAZ den ebenfalls 16-jährigen Maximilian porträtiert, der eine quasiromantische Beziehung zu seinen digitalen Devices pflegt und sein Macbook seine „zweite Freundin“ nennt (Jäger 2014).

Mobile Devices als Lebensgefährten

Anders als die meisten Erwachsenen, die noch in analogen Zeiten aufgewachsen sind und klar zwischen on- und offline unterscheiden, denken Jugendliche beide Welten ganz natürlich zusammen. Ihre digitalen Aktivitäten sind nahtlos in ihre Lebenswelten integriert – ohne ihr „echtes Leben“ zu beeinträchtigen. So verbringen unter 20-Jährige zwar vier bis fünf Stunden am Tag vor Screens, aber trotzdem treffen sie sich drei- bis viermal pro Woche mit ihren Freunden (DAK 2013). Und diese „Offline-Freunde“ sind ihnen wichtiger als reine Online-Freundschaften (Welt Online 2014).

Der Generationenunterschied definiert sich zunehmend über den Umgang mit digitalen Medien. Mobile Devices und soziale Netzwerke sind für Jugendliche keine Spielzeuge, nicht einmal Werkzeuge. Sie sind Lebensgefährten, ein organischer Teil ihrer Lebenswelten. Und sie prägen die Faktoren, auf denen die neuen Werthaltungen der Liquid Youth beruhen: Vernetzung, Transparenz, Flexibilität.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Dossier: Lebensstile

Dossier: Lebensstile

Der Megatrend Individualisierung hat dazu geführt, dass sich Menschen nicht mehr an Cluster-Codes halten: Im 21. Jahrhundert wechseln sie zwischen Clustern nach situativen Anlässen, mehrmals pro Tag. Heutige Lebensstile definieren sich deshalb nicht mehr nach äußeren Zuschreibungen, sondern nach Wünschen und Werten.

Folgende Menschen haben mit dem Thema dieses Artikels zu tun:

Christian Schuldt

Christian Schuldt ist Experte für Systemtheorie, den Kultur- und Medienwandel sowie die neuen Gesetzmäßigkeiten der digitalisierten, vernetzten Gesellschaft.