Männerbilder für die Zukunft

Das Männerbild herkömmlicher Bauart hat ausgedient. Wie kann eine zukunftsfähige Form von Männlichkeit aussehen?

Von Christian Schuldt (07/2015)

© fotolia.com / Olly

In der Geschichte des Geschlechterverhältnisses spielte der Mann lange Zeit die Hauptrolle. Mit der langanhaltenden feministischen Bewegung haben die Frauen nun das Zepter übernommen – und den Mann auf die Suche nach der verlorenen Identität geschickt. Ist „Männlichkeit“ obsolet?

Ein Blick auf die Evolution der Geschlechterrollen zeigt, wie das Modell Mann zukunftstauglich werden könnte. Das alte Männerbild entstammt der traditionellen Gesellschaft, die bis ins 19. Jahrhundert tonangebend war. Sie war unterteilt in hierarchisierte Schichten und abhängig von Zentralinstanzen, die allem einen Platz in der vorgegebenen Ordnung zuwiesen. Dieser strikten Stratifizierung entsprachen ebenso starre Geschlechterrollen, die sich ebenso klar im alltäglichen Leben aufteilten: der Mann als Versorger und familiäres Oberhaupt, die Frau als Quasi-Untergebene im Heim-und-Herd-Bereich. Eine Zwei-Klassen-Rollenverteilung, welche die hierarchische Gesellschaftsstruktur im Privaten spiegelte.

Von männlicher Dominanz zum Feminismus

Erst im Zuge der bürgerlichen und industriellen Revolution begannen diese Verhältnisse flexibler und moderner zu werden. Ab dem 18. Jahrhundert wurde die hierarchische Schichtung sukzessive abgelöst durch funktionale Teilbereiche, es bildeten sich die Sphären des Öffentlichen und des Privaten. Der Mensch teilte sich auf in sein Ich und die Rollen, die er in der modernen Gesellschaft spielen konnte. Das konnte zu überraschenden Gegenentwürfen führen, etwa einer frühen Variante des „Softies“, die um 1800 populär war: empfindsame Männer, die Briefe schrieben und ständig den Tränen nahe waren. Dennoch blieb die klassische Rollenverteilung von Mann und Frau noch lange erhalten, und die bürgerliche Kleinfamilie bildete weiterhin das verpflichtende Lebensmodell.

Das änderte sich schlagartig mit der Kulturrevolution von 1968: Der öffentliche Stil wurde zwangloser, es begann ein neues Zeitalter der Empfindsamkeit. Grüne und Frauenbewegung machten einen traditionell „weiblichen“ Sozialstil der intimen Kommunikation populär. So wurde das öffentliche Leben, bislang eine männlich dominierte Domäne, „weiblicher“, und die Frauen wurden „männlicher“ – auch durch ihr offensives Verfechten eines weiblichen Kommunikationsstils.

Für den Mann eröffnete das zwar neue Optionen, um seine Identität auszuleben, vom Softie über den Schwulen bis zum Hausmann. Doch er blieb dabei weiterhin selbstbezogen, ohne echte Distanz zur eigenen Rolle. Das zeigten auch die betont „männlichen“ Identitätsentwürfe der 80er-Jahre: Macho, Yuppie und Erlebnis-Single waren erste Vorboten der Sinnkrise, die in den 90ern einsetzte. Spätestens jetzt, am Übergang von der Industrie- in die Informationsgesellschaft, wurde klar, dass fast alles, was zuvor als exklusiv „männlich“ galt, entwertet wurde, allen voran die körperliche Arbeitskraft. Für die Aufgaben der neuen Wissens- und Kommunikationsökonomie waren Frauen ebenso gut gerüstet. Mindestens.

Heute: Der aufgespaltene Mann

Frauen haben heute zunehmenden Einfluss in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Dieser epochale Wandel wird in der neuen Netzwerkökonomie immer sichtbarer: Im „Social Business“ sind Soft Skills wie Kommunikationskompetenz, Empathie und Teamfähigkeit gefragt. Der traditionelle männliche Fokus auf Hierarchie, Status und Konkurrenz wirkt da geradezu geschäftsschädigend. Auch die fortschreitende Flexibilisierung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse begünstigt „weiche“ Kompetenzen. Frauen werden damit zum eigentlich überlegenen Geschlecht – und für Männer bricht das Fundament ihrer Männlichkeit weg, über das sie sich jahrhundertelang und quasi selbstverständlich definiert hatten.

Im Grunde werden die Männer nun selbst vom Feminismus eingeholt. Ähnlich wie Frauen müssen sie heute zwischen verschiedenen Rollenerwartungen changieren und situationsabhängige Entscheidungen treffen. „Das Männliche“ wird quasi von innen aufgespalten und öffnet den Raum für eine Vielfalt möglicher Eigenschaften und eine neue Rollenpluralität. Zum Beispiel im Bereich Partnerschaft und Familie, wo „neue“ Männer nach neuen Beziehungs- und Vaterqualitäten streben.

Die Ära des entgrenzten Geschlechts

Damit einher gehen auch Tendenzen der Retraditionalisierung, sei es in Form von dezidiert „männlichen“ Produkten (wie etwa dem Kochmagazin „Beef!“) oder Lifestyle-Trends wie dem Vollbart-Hype. Diese Trends bestätigen aber zugleich, dass eine Umdefinierung in vollem Gange ist: Gemäß dem „Gender Paradox“-Phänomen sind die Unterschiede in den Geschlechtsidentitäten umso ausgeprägter, je gleichberechtigter eine Gesellschaft tatsächlich ist. In Norwegen führte etwa eine jahrzehntelange „gendersensible“ Erziehung zu einem Revival altbekannter männer- und frauentypischer Berufe.

Wir leben im Zeitalter des „entgrenzten“ Geschlechts: „Die“ Frauen und „die“ Männer gibt es nicht mehr, Männlichkeit und Weiblichkeit sind immer im Plural zu denken, und Lebensstile sind unabhängig von Geschlecht, Alter und sozialer Herkunft praktizierbar. Das hat auch Facebook erkannt und die Zahl seiner Gender-Optionen im Profil von zwei auf 58 erhöht. Diese Egalisierung schafft zugleich eine historisch einmalige Situation: Erstmals müssen sich Männer den Frauen anpassen, um soziokulturell mithalten zu können – zuvor war es stets umgekehrt.

Morgen: Der resiliente Stehauf-Mann

Angesichts der Tatsache, dass die männliche Identität stets stark auf die Arbeitswelt fixiert war, verwundert es nicht, dass die heutige Situation des Mannes strukturelle Ähnlichkeiten zum Wirtschaftssystem aufweist. Im Zeichen des digitalen Wandels stehen Unternehmen an einem ähnlichen Wendepunkt wie der Mann: Beide müssen herausfinden, wie sie künftig konkurrenzfähig bleiben können, beide müssen ihren USP neu definieren, um zukunftsfähige Strategien zu entwickeln.

Ein aussichtsreiches Erfolgsrezept für die Netzwerkökonomie lautet: Resilienz. Und dieser Begriff könnte auch den Schlüssel für ein neues, zukunftsweisendes Männerbild liefern. Resilienz entstammt dem lateinischen „resilire“ und bedeutet so viel wie „abprallen“. Es geht um Störungstoleranz, um die Fähigkeit eines Systems, mit Veränderungen umzugehen. Und ein populäres Sinnbild für Resilienz ist geradezu auf den verunsicherten Mann von heute zugeschnitten: Es ist das Stehaufmännchen, das sich aus jeder Lage wieder aufrichten kann.

Innere Ruhe jenseits des Rollendenkens

Wie aber können sich Männer diese Widerstandsfähigkeit aneignen? Zunächst müssen sie lernen, jenseits von Geschlechterrollen zu denken. Der Mann der Zukunft muss keine Rolle spielen, weder die des Starken noch die des Softies. Er darf Gefühle zeigen – aber nicht, um sich behaupten oder gefallen zu müssen. Er ist reflektiert, selbstbewusst und hat emotional dazugelernt. Diese gefestigte Identität verträgt auch eine Portion Maskulinität: nicht machomäßig-potent, sondern in sich selbst ruhend.

Den Einzug der Frauen in die Arbeitswelt sieht dieser neue Mann nicht mehr als Bedrohung, denn Arbeit und Karriere bilden immer seltener den roten Faden in seiner Biografie. Er denkt ganzheitlich und ist ein Work-Life-Koordinator, für den Freizeit, Freunde und Kinder wichtiger werden – weshalb er Frauen nicht um ihre zahlreicher werdenden Chefsessel-Positionen beneidet. Das eröffnet zugleich neue Marketingpotenziale, etwa durch „maskuline“ Angebote im Wachstumsmarkt der Work-Life-Balance – oder durch die positive Besetzung einer neuen, „gesunden“ Männlichkeit, die Eigenschaften wie Stärke, Kraft oder Risikobereitschaft repopularisiert.

Fazit: Gut gerüstet für das "Age of Context"

Die neue Rollenvielfalt bedeutet kein „Ende der Männer“, wie es die Journalistin Hanna Rosin in ihrem gleichnamigen Buch proklamiert. Am Ende ist lediglich der alte Typ Mann. Dieses Relikt aus vergangenen, starr strukturierten Zeiten, kann in der neuen Netzwerkgesellschaft und ihrem Fokus auf Flexibilität nur noch als abschreckendes Beispiel dienen. Der neue, resiliente Stehauf-Mann hingegen hat seine Zukunft erst noch vor sich – weil er Männlichkeit potenziell und situativ definiert. Die Frage „Wann ist ein Mann ein Mann?“ beantwortet er für sich selbst und immer wieder neu. Damit ist er gut gerüstet für das Zeitalter der Kontextualisierung und Koordination, in dem wir künftig leben werden.

Mehr zum Thema

Superdaddys: Neue Rolle für den neuen Mann

Superdaddys: Neue Rollen für neue Männer

Aktive Väter programmieren die Gesellschaft der kommenden Jahre um: Die Familie ergänzt die Arbeit als sinnstiftendes Element des männlichen Lebens.

Dadvertising für die neuen Väter

Dadvertising für die neuen Väter

Die Superdaddys sind auf dem Vormarsch – vor allem medial: In der Werbebranche zeigt der “Dadvertising”-Trend das Männerbild von morgen.

Für eine Kultur des Sowohl-als-auch

Für eine Kultur des Sowohl-als-auch

Nicht der Diversity-Diskurs über Unterschiede und das andersartige Nebeneinander bringt uns künftig weiter, sondern das Erkennen der Ähnlichkeiten, die uns verbinden.