Die Debatte um "richtiges" Wirtschaften verschiebt die Attraktivität von Berufen. Werden künftig Schreiner und Schmiede die Investment-Banker aus dem Feld schlagen?
Von Jeanette Huber (11/2016)
Die Debatte um "richtiges" Wirtschaften verschiebt die Attraktivität von Berufen. Werden künftig Schreiner und Schmiede die Investment-Banker aus dem Feld schlagen?
Von Jeanette Huber (11/2016)
"Was müsste dir eine berufliche Tätigkeit bieten, damit du zufrieden sein kannst?" In der Shell Jugendstudie 2015 antworteten 93 Prozent der 12- bis 25-Jährigen, die "Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen" sei wichtig oder sehr wichtig. Junge Menschen fordern Gestaltungsfreiheit – und sie ahnen, dass diese nicht im Großraumbüro mit durchgetaktetem Arbeitstag und minutiös festgelegten Arbeitsprozessen auf sie wartet. Im Vergleich dazu kann das Handwerk punkten.
"Der Bildschirm wird zum uniformen Medium nahezu aller Weltbeziehungen", beschreibt der Soziologe Hartmut Rosa die Folgen der Digitalisierung. Am Bildschirm tun wir alles: Wir arbeiten, informieren uns, lesen, hören Musik, spielen. Der Bildschirm hilft uns zu kochen, zu waschen, zu reisen. Rosa zufolge erleben wir dadurch eine "digitale Desozialisation". Und als Gegentrend wächst die Sehnsucht nach dem Analogen, nach dem Fühlbaren und Fassbaren, dem Riech- und Schmeckbaren. Unsere Nahsinne haben Konjunktur und damit die Arbeit am Material, am Lebensmittel, am Leder, am Stahl, am Stein und natürlich am Holz.
Handwerk ist "Beziehungs-Arbeit". Wo andere Flöße bauen und sich mühsam durch Klettergärten hangeln müssen, um den Gemeinschaftssinn zu befördern, entsteht Teamgeist in vielen Gewerken quasi natürlich. Wer ein Dach im Alleingang decken möchte, wird es schwer haben. In einem zwölfköpfigen Innovations-Team eines Großunternehmens kann sich der Einzelne vielleicht noch verstecken, aber wer beim Ziegelwerfen nicht aufpasst, kriegt sofort ein Problem. Der Einzelne ist wichtig und wichtig genommen werden ist heute Mangelware. Laut der Shell Jugendstudie ist für 85 Prozent der Befragten "das Gefühl, anerkannt zu werden" wichtig bis sehr wichtig. So macht gerade die Lebens- und Kundennähe das Handwerk attraktiv, insbesondere für jüngere Menschen. Es erfordert allerdings auch neben der fachlichen eine hohe soziale Kompetenz.
Hunderte junge Handwerker folgen heute wieder einer Uralt-Tradition: Sie gehen auf die Walz, in der Kluft ihres Handwerks, ohne Geld für Unterkunft und Essen. Am Ende werden sie gelernt haben, wie man bäckt, braut und baut, aber auch wie man sich durchschlägt und Freunde macht. Sie tragen den Stolz auf ihre Fähigkeiten zur Schau, und viele treibt dabei die gleiche Leidenschaft, die schon den mittelalterlichen Schuhmacher oder Goldschmied auszeichnete. Das handwerkliche Ethos braucht keinen Chef als Motivator, es speist sich aus dem menschliche Grundbestreben, eine Arbeit um ihrer selbst Willen gut zu machen. Und Stolz auf die eigene Arbeit lässt sich leichter entwickeln, wenn das Produkt der Arbeit nicht mit dem Zuklappen des Laptops verschwindet.
Nichtsdestotrotz klagt das Handwerk über Nachwuchsmangel. Das "Checkheft familienorientierte Personalpolitik für kleine und mittlere Unternehmen" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verlautbarte 2015: "87 Prozent der Beschäftigten mit Kindern verbinden mit einem familienfreundlichen Arbeitgeber ein Unternehmen, das flexible Arbeitszeitmodelle ermöglicht." Doch um flexible Arbeitszeitmodelle umsetzen zu können, braucht man eine kritische Masse an Mitarbeitern. Moderne Arbeitszeitmodelle im Handwerk findet man deshalb zumeist nur in Betrieben, die mehr als 30 Mitarbeiter beschäftigen. Viele Handwerksunternehmen sind kleiner – da hilft nur die Kooperation.
"Am Anfang waren Himmel und Erde. Den ganzen Rest haben wir gemacht" – nimmt man diese Imagewerbung der Handwerkskammern ernst, ist sie ein Zukunftsmanifest: Nur mit Innovation, Kreativität und Gestaltungsfreiraum bleibt das Handwerk zukunftsfähig. Wo Handwerk jedoch immer weiter industrialisiert und standardisiert wird, gehen Fähigkeiten verloren, die Kreativität wird ausgebremst – und das Handwerk zerstört seinen innersten Wesenskern.