Wir leben heute in einer Zeit der Überemotionalisierung, in der sich auch Marken der Kraft der Emotionen bedienen. Sie verkaufen oftmals weniger ein Produkt als ein bestimmtes Lebensgefühl, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder den Ausdruck individueller Einstellungen. Emotionen erzeugen Begehrlichkeiten – und sind damit seit jeher eine Grundzutat von Marketingrezepten. Immer häufiger dirigieren Marken heute jedoch, wie sich Menschen fühlen sollen. Sie bürden ihnen Emotionen auf, die sie zur Herstellung eines für sie erstrebenswerten, angenehmen Zustands gar nicht gebraucht hätten – und mit denen sie sich ebenso wenig weiterentwickeln.
Erst recht dann, wenn diese Emotionen beispielsweise darauf basieren, dass zunächst Schönheitszweifel gesät werden, um dann eine Lösung dafür anzubieten. Oder dann, wenn Werbemaßnahmen nur auf den Effekt zielen und der Bezug der Emotionen zum eigentlichen Produkt fehlt. Die Omnipräsenz vermarkteter Gefühle führt allerdings zu Abstumpfungseffekten – und erzeugt Widerstände gegen eine emotionale Übergriffigkeit. Eine Hauptfrage für Marken lautet daher: Wie kann es gelingen, Menschen künftig anzusprechen und ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen? Elementar ist dabei die Rückbesinnung auf das, was Menschen eigentlich ausmacht: auf die menschlichen Anliegen – das, was sie im Inneren antreibt und bewegt. Das erfordert ein sehr viel umfänglicheres Verständnis von Emotionen, als es heute in den meisten Marketingabteilungen vorhanden ist – und von den neuen Mechanismen der Aufmerksamkeit, die sich in der digitalisierten Gesellschaft entwickeln.
Kommunikations-, Marketing-, und Personalabteilungen müssen sich heute Gedanken machen, wie sie künftig mit Menschen kommunizieren wollen (und können), die eine emotionale Souveränität entwickelt haben – und welche Kompetenzen dafür nötig sind. Wie baut eine Marke Beziehungen zu Menschen auf, die selbstbestimmt mit ihren Emotionen umgehen? Welche Beziehungskultur und -kompetenz muss im Unternehmen gefördert und von Führungskräften vorgelebt werden, um den Kontakt mit potenziellen Kunden und Mitarbeitern langfristig aufrechtzuerhalten? Grundlage bildet eine Kultur, die auf geteilten Werten und auf Vertrauen basiert. Wer seine Werte sicher vertreten weiß, vertraut – und wer vertraut, der bindet sich gern und freiwillig.