Relations Mapping: Der Schlüssel zur Resonanz

Wie lassen sich die Beziehungspotenziale zu Kunden und Konsumenten in hochkomplexen Zeiten erkennen und erschließen? Die Methode des Relations Mapping zeigt: Ein zukunftsweisender Zugang muss systemisch ansetzen – und spielerisch.

Christian Schuldt, Verena Muntschick, Philipp Hofstätter

Zukunftsinstitut // Martin Markes, Die Zeichner

Kennen Sie auch das Gefühl, dass Sie eigentlich gern noch mehr über Ihre bestehenden oder potenziellen Kunden wissen wollen? Keine Frage: Die Datengrundlage, derer man sich heute bedienen kann, ist gigantisch. Jedes Alltagsverhalten der Konsumenten landet in irgendeiner Datenbank. Viele Unternehmen arbeiten zusätzlich mit Zielgruppendefinitionen oder agieren mit den diversen Modellen der sozialen Milieus. Große Organisationen führen eigene Zielgruppenstudien durch, beschreiben Personas oder definieren bis ins Detail Consumer- und Shopper-Gruppen.

Und doch lässt sich auf diese Weise immer nur ein Teilbereich der Kundenwelt erkennen. Denn in vernetzten Zeiten fällt es immer schwerer, einen differenzierten Überblick über die Gesellschaft – und damit auch über das Verhalten einzelner Menschen – zu erlangen. Die herkömmliche Einordnung in homogene Gruppen über Eckdaten wie Alter, Geschlecht, Einkommen und Herkunft greift nicht mehr: In der Netzwerkgesellschaft können Lebensentwürfe völlig individuell und frei gewählt und gewechselt werden – und sind deshalb ständiger Veränderung unterworfen. Das Einschätzen von Kundengruppen und die Erforschung von Marktpotenzialen sind deshalb für Unternehmen zu hochkomplexen Aufgaben geworden.

Besonders deutlich zeigt sich das am Wandel menschlicher Biografien, die heute keiner linearen Logik mehr folgen. Die Normalbiografie ist längst der Multigrafie gewichen, aus Lebensabschnitten sind Phasen geworden, die sich überschneiden (Kind und Karriere), zu Unterbrechungen führen (Arbeitslosigkeit, Sabbaticals) und Fortsetzungen und Wiederholungen finden (neue Ehe, neue Familie). Auch die Anzahl an möglichen Lebensentwürfen, die ein einzelner Mensch realisieren kann, hat sich vervielfacht. Die vernetzte Gesellschaft erlaubt – und erfordert – ein hochkomplexes Mit- und Nebeneinander an Lebensweisen. Selbst die Zugehörigkeit zu „sozialen Milieus“, die über viele Jahre einen mehrdimensionalen Zugang bot, verliert angesichts der neuen gesellschaftlichen Dynamik an Aussagekraft.

Zukunftsinstitut // Lebensstile

Umso wichtiger wird es für Unternehmen, jene Ebene zu erschließen und aufzubauen, die sie dauerhaft, auch in unübersichtlichen und volatilen Zeiten, mit Menschen verbindet: die eigene Beziehung zu Kunden und Konsumenten. Dafür braucht es neue Methoden, die umfassender und systemischer ansetzen. Das Verfahren des Relations Mapping, das einen wichtigen Bestandteil der neuen “Lebensstile”-Box des Zukunftsinstituts bildet, ist ein solcher Ansatz: einen neuen, ganzheitlichen Zugang zu menschlichen Wünschen und Werten, der empirisch gewonnene Lebensentwürfe mit den Trendbeobachtungen des Zukunftsinstituts verknüpft.

Vom Lebensstil zur Resonanzverbindung

Hilfreich bei der Erschließung dieses Zugangs ist der Begriff des „Lebensstils“. Zurückgehend auf den Soziologen Max Weber, erlaubt er es, Gruppierungen in der Gesellschaft sowie deren Prinzipien zu erkennen: Verhaltensweisen, Freizeitaktivitäten, Konsummuster und Einstellungen. Lebensstile sind Momentaufnahmen im Fluss: Sie zeigen, wie Menschen flexibel und mit innovativen Strategien auf neue Lebenssituationen reagieren – und geben damit Antworten auf neue gesellschaftliche Herausforderungen. Damit unterscheiden sich Lebensstile deutlich von klassischen Marktforschungsansätzen, die auf die Erzählung beispielhafter Personas setzen.

Zukunftsinstitut // Lebensstile

Ähnlich wie Trends machen auch Lebensstile die Grundströmungen gesellschaftlicher Werte und Verhaltensweisen sichtbar. Genau deshalb eignen sie sich so gut als „Werkzeug“: Auf systemische Weise ebnen sie nicht nur den Zugang zu Märkten, sondern helfen auch das zu erschließen, was in vernetzten Zeiten immer mehr an Relevanz gewinnt: die Beziehungspotenziale zu bestehenden oder künftigen Kunden.

Beziehungen definieren sich entlang von Empfindungen und Emotionen – also ganzheitlich: Man kann gegenüber einer einzigen Person Liebe, Eifersucht und Wut verspüren. Und zwar im selben Moment. Damit kann sich in einem Gefühl die ganze Komplexität einer Beziehung abbilden. Eine Möglichkeit, die Daten nicht bieten.

Treffend für die Beschreibung der Qualität von Beziehungen ist der Begriff der Resonanz, den der Soziologe Hartmut Rosa in seinem gleichnamigen Buch vertieft. Es geht um Verbindungen von Menschen, aber auch um die Verbindung von Menschen und der dinglichen Welt sowie der Welt der Konzepte: Jedes Produkt ist ein Ding, jeder Service ist von Menschen gemacht, jede Marke ist ein Konzept, das sich über Symbole und Rituale manifestiert – und zu allem bauen Menschen Verbindungen auf.

Die Frage lautet also: Wie kann es gelingen, diese Resonanzverbindungen zwischen Menschen und Marken, Produkten und Angeboten zu erkennen? Schließlich ist Resonanz nicht im klassischen Sinne messbar, sie darf nicht verwechselt werden mit Echo oder Bekanntheit. Resonanzverbindungen beruhen auf „inner states“, auf inneren Zuständen. Resonanz kann also auch entstehen, wenn kein Verhalten, keine Aktion sichtbar wird. Eben deshalb ist diese Art von Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden nicht mit den bekannten Werkzeugen abzubilden. Und gerade deshalb wird der Resonanz-Ansatz – das Aufdecken der inneren Zustände und das Entdecken der Berührungspunkte – so spannend für Marktbeobachter: Wer Resonanzverbindungen erkennt, hat einen neuen Zugang zu einer Gruppe von Menschen gefunden.

Innere Beziehungsbilder sichtbar machen

An dieser Schnittstelle setzt das Verfahren des Relations Mapping an. Ausgerichtet an der Typologie der Lebensstile, macht es die Beziehungen und Relationen zu den Kunden sichtbar und schafft so eine Landkarte der Kundenbeziehung – und zwar buchstäblich, im Sinne einer visuellen Darstellung. Das Grundkonzept stammt aus der systemischen Aufstellung, einer Methode, die eigens dazu entwickelt wurde, um intuitives Wissen zu beobachten. Dabei wird eine räumliche Veranschaulichung von Beziehungen genutzt, um innere Beziehungsbilder zugänglich zu machen und die inneren Muster eines sozialen Systems besser zu verstehen. Im Kontext der Organisationsentwicklung ist diese Methode schon weit verbreitet – im Umgang mit Kunden eher wenig, weil in den meisten Fällen die Basis dafür fehlt. Diese Lücke schließen die Lebensstile und das darauf bezogene Relations Mapping.

Die zentralen Fragen dabei lauten:

  • Wer sind unsere heutigen Kunden? Wie lassen sich Kunden besser kennenlernen und beschreiben, wie können Angebote zielgerichteter adressiert werden – und wie wird die eigene Nähe zu jenen Lebensstil-Gruppen erkennbar, die man noch gar nicht “auf dem Schirm hat”?
  • Wer sind unsere zukünftigen, potenziellen Kunden? Wie lassen sich neue Kunden und Kundengruppen entdecken und erreichen, und wie kann die Wirkung der Marke auf Gruppen in der Gesellschaft getestet werden?
  • Wie entfalten unsere Ideen und Konzepte ihr volles Potenzial? Wie wird erkennbar, für wen neue Produktideen spannend sind, und wie können Werbebotschaften plausibel hinterfragt sowie Produkte von vornherein für Gruppen “richtig” entwickelt werden?

Das Mapping selbst funktioniert dabei in Form eines Spiels: mit Spielkarten (für Lebensstile sowie für das Unternehmen und seine Produkte), auf einem Spielfeld. Am Anfang steht die Frage, für welches System das Relations Mapping durchgeführt werden soll. Das kann ein spezifischer Service sein, ein Produkt, eine ganze Produktlinie, eine neue Produktidee, ein neues Design, eine neue Kampagne – oder ein ganzes Unternehmen. Anschließend wird das Team definiert: Wer ist wichtig, wer bringt welches – implizite oder explizite – Wissen mit? Und dann wird “gespielt”, sehr intuitiv und schnell. Schon 15 Minuten können ausreichen, um spannende Einblicke zu erhalten. Je größer die Gruppe und je komplexer das gewählte System, desto mehr Zeit sollte eingeplant werden. Um das Mapping anschließend gut und solide zu interpretieren, braucht es vielleicht sogar einen halben Tag. Von 15 Minuten bis zu vier Stunden ist alles möglich.

Komplexität spielerisch meistern

Als systemische Methode funktioniert das Relations Mapping auch deshalb so gut, weil es spielerisch ansetzt. Schließlich ist auch das hochkomplexe System des menschlichen Gehirns gewissermaßen aufs Spielen programmiert, es ist eher ein “Spielzeug” als eine Rechenmaschine. Und gerade in vernetzten Zeiten werden spielerische Kompetenzen immer wichtiger für Individuen wie für Unternehmen, um sich flexibel und beweglich aufzustellen in volatilen und unvorhersehbaren Umwelten. Das Spiel erleichtert den Umgang mit komplexen Informationen – und fördert zudem Motivation und Inspiration.

Daher öffnet das Relations Mapping nicht nur den Weg für einen fundierten und frischen Blick auf die eigenen Kunden und Kundenpotenziale: Es stärkt zugleich die organisationsinternen Resonanzkräfte, indem es auf spielerische Weise das intuitive, implizite Wissen des gesamten Teams sichtbar macht und einen gemeinsamen Richtungssinn erzeugt. Sowohl das Mapping selbst als auch die anschließende Interpretation führen zu einer Neukombination jenes Wissens, das ansonsten in den einzelnen Köpfen verschlossen bleibt – nun aber der gesamten Organisation zugute kommt und die Unternehmenskultur bereichern kann.

In Zeiten, die von fortschreitender Vernetzung und damit auch stetig steigender Komplexität geprägt sind, bietet die Methode des Relations Mapping also einen zukunftsweisenden Zugang zu den emotionalen Welten von Menschen. Maßgeblich sind dabei drei zentrale Einsichten:

  • Menschen sind nicht mehr simpel kategorisierbar, sondern vielmehr geprägt von flexiblen und teils auch widersprüchlichen Wünschen und Werten.
  • Es gilt deshalb, “quer” zu den herkömmlichen Einordnungsmechaniken anzusetzen: ganzheitlich und systemisch, mit Fokus auf die übergreifenden Trendströmungen und Resonanzgefüge.
  • Ein dezidiert spielerischer Zugang kann dabei Wunder wirken, weil er nicht nur die Erschließung impliziter Wissenspotenziale erleichtert, sondern darüber hinaus auch auf die Organisationskultur einzahlt.

In diesem Sinne bietet das Relations Mapping eine komplexe Antwort auf die Komplexität unserer Zeit – und veranschaulicht zugleich, wie einfach und leicht der Umgang mit Komplexität sein kann, wenn die richtigen Parameter gesetzt sind. Oder: wie einfach auch ein anspruchsvolles Spiel sein kann, wenn die Spielregeln klug definiert sind.

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Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Dossier: Lebensstile

Dossier: Lebensstile

Der Megatrend Individualisierung hat dazu geführt, dass sich Menschen nicht mehr an Cluster-Codes halten: Im 21. Jahrhundert wechseln sie zwischen Clustern nach situativen Anlässen, mehrmals pro Tag. Heutige Lebensstile definieren sich deshalb nicht mehr nach äußeren Zuschreibungen, sondern nach Wünschen und Werten.

Folgende Menschen haben mit dem Thema dieses Artikels zu tun:

Christian Schuldt

Christian Schuldt ist Experte für Systemtheorie, den Kultur- und Medienwandel sowie die neuen Gesetzmäßigkeiten der digitalisierten, vernetzten Gesellschaft.

Verena Muntschick

Die studierte Germanistin, Anthropologin und Biologin ist seit 2014 für das Zukunftsinstitut tätig. Als Projektmanagerin, Researcherin und Autorin arbeitet sie an Studienprojekten und Auftragsarbeiten.