Let’s PETS: Die neue Sinn-Ökonomie

Welche Art von Mehrwert wollen wir? Die Prosumer Exchange Trading Systems (PETS) der Next Economy rücken die Frage nach dem Zweck des Wirtschaftens in den Fokus.

Von Prof. Dr. André Reichel (09/2015)

Die bisherigen Kennzahlen für wirtschaftlichen Value Added sind überwiegend monetär und auf die existierende Geldwirtschaft bezogen. Wirtschaften hat aber in seinem Aristotelischen Urgrund nichts mit Geld zu tun: Geld ist ein Mittel, um zu wirtschaften, ein Transmissionsriemen. Der Aufschwung von Kryptowährungen und Corporate Currencies verweist darauf, dass Unternehmen zusammen miteinander, mit ihren Kunden und der Zivilgesellschaft eigenes Geld erschaffen können. 

Die LETS (Local Exchange Trading Systems) bieten hierfür ein Beispiel aus der Wirtschaft jenseits der bisherigen Wirtschaft. Ein wirtschaftlicher Value Added in der Next Economy kann in vielen verschiedenen Geldmitteln ausgedrückt werden. Ist nicht genug vorhanden für einen bestimmten Sachverhalt, eine bestimmte Problemlösung, benötigt es lediglich Vertrauen und Kryptosoftware zwischen ko-produzierenden Akteuren zur Errichtung eines Prosumer Exchange Trading System (PETS).

Worin besteht nun der Unterschied zwischen LETS und PETS? Während LETS ein alternatives Transaktionssystem jenseits der herkömmlichen Geldwirtschaft darstellen, die gehandelten Produkte aber weiterhin in der Fremdversorgungswirtschaft der Next Economy produziert werden, geht die Idee von PETS weiter. Der Fokus liegt ganz klar auf dem „Prosumer“, dem aktiv tätigen Konsumenten, der sich in ko-produzierenden Gemeinschaften nicht nur selbst versorgt, sondern in einen basiskapitalistischen Austausch mit anderen Prosumenten auf selbst geschaffenen Märkten tritt. PETS sind dazu geeignet, Produktion und die dazugehörigen Produktionsmittel in vielfältigen Währungs- und Transaktionsregimen neu zu organisieren – und dabei resistent zu sein gegenüber Währungsschocks der klassischen Geldwirtschaft, Banken- und Staatsschuldenkrisen.

Mit den technischen Möglichkeiten stehen der Errichtung und Verbreitung von PETS eigentlich keine Grenzen mehr im Wege: Zum einen können Produkte in lokalen Eigenproduktionsstätten kleinskalig produziert und repariert werden, zum anderen lassen sich internetbasierte Austauschplattformen und Währungen unaufwändig aufsetzen. Unternehmen der Next Economy können hierbei weiterhin eine wichtige Rolle spielen, indem sie zum Beispiel Plattformen selbst bereitstellen. 

Etwa als eine Art PayPal mit beliebig gestaltbaren Währungen, die für jedes PETS anders sein können, als Lieferanten für Werkzeuge der Eigenproduktion im Sinne Ivan Illichs oder als gleichberechtigte Ko-Produzenten im Rahmen eines PETS – und zu dessen Bedingungen, also einem Austausch, der nicht notwendigerweise auf durch Kreditvergabe von Banken erzeugtem Geld basiert. Unternehmen können sich auch als zentraler Akteur eines PETS durch die Ausgabe eigenen Gelds platzieren, zum Beispiel zur Finanzierung von Investitionsprojekten in einem Unternehmensnetzwerk oder einer Branche.

Gleichwohl wird durch PETS aber die Frage nach dem wirtschaftlichen Mehrwert neu gestellt. In der Next Economy lautet die Antwort darauf nicht mehr Geld, sondern Gelder – Geld kommt nur noch im Plural vor. Und wird dadurch eine ganz andere Bedeutung erhalten als in der Now Economy. Gelder werden zu einer Entmystifizierung von Geld beitragen, und für das Management steht eher im Vordergrund, welche Art von Geld, und damit auch welche Art von Liquidität, für bestimmte zu erfüllende Aufgaben besonders geeignet erscheint. Der wirtschaftliche Mehrwert wird damit de-absolutiert, er wird unternehmerischen Entscheidungen wieder zugänglich – welche Art von Mehrwert wollen wir?

Wirtschaftlichkeit und damit auch wirtschaftlicher Gewinn werden in der Next Economy wieder als Mittel zur Zielerreichung erfahrbar, nicht mehr als Ziel an sich. Damit ist diese nächste Wirtschaft vielmehr „Oikonomia“ im Sinne Aristoteles’ als die Now Economy. Wird Geld aber weniger wichtig, wird der Sinn der produktiven und ko-produktiven Tätigkeiten stärker im Vordergrund stehen. PETS sind damit nicht nur ein neues Instrument alternativen Wirtschaftens, sondern auch ein Treiber einer Sinn-Ökonomie, die nach dem Zweck des Wirtschaftens fragt und Antworten braucht, um überhaupt Motivationen mobilisieren und Entscheidungen legitimieren zu können.

Über den Autor

Prof. Dr. André Reichel ist Professor für Critical Management & Sustainable Development an der Karlshochschule International University (Karlsruhe). Zuvor war er Research Fellow am Europäischen Zentrum für Nachhaltigkeitsforschung der Zeppelin Universität (Friedrichshafen). Reichels Forschungsschwerpunkte liegen in der betriebswirtschaftlichen Perspektive auf die Postwachstumsökonomie, insbesondere auf wachstumsresiliente Geschäftsmodelle und neue Erfolgsindikatoren. Mehr Infos unter www.andrereichel.de 

In eigener Sache: Im “Zukunftsreport 2016” (erscheint im Dezember) wird André Reichel den Wandel von der Now Economy zur Next Economy ausführlich analysieren.

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