Die Zukunft des Tech-Marketing

Technik bietet immer mehr Chancen – aber die Lage ist unübersichtlich. Algorithmen buhlen immer ausgefeilter um die Aufmerksamkeit der User und verstehen ihre Journeys immer besser. Richtig angewendet helfen die neuen Tools, mit Inhalten Impulse zu erzeugen – hier sind die wichtigsten Tech-Trends aus dem Marketing zusammengestellt. Ein Auszug aus der neuen Studie Transforming Brands.

Von Christoph Kappes

Illustration: Sabrina Katzenberger, Material: pexels, pixabay, unsplash

Marketing heute

In der heutigen Marketingpraxis stöhnt man über das Tempo der Entwicklung und die neue Unübersichtlichkeit. Die Budgetallokation erfolgt in praxi häufig immer noch nach „Brand“ und „Performance“ (obwohl jeder weiß, dass beide aufeinander einwirken) – und nach „Channels“, obwohl sich längst herumgesprochen hat, dass jede individuelle Journey zählt, die dabei meistens über verschiedene Channels sowie verschiedene Werbearten läuft. Weil immer mehr Tools und immer mehr Expertinnen und Experten auf immer mehr Kanälen im Spiel sind, steigt der Managementaufwand, dieses Orchester ein harmonisches Ganzes spielen zu lassen.

Kunden verstehen

Entscheidend ist und bleibt die Frage: Entsteht hier zwischen Unternehmen und Kundinnen und Kunden wirklich eine Beziehung – mit einer Tiefe, die dem ständigen Trend zur Wechselbereitschaft entgegenwirken kann? Wurde ein Text verstanden, nur weil er länger als zwei Sekunden aufgerufen war, und darf man den anschließenden Kauf schon als Zustimmung werten? Was genau in der Journey war denn nun der Moment of Truth? Kann man überhaupt auf irgendeine Qualität von Beziehung aus einer bloßen Transaktion schließen? KI durchzieht zwar als neue Basistechnologie vieles – doch sie ist nicht der einzige Trend im Tech-Marketing.


Neue Marketingtechnologien

  • Emotion-based Targeting ist als neue Metrik für die Zielgruppenansprache noch jung, wird aber schon angewandt. So bietet etwa das Projekt „Feels“ der „New York Times“ 18 vordefinierte Nutzeremotionen an. Die Grundlage ist eine KI, die anhand von Texten trainiert wurde, mit hoher Wahrscheinlichkeit grobe Nutzeremotionen vorhersagen kann – und damit rund 40 Prozent mehr Impressions generiert. Auch Amazon ist auf diesem Feld aktiv, hier werden Emotionsannahmen aufgrund von Stimmanalysen getroffen.
  • Marken-Avatare werden immer öfter genutzt und kommen für Vertrieb, Service und nutzwertige Inhalte in Betracht – ob als Chatbots wie im BBC-Projekt „Beep“, eingebettet in Spiele, als YouPorn-Charaktere (wie die virtuelle Figur Jedy Vales) oder als Kosmetikberater wie Procter & Gambles SK-II.
  • Augmented Reality geht weiter aus der Pilotphase in die Verbreitung. Auf Pinterest können Nutzerinnen und Nutzer mit der „Try on“-Funktion Produkte virtuell ausprobieren, wenn sie die Kamera Pinterest Lens verwenden. Mit VR-Anwendungen kann man seit Jahren virtuelle Räume erforschen, die sich Markenartikler ausgedacht haben. All Nippon Airways ermöglicht das Begreifen der Kabinenausstattung und mit Wanderstiefeln von Merrell und ein bisschen Hardware kann man die Dolomiten entdecken.
  • Videokonferenzen haben seit der Coronakrise extreme Nutzungssteigerungen. Wenn Unternehmen entsprechende Versionen dulden, bietet sich damit eine völlig neue Werbeform für B2B mit hoher Passgenauigkeit. In jedem Fall eröffnet sich ein globaler Aufmerksamkeitsraum neuer Dimension, der granulare B2C-Zielgruppenansprache ermöglicht, zum Beispiel von Fitnesssportlerinnen und -sportlern.
  • TV-Analytics der jüngsten Generation geht in erweiterten Attributionsmodellen auf, die nun auch diesen Touchpoint auf der Journey messen und gewichten, die Auswirkungen auf Online-Traffic messen und auch SEA-Kampagnen optimieren, etwa realytics.io.
  • Digitale Außenwerbung könnte künftig kleinteilig und kurzfristig über Marktplätze buchbar werden, sodass auch sehr spezielle und kleinere Audiences in der physischen Welt erreichbar werden.
  • AdTech verlässt sich herkömmlich weitgehend auf Cookies, was nun jedoch aus vielen Gründen infrage gestellt wird. Browser wie Firefox und Safari verbieten Cookies standardmäßig, und die Identifikation eines Nutzers wird immer schwieriger, seit er mehrere Geräte nutzt und auch zwischen verschiedenen Applikationen wechselt. Wie AdTech ohne Cookies aussehen wird, ist noch nicht ganz klar.

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Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

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Christoph Kappes

Der Internetpionier und Autor bewegt sich seit mehr als 25 Jahren in den Bereichen IT, Geschäftsmodelle und Produktinnovation. Er ist tätig als Berater für Online-Strategien und Interim Manager.