Die Klimakrise ist das dringlichste Thema unserer Zeit – und zugleich alles andere als neu. Seit Jahrzehnten ist die Gesellschaft bestens informiert über die Erderwärmung und die irreversiblen Schäden, die wir unserem Planeten – und damit auch uns selbst – zufügen. Warum ist es der Menschheit dennoch bislang nicht gelungen, diese existenzielle Herausforderung anzugehen? Und wie kann die ökosoziale Wende doch noch gelingen?
Neues Wirtschaften, neues Wachstum

Diesen Fragen ging der Soziologe Niklas Luhmann bereits vor mehr als 30 Jahren nach. Die ernüchternde Antwort, die er 1986 in seinem Buch „Ökologische Kommunikation“ fand, lautete: Gesamtgesellschaftliche Themen wie die Klimakrise können keine übergreifende Resonanz finden, weil die gesellschaftlichen Subsysteme, allen voran Politik und Wirtschaft, nach ihrer je eigenen Logik operieren. So antwortet die Wirtschaft auf ein ökologisches Problem mit Kostenfragen: Was keinen Preis hat, ist wirtschaftlich irrelevant – und was ökologisch vernünftig ist, lässt sich nicht unbedingt preislich kalkulieren. Entsprechend denkt die Politik nur in Machtfragen und Mehrheiten.
Daran hat sich bis heute nichts geändert – einerseits. Denn andererseits ist die Klimafrage heute konkret geworden als ein Problem, das auch die selbstreferenziellen Subsysteme nicht länger von sich schieben können. Es geht nicht mehr nur um Informationen, die man ignorieren
„Es geht nicht um die Abschaffung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, sondern um seine Neuausrichtung, um die Frage: Wie kann der Kapitalismus zukunftsfähig gestaltet werden?“
kann, sondern um Bürger, die auf die Straße gehen, um Medien, die berichten – und um Unternehmen und Parteien, die darauf reagieren müssen.
Genau das führen globale Protestbewegungen wie Fridays for Future unmissverständlich vor Augen: Sie machen deutlich, dass ein Systemwandel unumgänglich ist und treiben den dazu notwendigen Mindset-Wandel an, hin zu einem weniger wachstumsfixierten Wirtschaftssystem und einer partizipativeren Demokratie. Das verdeutlicht auch die aus Fridays for Future hervorgegangene Plattform Change for Future: Nachhaltiger Klimaschutz, so das Credo, muss mit einer ernsthaften Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft einhergehen.
Zeit für ein progressives Postwachstumsparadigma
Diese ökologische Wende erfordert ein völlig neues Zusammenspiel der gesellschaftlichen Teilsysteme. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Wirtschaftssystem: Die ökologische Wende braucht die Neuausrichtung auf ein progressives Postwachstumsparadigma.
Seit rund sechs Jahrzehnten setzen wir „Wachstum“ mit „Wohlstand“ gleich. Die kapitalistische Wirtschaft steht unter dem Zwang, wachsen zu müssen, um den Status quo zu halten. Diese Eigenlogik dominiert bis heute das Wirtschaftssystem. Dabei sind die negativen Folgen dieses Wachstumsparadigmas inzwischen transparenter denn je. Jahr für Jahr verbraucht der Mensch mehr Ressourcen als die Erde regenerativ bereitstellen kann.
Zunehmend verbreitet sich die Erkenntnis, dass dieser Imperativ des Immer-weiter-wachsen-Müssens unseren Planeten irreparabel beschädigt und die Grundlagen unserer eigenen Existenz gefährdet. Die Forderung nach einem ökologisch verträglicheren Wirtschaften wird lauter, es etabliert sich eine neue Konsumkultur, die auf Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit ausgerichtet ist. Verbraucher achten zunehmend auf Attribute wie bio, fair oder erneuerbar, der Lebensstil des Minimalismus löst die konsumistische Verschwendungskultur ab, der Trend zur Slow Culture fördert einen reflektierteren Umgang mit Mensch und Umwelt, und die Achtsamkeitsbewegung kultiviert Sinn und Resonanz, auch in Bezug auf die Umwelt. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 hat auch in der Wirtschaft ein Umdenken eingesetzt. Zunehmend stellen Unternehmer soziale und ökologische Verantwortung vor das reine Wachstumsdenken und produzieren nachhaltig.
So treibt ein neues ökosystemisches Wertebewusstsein den Trend in Richtung eines neuen Postwachstumsdenkens voran. Dabei geht es nicht um die Abschaffung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, sondern um seine Neuausrichtung, um die Frage: Wie kann der Kapitalismus so zukunftsfähig gestaltet werden, dass er ein ökologisch verträgliches Gestalten und Weiterentwickeln gewährleistet?
Next Growth: Eine neue Vision des Wachstums
Eine wegweisende Antwort bietet das Konzept des Next Growth: Wachstum wird hier aus seiner traditionellen Beschränkung auf rein ökonomische Kontexte befreit und ganzheitlicher verstanden: gesellschaftlich, menschlich und ökologisch. Wirtschaften bedeutet dann mehr als nur Gewinnmaximierung, nämlich einen Beitrag zu einer besseren und lebenswerteren Welt. Und Wachstum wandelt sich von einem Problem zu einer Lösung, von der die gesamte Gesellschaft und ihre natürliche Umwelt profitieren.
Um diese Entwicklung in Richtung eines progressiven Postwachstums gesamtgesellschaftlich zu etablieren, sind künftig stärkere ordnungspolitische Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln gefragt, etwa eine Neujustierung des Steuersystems auf ökologische Verbräuche. Konkrete Ansätze bietet in diesem Kontext das Konzept der Gemeinwohlökonomie: die Ausrichtung aller Wirtschaftsaktivitäten auf gemeinwohlorientierte Kriterien wie Lebensqualität und ökologische Stabilität. Dieser Ansatz bietet eine Chance für eine Kombination aus politischen Rahmensetzungen und marktwirtschaftlichen Anreizen, um ökologisch verträgliche Produkte attraktiver zu machen, etwa durch niedrigere Steuersätze, günstigere Kredite und ökologisch ausgerichtete Subventionen.
In jedem Fall aber werden Unternehmen, die sozialen und ökologischen Mehrwert schaffen, künftig tendenziell belohnt, während klimaschädliches Verhalten sanktioniert wird. Das Monitoring und Management des eigenen ökologischen Fußabdrucks wird daher zu einem essenziellen Bestandteil unternehmerischen Handelns.
Da der Wandel in Richtung eines Next-Growth-Paradigmas stark auf regulative Maßnahmen angewiesen ist, wird das Verhältnis von Wirtschaft und Politik zum eigentlichen Kernthema einer ökologischen Wende: Wie kann dieses Zusammenspiel der Systeme unter den Vorzeichen der Vernetzung aussehen? Entscheidend werden „Bündnisse zwischen den Denkungsarten unterschiedlicher Systeme und Funktionslogiken“, sagt der Soziologe Armin Nassehi. Um diese Bündnisse schließen zu können, braucht es ein grundsätzliches Verständnis der neuen Netzwerkgesellschaft. Und natürlich den Willen, sich zu öffnen und aufeinander zuzugehen.