Marketing bedeutet in Zukunft nicht mehr, Emotionen zu wecken oder Bedürfnisse zu schaffen. Vielmehr geht es um Resonanzerfahrungen, Beziehungen und neue Möglichkeitsräume. In einer Welt der Achtsamkeit liegt unternehmerischer Erfolg im Mitgefühl: Im Mitgefühl können wir uns von unserem Bedürfnis nach unbedingter, „fanatischer“ Identifikation befreien. Mitgefühl bejaht das Eigene in der Kommunikation mit dem anderen. Die dafür aufzubringende Achtsamkeit koppelt Wissen wieder an Kompetenz, Information an Vermögen und Kommunikation an Berührung. Erfolg ist etwas, das zwischen Menschen stattfindet.
Im Geschäftsleben bewegen wir uns ständig zwischen Messbarkeit und Gefühl, Zahlen und Intuition. Manager geben heute unverhohlen zu, dass sie viele Entscheidungen „aus dem Bauch“ heraus treffen, obwohl wir im Zeitalter von Big Data
„Resonanz ist die Grundsehnsucht nach einer Welt, die einem antwortet.“ (Hartmut Rosa)
doch alles messen können. Aber selbst in sogenannten Data-driven Companies können die Daten nur den Rahmen bilden, in dem kreativ und empathisch Ableitungen für die nächsten Schritte erzeugt werden. Daten allein, ohne die menschliche Fähigkeit, mit ihnen umzugehen, sind wertlos. Experten auf dem Feld bestätigen, dass Unternehmen nur mit Daten erfolgreich sind, wenn sie ihr inneres Drängen, ihren „Sinn“, kennen – eine Vision haben. Die Grundlage für die harten Daten sind demnach wieder weiche Faktoren: Sinn, Vision. Achtsamkeit. Auch „Data-driven Companies“ sind also in Wirklichkeit „Vision-driven Companies“.
Diese Erkenntnis entspricht ganz der These, die uns Hartmut Rosa in seinem Werk „Resonanz“ zugänglich macht. „Resonanz ist die Grundsehnsucht nach einer Welt, die einem antwortet. Und die in jedem Menschen angelegt ist, weil wir Beziehungsmenschen sind. Wenn diese Sehnsucht eingelöst wird, weil jemand aufgeht in einem bestimmten Bereich, führt er ein gelungenes Leben.“ Erst wenn der Sinn, die Idee oder Vision eines Unternehmens fundiert und deutlich wahrnehmbar ist, kann man verstehen, wie man mit Daten umgeht. Weil es im Kern eben nicht um die Daten geht, sondern um Beziehungen – zwischen Menschen und Menschen, Menschen und Dingen, Menschen und Daten. Erst dann kann man vor Augen haben, welche Resonanzpotenziale in einem Unternehmen schlummern. Um danach, auch mit den modernsten Hilfsmitteln und Technologien, die idealen Bedingungen für Resonanz zu erzeugen.
Resonanz ist bidirektional: Es geht nicht nur darum, berührt, bewegt, ergriffen zu werden (was Rosa als Affizierung ausdrückt), sondern ebenso sehr darum, selbstwirksam zu sein und sich als selbstwirksam zu erfahren, das heißt, selbst etwas oder jemanden zu erreichen, zu bewegen und zu berühren (das deutet Rosa mit Emotion an). Die Vision eines Unternehmens bringt also nichts, wenn sie nicht „berührt“ und gleichzeitig dafür sorgt, dass Menschen dadurch eine „Selbstwirksamkeit“ erleben. Affizierung und Emotion. Berührt werden und berühren. Erst wenn beide Richtungen funktionieren, ist es möglich, von Resonanz zu sprechen.
Das Entstehen eines neuen Modells
Für eine professionelle Implementierung dieses Resonanzverständnisses braucht es ein tiefes Verständnis für das eigene Resonanzpotenzial. Aus der Sicht eines Unternehmens setzt dies eine ehrliche, fundierte Reflexion des eigenen Faszinosums, des natürlichen Drangs voraus: Apples Design-Verrücktheit, Red Bulls Über-Leistungs-Fiktion oder die Bildungsphilosophie von Whatchado. Das Resonanzpotenzial erschließt sich aber nicht aus beauftragten Visionen oder Mission Statements. Das Potenzial kann weniger „erarbeitet“ denn „beobachtet“ werden. Was sind die Rituale und Handlungen, Kommunikationen und Kulturen, die sich in einem Unternehmen fast automatisch zeigen? Was sind die Reflexe und Dialoge, die einem Unternehmen innewohnen? Dies erzählt viel darüber, wo das Resonanzpotenzial zu vermuten – ja vielleicht zu verorten – ist. „Rituale stiften soziokulturell etablierte Resonanzachsen, entlang deren vertikale (zu Göttern, zum Kosmos, zur Zeit und zur Ewigkeit), horizontale (in der sozialen Gemeinschaft) und diagonale (auf die Dinge bezogene) Resonanzbeziehungen erfahrbar werden.“ (Rosa). Diese Rituale zeigen sich nicht in dafür anberaumten Meetings, sondern in den Bewegungen davor und danach. In den Zwischenräumen und Kaffeeküchen der Unternehmen kann man viel darüber lernen, was an Resonanzpotenzial vorhanden ist.
In einem Modellansatz zum Verständnis der eigenen Resonanzmöglichkeiten ist das Entdecken und Wahrnehmen des Resonanzpotenzials eine ganz zentrale Voraussetzung. Erst wenn man dieses, wie vage auch immer, zu formulieren vermag, kann man seinen Blick nach draußen – in die Gesellschaft – wenden und nach den Räumen Ausschau halten, in denen dieses Potenzial der Resonanz wirksam werden kann.
Um diesen zweiten Schritt zu tun, dem „nach draußen“, ist es möglich, auch innerhalb der Gesellschaft nach den Entsprechungen dieses Potenzials zu suchen. Dies gelingt beispielsweise, indem man der Beobachtung der Gesellschaft ein Modell zugrunde legt, dass die Menschen in ihren Bedürfnis- und Motivlagen erläutert, ohne sofort die engen Rahmen der Milieus oder Zielgruppen oder ähnlicher Konstrukte anzuwenden. Aus dem Zukunftsinstitut stammt dafür das Modell der „Lebensstile“, welches sich aus der Kombination komplexer demografischer Daten mit den psychologischen Entwicklungsphasen im Leben der Menschen ergibt. Die daraus generierten Lebensstile bilden ein Spektrum der Gesellschaft ab, das etwa 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland abdeckt. Die darin genannten Lebensstile sind sehr konkret umrissene Lebenskonzepte, die auf einer der größten Datenbanken des deutschsprachigen Raums basieren. Die Lebensstile sind charakteristisch gut erfasst und in messbaren Größen beschrieben. Wir können dadurch ein Bild der Gesellschaft zeichnen, das uns hilft, ihre Emotionen und Beweggründe besser zu verstehen.