Gender Marketing im Kinderzimmer

Plädoyer für eine Kindheit ohne Rollenklischees: Almut Schnerring und Sascha Verlan über Marketing, das Gender-Stereotypen fördert.

Einer der Megatrends, mit denen das Zukunftsinstitut arbeitet, ist der Megatrend Gender Shift: Geschlechter­rollen verlieren ihre Verbindlichkeit, ihnen wird künftig immer weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Gleichzeitig aber ereilt uns – und vor allem die nachwachsende Generation – gerade ein „Rosa­-Hellblau-­Rollback“: Gender wird in vielen Bereichen des Lebens stärker betont und performt denn je.

Anekdotisch berichten Almut Schnerring und Sascha Verlan, Kommu­nikationsexpertin und Journalist, von ihren Konfrontationen mit neuen Rollen­klischees für Mädchen und Jungen, die sie mit ihren drei Kindern erleben. Es geht um mediale Rollenbilder, sexistische Werbung, geschlechtergetrennte Spielzeu­ge, frühes Gendering in Kindergärten und die alltäglichen Fallstricke, über die auch gendersensible Eltern stolpern.

Die „Übermacht der Bilder“, so die These, bedroht die individuelle Freiheit unserer Kinder. Gegen diese neuen Gender­-Korsetts treten die Autoren an. Dafür begeben sie sich in den Kampf gegen zahlreiche Studien und Expertenmeinungen, die den biologischen Unterschied der Geschlechter als Faktum darstellen, das bedient werden müsse. Das Kampfmittel: Ebenso zahlreiche Gegenstudien Kampf gegen die neuen Gender-Korsetts und -meinungen, die zeigen, wie künstlich eine solche Grenz­ziehung zwischen Menschen ist. Die Appelle der Autoren an die Politik, stereotypenförderndes Rollback­ Marketing zu unterbinden, offenbaren eine gewisse Sorge, Medien und Marketing könnten stärker sein als der gute Wille der Menschen. Entsprechend vermisst man bei der Aufforderung an die Eltern, ihren Kindern eine individuelle Entwicklung jenseits der Genderklischees zu ermöglichen, mitunter etwas Optimismus.

Für alle, die auf der Suche nach ihren eigenen blinden Flecken sind, hält das Buch aber viele augenöffnende Überraschungen und Anregungen bereit. Vom Gefühl eines Kampfs gegen die Windmühlen, das das Buch manchmal vermittelt, sollte man sich nicht irritieren lassen. Denn wir werden nicht in neuen Stereotypen stecken bleiben – der mediale Back­lash ist lediglich Symptom einer Gesell­schaft mitten im Umbruch. Er ist Teil der Dynamik, die den Gender ­Shift letztlich antreibt.

Almut Schnerring, Sascha Verlan: Die Rosa-Hellblau-Falle. Kunstmann (2014)

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Buchrezensionen

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Dossier: Marketing

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Verena Muntschick

Die studierte Germanistin, Anthropologin und Biologin ist seit 2014 für das Zukunftsinstitut tätig. Als Projektmanagerin, Researcherin und Autorin arbeitet sie an Studienprojekten und Auftragsarbeiten.