Die neue Prognostik verbindet Erkenntnisse aus unterschiedlichen Systemwissenschaften zu einer universalistischen Wissenschaft des Wandels. Die Teilwissenschaften im Überblick.
Quelle: TREND UPDATE 03/2013
Die neue Prognostik verbindet Erkenntnisse aus unterschiedlichen Systemwissenschaften zu einer universalistischen Wissenschaft des Wandels. Die Teilwissenschaften im Überblick.
Quelle: TREND UPDATE 03/2013
Die Wahrscheinlichkeitstheorie - “ars conjectandi” - wurde von Cardano, Huygens und Jakob Bernoulli im 17. Jahrhundert begründet und von Simon Laplace und Bayes im 18. Jahrhundert zu einer mathematischen Disziplin weiterentwickelt. Probabilistik beschäftigt sich mit Wahrscheinlichkeiten in komplexen Systemen. Berechnet werden zum ersten Mal auch Dimensionen des Nicht-Wissens oder Noch-Nicht-Wissens, des Risikos und der Un-Wahrscheinlichkeit.
Als Synthese von Ingenieurswissenschaften und Informationstheorie beschreibt die Systemtheorie Modellbildung zum Verständnis komplexer Prozesse. Ihre Ursprünge gehen auf die 20er Jahre zurück, ihre Grundlagen wurden von Ludwig von Bertalanffy gelegt. Mittels einer Variante der Systemwissenschaften, der Kybernetik (z.B. Norbert Wiener), entwickelte sich Ende der 60er Jahre eine neue Regelungs- und Planungs-Wissenschaft, besonders in den sozialistischen Ländern, in denen man sich von „sozialer Kybernetik“ die rationale Steuerung ganzer Gesellschafts-Systeme versprach.
Ein weiteres fundamentales Element der Prognostik: Begründet von Oskar Morgenstern und John von Neumann in den 40er Jahren als kooperative Spieltheorie, ergänzt von John Nash, dem Nobelpreisträger („A Beautiful Mind“) mit der non-kooperativen Spieltheorie, bekam sie im Kalten Krieg eine enorme operative Bedeutung. In den militärisch geprägten Think-Tanks der USA, etwa der Rand Corporation, versuchte man mithilfe der Spieltheorie militärische und politische Probleme der Block-Konfrontation zu lösen. Im Kontext der neuen Prognostik dient sie vor allem als Element zur Konflikt- und Kooperations- Forschung (z.B. Bruce Bueno de Mesquita).
Der derzeit wohl wichtigste und umfassendste Erweiterungsansatz zur Verbesserung prognostischer Systeme: In der Erweiterten Evolutionstheorie wird Darwin „weitergeschrieben“, über die natürlichen Prozesse von Anpassung, Auslese und Adaption hinaus. Evolutionäre Formen werden nun auch auf emotionale, psychologische, Evolutionäre Formen werden nun auch auf emotionale, psychologische, soziale, politische Fragestellungen übertragen soziale, politische Fragestellungen übertragen. In der Systemischen Evolutionstheorie verbinden sich kybernetische und evolutionäre Ansätze. In der Evolutionären Psychologie fragt man nach den Grundlagen menschlicher Kognitionsfähigkeiten im Kontext des Evolutionsprozesses. Im Zukunftsinstitut werden solche Ansätze zum Beispiel in der Technik-Prognostik eingesetzt (siehe das Buch „Technolution“ von Matthias Horx). In den Disziplinen der Soziobiologie und Evolutionspsychologie arbeiten heute Stars wie Richard Dawkins, Desmond Morris, Matt Ridley, Stephen Pinker, Geoffrey F. Miller. In Seitensträngen verbinden sich diese Ansätze mit Kognitions- und Systemtheorie, z.B.: Robert Wright (Systemische Evolutionstheorie) und Daniel Dennett (Evolutionsphilosophie).
Ein wichtiger Beitrag zur Frage, wie und wohin sich Kulturen und Zivilisationen entwickeln, ist die Komplexitätsorientierte (oder ganzheitliche) Geschichtswissenschaft, wie sie von Daniel Landes, Jared Diamond, Fernand Braudel, Castells und Steve Olson vertreten wird. Hier geht es um eine multifaktorielle Betrachtung sozialer, ökonomischer und historischer Faktoren im Kontext historischer Adaptions- und Selektionsprozesse.
Die Kognitionspsychologie widmet sich vor allem der Frage, was wir erkennen können – und wie sich die Erkenntnisse und Erkenntnisweisen und Wissen weiterentwickeln. Diese Disziplin entwickelt sich in Symbiose mit den Evolutionswissenschaften hin zur Evolutionären Kognitionstheorie und zur Neurokognitionswissenschaft (z.B. Steven Pinker, Daniel Dennett, Paul Bloom). In der Wirtschaftspsychologie werden experimentelle Psychologie, Evolutionstheorie und Ökonomie kombiniert (Daniel Kahnemann, Amos Tversky, Vernon L. Smith, George Loewenstein, Dan Ariely, Tim Harford, John Kay u.a.). Es geht vor allem um die subjektive Seite ökonomischen Verhaltens. Die experimentelle Ökonomie „baut“ aus diesen Überlegungen Simulationsmodelle mit Agenten und Attraktoren (z. B. John H. Miller, Scott E. Page). Dazu kommt die (Rational) Choice Theory, die neue „Entscheidungswissenschaft“, die sich der Frage widmet, nach welchen Kriterien Menschen entscheiden (Malcolm Gladwell, Gerd Gigerenzer u.a.).
Im Rahmen dieser Disziplin, die von Max Weber begründet wurde, entwickelt sich derzeit eine neue Theorie kultureller Zeichen, die in Form der Memetik (Dawkins, Susan Blackmore u.a.) schließlich in einer neuen „sekundären“ Evolutionstheorie mündet. Die Memetik begreift Ideen, kulturelle Inhalte, Religionen, Mentalitäten, Verhaltensmuster etc. als „Replikatoren“, die sich in menschlichen Hirnen und Kommunikationssystemen fortpflanzen. Sie wendet die evolutionären Gesetze auf die Kultursoziologie an und verbindet sie mit der Neuropsychologie.
Die Netzwerk-Theorie untersucht die Verfasstheit und Veränderung menschlicher Netzwerke, besonders im Kontext des Internet. Diese Disziplin geht aber auch in die Computerwissenschaft und Partikel-Physik über und hat starke Andockstellen in der Genetik (Stichwort „gene regulatory networks“). Die bekannteste Theorie ist die Small-Worlds-Network-Theorie (oder „Kleine- Welt-Phänomen“), nach einem Experiment des berühmten Psychologen Stanley Milgram in den 60er Jahren. Duncan J. Watts („Six Degrees“) und Steven H. Strogatz sowie Albert-L. Barabasi entwickelten die Theorie der „Optimierten Netzwerke“ weiter.
Seit einigen Jahren gibt es immer wieder Versuche, auch die Trennungen zwischen den physikalischen und den sozialen Disziplinen zu überwinden. Daraus entstanden Werke wie „Die Einheit des Wissens“ von Edward O. Wilson, Murray Gell-Manns „Das Quark und der Jaguar“, „Gödel, Escher, Bach“ von Douglas R. Hofstadter oder John D. Barrows „Theory of Everything“. Als zeitübergreifendste Form der Betrachtung evolutionärer Systeme entwickelt sich die „Kosmologische Evolutionstheorie“ (John Gribbin, Simon Conway Morris, Stephen Hawking).