Pornografie hat die Hinterzimmer und schmuddeligen Vorstadtvideotheken verlassen und ist im Mainstream unserer Erlebniskultur angekommen
Alltagstaugliche Pornografie

Nackte, in Ekstase erstarrte Menschen finden sich auf großformatigen Plakaten zu Lars von Triers Film „Nymph()maniac“. Genau so geschrieben: mit zwei Klammern, statt dem „o“. Im Nachmittagsprogramm des Musiksenders Viva schaukelt der ehemalige Kinderstar Miley Cyrus nackt auf einer Abrissbirne und singt dabei vom Lieben und Verlassenwerden, während uns Popstar Nikij Minaj „This one is for my bitches with a fat ass in the fucking club“ entgegenschmettert und sich im knappen Höschen durch ihren Song „Anaconda“ twerkt. In den Werbeblöcken dazwischen wirbt eine unter der Dusche stöhnende Frau für Shampoo und eine Gruppe Teenager für die neueste Version des „Nacktscanner“. Willkommen in unserem Alltag.
Sex und Pornografie haben sich von ihrem einstigen „Schmuddelimage“ verabschiedet und sich als fester Teil unserer Pop-Kultur etabliert. Sex und Sexualität sind Themen, über die wir heutzutage offen und ganz selbstverständlich reden. Und auch Pornografie ist nicht mehr Pornografie wurde zum Teil unserer Pop-Kultur Pornografie. In unserer modernen Gesellschaft hat es nicht mehr viel mit der expliziten detaillierten Darstellung sexueller Handlungen zu tun. Porno ist zum Inbegriff eines neuen, hippen Lebensstils geworden. Ganz gleich ob in der Werbung, in der Musikszene oder der aktuellen Mode, Porno findet sich in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens, Man könnte sogar von einer Art „Pornifizierung“ des Alltags sprechen. Wie konnte es dazu kommen?
Vom Schmuddelthema in den Alltag
Pornografie blieb über viele Jahre den Augen der breiten Öffentlichkeit verborgen. Auch wenn der Zugang schon immer gegeben und die Nachfrage durchaus vorhanden war, zwang sich Pornografie niemanden auf. Wer nichts mit dem vermeintlichen „Schmuddelthema“ zu tun haben wollte, musste sich auch nicht damit beschäftigen. Das sollte sich spätestens mit dem Sinneswandel in der Folge der 68er-Bewegung ändern. Die ersten Anzeichen für die „Pornifizierung“ des Alltags lassen sich in den 70ern erkennen. Mit „Deep Throat“ oder „The Devil in Miss Jones“ wurden zum ersten Mal pornografische Filme in US-amerikanischen Kinos verbreitet und erfreuten sich einer rasch wachsenden Popularität. Heute zählen diese Filme zu den Pornoklassikern und gehören gleichsam zum Bildungskanon.
Von der sexuellen Liberalisierung der 90er begünstigt, setzte sich die „Pornifizierung“ der Gesellschaft fort. Die Medien trieben die Sexualisierung der Kultur voran und lösten zunehmend die Grenzen zwischen Porno und Popkultur auf. Ehemalige Pornostars wie Dolly Buster tauchten jetzt vermehrt im seriösen Kontext fernab der Porno-Welt auf, während sich Popsternchen wie Britney Spears im sexy Schulmädchenoutfit an Pole-Dance-Stangen räkelten. Jeff Koons brachte mit „Made in Heaven“ eine Sammlung von Bildern heraus, die ihn und seine Frau – eine ehemalige Pornodarstellerin – beim Sex darstellten. Und in Fernsehsendungen wie „The L Word“ und „Sex and the City“ sprach man jetzt nicht nur ganz offen über Sex, sondern scheute auch nicht davor zurück, neue Sexpraktiken und homosexuelle Beziehungen darzustellen. Pornografie wurde zum Teil unserer Pop-Kultur.
Medien sorgen für öffentliche Akzeptanz
Ein wichtiger Treiber für die „Pornifizierung“ des Alltags sind die Medien. Ihre Beziehung ist dabei von einer gewissen Abhängigkeit geprägt: Indem Medien über Pornografie berichten, gestehen sie ihr eine gewisse Rechtmäßigkeit zu. Im Gegenzug färbt ein Hauch des „verruchten Porno-Glamours“ auf die Medien ab. Dadurch, dass die Berichterstattungen zumeist positiv ausfallen, wird Porno eine gewisse Normalität zugesprochen. Infolgedessen gelangen immer mehr pornografische Elemente in die gesellschaftliche Mitte. Heute ist Porno allgegenwärtig – in der Werbung, in der Mode, in der Musik, im Fernsehen, in der Sprache und im Internet. Es ist normal, wenn sich It-Girl Paris Hilton immer wieder „unten ohne“ erwischen lässt oder ihre ehemalige Busenfreundin Kim Kardashian für das Paper Mag komplett blankzieht und ihren Hintern gekonnt – und unter Einsatz von viel Körperöl – in Szene setzt. Es ist auch normal, dass sich Mann und Frau im TV-Format „Adam sucht Eva“ nackt zum ersten Blind-Date treffen oder das Playboy Charlie Harper in der Sitcom „Two and a half man“ Frauen wechselt wie andere Unterwäsche. Wir regen uns nicht über die zumeist sexistischen Witze auf, sondern lachen darüber.
Ähnlich unerschrocken betrachten wir die expliziten Gewalt- und Sexszenen in Lars von Triers „Nymph()maniac“. Das Buch „50 Shades of Grey“ beschreibt detailliert die sadomasochistische Beziehung zwischen einer Studentin und einem Millionär und zählt zu den bestverkauften Büchern der letzten Jahre. Die gleichnamige Verfilmung startete pünktlich zum Valentinstag 2015.
Porno wird Kunst
In keiner anderen Branche sind die Grenzen zwischen Kunst und Porno so fließend wie in der Musik. Bekanntestes Beispiel ist hierfür ist der US-amerikanische Rapper Snoop Dogg, der neben seiner Musik erfolgreich Pornofilme produziert. Diese Nähe zu Pornografie findet sich nicht nur in unzähligen seiner Videos, sondern auch bei vielen seiner Kollegen, wie 50 Cent, Robin Thicke oder Busta Rhymes. In der Regel folgen diese Musikvideos Schema F: Männer treten als so genannte „Pimps“ auf, währen Frauen das sexy, zumeist leicht bekleidete und lasziv tanzende Beiwerk sind.
Doch interessant ist die neuere Entwicklung bei den weiblichen Musikerinnen: Noch nie haben weibliche Künstlerinnen wie Beyoncé, Rihanna oder Jennifer Lopez ihren Allerwertesten so oft in die Kamera gehalten. Die „Booty-Königin“ ist jedoch Nicki Minaj. In ihrem eingangs bereits erwähnten Song „Anaconda“ verwendet sie nicht nur den Beat von Sir Mix-A-Lots „Baby got back“, sondern überschreitet mit sexy „Twerks“ immer wieder die Grenzen zum Pornografischen. Frauen inszenieren sich über mediale Bilder; sie werden vom Lustobjekt zum Lustsubjekt.
Porno ist endgültig im Alltag angekommen und zum Ausdruck eines hippen Lebensstils geworden. Diese Entwicklung ist durchaus positiv, denn sie steht für die Befreiung der menschlichen Sexualität. Es gibt kaum noch Zwänge oder Tabus. Nahezu alles, was gefällt, ist erlaubt. Gleichzeitig wird es jedoch immer schwerer, eine klare Grenze zu ziehen. Wo hören Kultur und Kunst auf und wo beginnt bereits Pornografie? In Zukunft müssen wir lernen, kritisch und sensibel mit erotischen Bildern umzugehen.
Literatur:
Nicola Steffen: Porn Chic. Die Pornifizierung des Alltags. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2014
Julia Hackober: “Porno ist Alltag, dem niemand mehr entkommt”. in: welt.de, 16.12.2014.