„Werkbank der Welt“ war gestern: Anstatt auf Produktion setzt der aktuelle Fünfjahresplan der chinesischen Regierung auf Konsum. In China schraubt eine neue Mittelschicht ihre Ansprüche hoch. Und was produziert wird, ist immer seltener eine bloße Kopie westlicher Produktideen und immer häufiger eine Innovation „Made in Chinesische Unternehmen setzen auf die „Need Seeker“-Innovationsstrategie China“. So wird ein neues Zeitalter der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes eingeläutet. Europa und die USA galten bislang als Labor für Innovationen. Doch immer mehr chinesische Unternehmen schafften es in den letzten Jahren, zu internationalen Playern aufzusteigen, deren eigene Innovationskraft zunimmt. In der „Forbes Top 100 Innovative Companies“- Liste befanden sich 2013 drei chinesische Unternehmen auf den 20 vordersten Plätzen (Baidu Platz 6, Henan Shuanghui Platz 11, Tencent Platz 18).

“Schwärmt aus!”

Auch weiterhin verzichten sie nicht ganz auf fremdes Know-how. Doch chinesische Unternehmen werden sich in Zukunft weniger durch Joint Ventures im eigenen Land Zugang zu innovativer Technologie verschaffen als durch Mergers & Acquisitions. Allein im Jahr 2013 gingen 120 europäische Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen in chinesische Hände über. Bekannte Beispiele solcher Unternehmensübernahmen sind der Aufkauf von IBM durch Lenovo und Volvo durch Geely. Gefördert werden diese Expansionsbemühungen durch die Regierung. Deren Motto „Zou chu qu“ („Schwärmt aus“) unterstreicht das Ziel, mit ausländischem Know-how starke chinesische Marken global zu etablieren und mit hochwertigen Produkten den Weltmarkt zu erobern.

Neben dem Einkauf ausländischen Wissens setzen viele chinesische Unternehmen laut dem Innovation Report 2013 von Booz & Company auf die „Need Seeker“-Innovationsstrategie. Anstatt sich wie „Technology Drivers“ auf interne F&E-Investitionen zu konzentrieren, beschäftigen sich Need Seekers statt mit der Technik mit ihren Kunden, um aus deren Bedürfnissen Ideen zu generieren. Dabei ähneln sie Unternehmen aus dem Silicon Valley: Dort verfolgen 46 Prozent der Firmen die kundenorientierte Innovationsstrategie.

In einer Studie von Frog Design spiegelt die Aussage eines Produktmanagers bei Tencent, einem großen Internet-Service-Provider, die Wichtigkeit der Markt- und Konsumentennähe wider: „Wenn wir versuchen würden, innerhalb eines Jahres das perfekte Produkt zu launchen, hätten wir unsere Konkurrenzfähigkeit schon verloren. Wir hätten längst am Markt vorbei produziert, denn die Technologie- Präferenzen der chinesischen Konsumenten ändern sich jeden Monat. Uns bleibt nur der Weg der stufenweisen Produktentwicklung.“

Strategie der kleinen Schritte

Anstatt auf disruptive Neuerungen setzen chinesische Firmen also eher auf Mikro-Innovation – das sukzessive Verbessern bestehender Ideen. Dieses Vorgehen erlaubt einen billigeren und effizienteren Prozess für neue Produkte oder Ideen. Während im Westen grandiose Ideen und disruptive Veränderung gefeiert werden, sieht man in China solche oft als unbesonnen an. Und doch steht die chinesische Mentalität einer großangelegten wirtschaftlichen Neuausrichtung, in der Unternehmertum und Innovation gefördert wird, nicht grundsätzlich im Wege. Für die World Bank sehen Chinas Bestrebungen zum globalen Innovation Leader zu werden überwiegend realistisch aus. In der Untersuchung „China 2030“ hält die World Bank fest, dass das Land ungemein viele Gelder in die Forschung und Entwicklung steckt, das Bildungssystem verbessert hat, innovative Firmen unterstützt und sich zunehmend eine unternehmerische Business-Kultur entwickelt, die Startups fördert.

Eigentlich passt diese Politik auch gut zum Selbstverständnis der Chinesen: Das Land der Mitte sieht sich selbst als große Nation der Erfinder, Entdecker und Eroberer. Von der Papierherstellung über Schießpulver bis hin zum Kompass – viele grundlegende Erfindungen stammen aus China. Die Chinas Selbstverständnis: Das Land der Erfinder, Entdecker und Eroberer Unterdrückung während des Kolonialismus durch die Engländer und später die Invasion der Japaner fügten dem Land schweren wirtschaftlichen Schaden zu und lassen das nationale Selbstwertgefühl bis heute leiden. In der Phase der Abschottung unter Mao verschwand das einstmals stolze China mit seiner kulturellen Vorreiterrolle im asiatischen Raum für einige Zeit hinter dem eisernen Vorhang und spielte weltpolitisch eine geringe Rolle. Seit Deng Xiaopings Politik der Öffnung in den 1980er-Jahren aber erstarkt die heutige Wirtschaftsmacht. Auf die Tigersprünge der Nullerjahre folgt jetzt eine Phase, in der die wirklich tiefgreifenden Veränderungen leise vonstatten gehen.

Der neue Kurs: Innovation und nachhaltigeres Wachstum

Die heutige Zahl der Patentanmeldungen und die wachsenden F&E-Ausgaben in Unternehmen zeigen, dass China gerade hart an einer Vorreiterrolle in Sachen Erfindergeist und Innovation arbeitet. Der ehemalige Ministerpräsident Wen Jiabao lässt keinen Zweifel an der Bedeutung von Innovation: „Für eine Nation gibt es nur Hoffnung, wenn sie sich auf Information und Intelligenz stützt. Sie hat keine Hoffnung, wenn sie nur kopiert und abschreibt.“

Im neuen Fünfjahresplan der chinesischen Führung wird die radikale Neuausrichtung deutlich. Wohlstand soll gleichmäßiger verteilt, das soziale Sicherungsnetz verbessert und der Binnenkonsum ausgeweitet werden. Unüberlegte Prestige-Projekte wie der Drei-Schluchten- Staudamm, das größte Wasserkraftwerk der Welt, sollen einem nachhaltigeren Wachstum weichen. Um die bisweilen instabile wirtschaftliche Entwicklung auf solideren Boden zu bringen, werden nun nicht mehr allein prozentuale Wachstumsraten und Bruttoinlandsprodukt als Erfolgsindikatoren berücksichtigt, sondern ein Bündel aus wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Faktoren. Tatsächlich beginnt auch die Lebensqualität der Chinesen in der Politik eine Rolle zu spielen.

Made in China: Die neue Ing.-Dynastie

China richtet sich neu aus: Es wird innovativer und nachhaltiger produziert. "Made in China“ könnte somit das neue Qualitätssiegel werden. 
Quelle: Trend Update

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Megatrend Globalisierung

Megatrend Globalisierung

Der Megatrend Globalisierung bezeichnet das Zusammenwachsen der Weltbevölkerung. Während internationale Wirtschaftsbeziehungen unter schwankenden nationalen Interessenlagen stehen, befinden sich Wissenschaft und Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaften weltweit in zunehmend engerem freien Austausch der Ideen, Talente und Waren. Diese Verbindungen sind der vielleicht wichtigste Treiber des menschlichen Fortschritts.

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Verlieren wir zu viele intelligente Menschen an das Ausland? Ist Deutschland also ein Opfer des berüchtigten „Brain Drain“? Fest steht: Viele Hochqualifizierte wandern aus Deutschland aus. Aus Deutschland kommen sogar die meisten hoch qualifizierten Auswanderer, die aus OECD-Ländern stammen. Doch die überraschende Erkenntnis: Das muss nicht zwangsläufig ein Nachteil sein. Denn Deutschland kann so zu einer Drehscheibe transnationaler Migration werden und damit ein Gewinner des weltweiten „Brain Gain“.

Die Beispiele von Tawain, Israel und Bangalore zeigen, was transnationale Migration für das Binnenwachstum einer Volkswirtschaft bedeuten kann: Die Wanderer zwischen den Welten bringen Es gibt eine noch unerzählte Erfolgsgeschichte der globalisierten Migration Innovationen und Investitionsmöglichkeiten zurück in ihre Heimatländer, was dort die Wirtschaft ankurbelt, was wiederum neue Absatzmöglichkeiten für die produzierenden Länder schafft – wie zum Beispiel Deutschland. Es gibt also auch eine noch unerzählte Geschichte der globalisierten Migration, die mit Flüchtlingselend und Sozialneid nichts zu tun hat. Eine Geschichte, die für alle Beteiligten eine Erfolgsgeschichte ist.

Wanted: „Bildungsausländer“

So sehen sich die deutschen Universitäten auch im Wettbewerb um ausländische Studierende. Mit Sorge beobachtet der Deutsche Akademische Austausch-Dienst (DAAD) die Aufholjagd von Brasilien, Russland, Südkorea und Saudi-Arabien als attraktive Ausbildungsstandorte. Doch noch ist Deutschland das beliebteste nicht englischsprachige Gastgeberland der Welt für Studenten, die sich nicht nur im eigenen Land ausbilden lassen wollen. Sechs Prozent aller sogenannten „Bildungsausländer“ weltweit studieren in Deutschland. Damit das auch so bleibt, bieten deutsche Universitäten verstärkt Kurse in englischer Sprache an, damit auch Studierende ohne Deutschkenntnisse eine Chance haben.

Deutschland ist also attraktiv für Studenten mit Migrationshintergrund, doch nach dem Abschluss ziehen viele weiter oder kehren in ihre Heimatländer zurück. Im Gegensatz zu Deutschland versuchen die USA erfolgreich, die ausländischen Absolventen nach der Promotion im Land zu halten. 68 Prozent der Migranten, die im Jahr 2000 in den USA promoviert haben, waren fünf Jahre später immer noch dort. Weitgereist, ehrgeizig, hervorragend ausgebildet: Es ist offensichtlich, dass diese Menschen einen wertvollen Beitrag leisten können. In den USA haben Zuwanderer Unternehmen wie Google, Yahoo und eBay gegründet. Hinter mehr als der Hälfte der Startups in Silicon Valley und der angemeldeten Patente stehen qualifizierte Migranten, obwohl sie nur 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Unbegründete Einwanderungsängste

In deutschen Medien war in jüngerer Zeit häufig von „Armutsmigration“ die Rede. Dabei kam eine Studie des Centre for European Policy Studies zu dem Schluss, dass Sozialleistungen keine Magnetwirkung auf EU-Migranten ausübten. Seit die EU 2004 die Grenzen nach Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen öffnete, kamen viele Migranten aus diesen Ländern nach Großbritannien – und generierten nachweislich mehr Steuerabgaben, als sie Sozialleistungen in Anspruch nahmen. Die Ängste bezüglich der Freizügigkeit für Rumänen und Bulgaren ab Januar 2014 scheinen vor diesem Hintergrund irrational, denn am Ende der Rechnung steht deutlich sichtbar ein Plus. Das weiß auch die Federal Reserve Bank der USA, deren diesbezügliche Forschungsarbeiten ergaben, dass „Migranten die produktive Kapazität eines Landes erweitern, indem Migranten erweitern die produktive Kapazität eines Landes sie Investitionen anregen und zu stärkerer Spezialisierung beitragen… Dies führt zu Effizienzvorteilen und das Einkommen je Arbeitskraft nimmt zu.“

Speziell in Deutschland könnte Migration die Lösung für gleich zwei große volkswirtschaftliche Probleme bedeuten, nämlich für den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel. Der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung liegt in Deutschland bei über 20 Prozent und ist nirgendwo in der EU so hoch wie hier. 42 Prozent der deutschen Unternehmen haben nach einer Umfrage der Manpower Group Schwierigkeiten, ihre Stellen zu besetzen.

Eine neue globale Rolle für Deutschland

Mit Blick auf eine Zukunft, die von der Alterung der Bevölkerung und niedrigen Geburtenraten einerseits und andererseits von einer Kreativ-Ökonomie, die von kultureller Diversität stark profitiert, geprägt sein wird, ist die Zuwanderung nach Deutschland zu begrüßen. Und sie ist hoch: Kein anderes europäisches Land ist Wohnort so vieler Migranten wie Deutschland. Nach den USA und Russland ist es das drittgrößte Einwanderungsland der Welt. Obwohl hier keine nennenswerte Kolonialvergangenheit, wie etwa im Falle Portugal-Brasilien, den kulturellen Boden bereitet, und obwohl die deutsche Sprache berüchtigt ist für ihre Kompliziertheit, ist Deutschland so etwas wie eine Drehscheibe für internationale Wanderungsbewegungen geworden.

Die Herausforderung liegt darin, die Rolle, die Deutschland schon jetzt in einer globalisierten Welt spielt, in das deutsche Selbstverständnis zu integrieren. Denn alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Deutschland in Zukunft zu einer zentralen Drehscheibe für die weltweiten Migrationsströme werden wird. Darin liegt seine große Chance.

Quelle: Trend Update 03/2014

Literatur

Ian Goldin: Exceptional People. How Migration Shaped Our World and Will Define Our Future. Princeton University Press 2012

Statistisches Bundesamt: Datenreport 2013

Giovanni Peri: The Effect of Immigrants on U.S. Employment and Productivity. In: Federal Reserve Bank of San Francisco: Economic Letters, 30.08.2010

Demos: People Flow. 2011, www.demos.co.uk

Gekommen, um zu kaufen: Chinas neue Mittelschicht

Chinas wachsende Mittelschicht befeuert Innovationen auf allen Ebenen und wächst mit unglaublicher Geschwindigkeit. Laut McKinsey ließen sich zur Jahrtausendwende nur vier Prozent der Städter zur Mittelschicht zählen, 2012 waren es bereits 68 Prozent und in acht Jahren werden drei Viertel der urban lebenden Chinesen dazugehören. Das Gros des Wachstums wird sich zukünftig aber Die traditionell sparsamen Chinesen entwickeln sich zu begeisterten Konsumenten verlagern – in kleineren, im Hinterland gelegenen Städten wird die Zahl der Mittelständler rasanter zunehmen als in den Mega-Citys an der Ostküste. Dafür wird sich in den bereits sehr entwickelten Städten die obere Mittelklasse stärker herausbilden. Über die Hälfte derer, die ihr angehören, wird 2022 über ein Einkommen von jährlich zwischen knapp 13.000 und 28.000 Euro verfügen.

Das gestiegene Einkommen lässt aus den traditionell von Sparmentalität geprägten Chinesen begeisterte Konsumenten werden, die durch ihre Kaufkraft auch das Angebot hochwertiger Produkte und Services beeinflussen. Denn die Ansprüche an Konsumgüter und Dienstleistungen wachsen parallel zum verfügbaren Einkommen und in der Konsequenz konzentriert sich die Wirtschaft nicht mehr auf Billig-Exporte, sondern auf den heimischen Markt mit seiner wachsenden Käuferschicht. Doch um ihre Kunden nicht an ausländische Marken zu verlieren, müssen sich chinesische Unternehmen an die gestiegenen Ansprüche anpassen.