Next-Growth-Vorreiter: Drei Lebensstile, die Wachstum neu denken

Der große Wertewandel hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft ebnet den Weg für ein zukunftsweisendes Verständnis von Wachstum. Einige Lebensstile haben diese Grundidee von Next Growth bereits als prägendes Element in ihren Alltag integriert und sind somit Vorreiter dieses neuen Verständnisses. Dieser Artikel betrachtet die Erkenntnisse der Lebensstile Workbox unter den Aspekten der Trendstudie „Next Growth“.

Vorwärtsmacher

Der Vorwärtsmacher ist der Gestalter der Zukunft: Als Führungspersönlichkeit von morgen treibt er mit enormem Durchsetzungswillen, sozialer Kompetenz und einer gleichzeitig spielerischen Leichtigkeit den Wandel der Gesellschaft voran. Er wirkt wie ein klassischer Karrieretyp, tatsächlich nutzt er seine Durchsetzungskraft und sein gestalterisches Wissen aber auch dafür, etwas für seine Mitmenschen und die Umwelt zu tun. Damit ist dieser Lebensstil, dem sich rund neun Prozent der deutschen Bevölkerung zugehörig fühlen, eine Paradebeispiel für den Next-Growth-Gedanken.

Der Vorwärtsmacher ist ehrgeizig und will im Leben weiterkommen. Bei seinem Streben nach beruflichem Erfolg geht es ihm jedoch nicht um sich selbst, sondern um die Gesellschaft und eine gesunde Umwelt: Er hat an sich den Anspruch, sich aktiv für die Veränderung der Gesellschaft einzusetzen, und engagiert sich dafür auch sozial und politisch, z.B. um Unterdrückung und Ausbeutung in unserer Gesellschaft zu bekämpfen. Seine optimistische Grundeinstellung hilft ihm dabei, seine ehrgeizigen Pläne Realität werden zu lassen und sich gleichzeitig Spaß und Freude an vielen „Ich will etwas Besseres für mich und meine Mitmenschen schaffen und es der Nachwelt hinterlassen.“ Erlebnissen im Leben zu gönnen.

Dieses Verantwortungsbewusstsein für seine Umwelt paart der Vorwärtsmacher mit der Überzeugung einer Ganzheitlichkeit der Welt: Ihm ist es nicht nur wichtig, dass es ihm und den Menschen und Lebewesen in seiner nächsten Umgebung – in seiner Stadt, in seiner Region oder in seinem Land – gut geht, sondern es soll allen Lebewesen auch auf der anderen Seite des Globus gut gehen. Menschen, die diesen Lebensstil führen, ist vollkommen klar, dass ihr aktuelles Handeln im Hier und Jetzt immense Auswirkungen in anderen Regionen hat – und sie fühlen sich selbst dafür verantwortlich, erwarten dieses Verständnis allerdings auch von ihren Mitmenschen. 

So vereint der Vorwärtsmacher in sich wichtige Kompetenzen für eine zukunftsweisende Wirtschaft: Er ist gut ausgebildet, durchsetzungsfähig und verkörpert ein Werteset, mit dem er die Welt als Ganzes verstehen und individuelle Interessen dem ganzheitlichen Interesse der Menschheit unterordnet. Er ist aktiver Gestalter mit einer immensen Portion Führungskompetenz und Veränderungswillen.

Sinn-Karrierist

Ähnlich verhält es sich mit dem Sinn-Karrieristen, dem sich rund 6,3 Millionen Deutsche zugehörig fühlen. Er strebt nach einer sinnerfüllten Beziehung zu seinen Mitmenschen, einem verantwortungsbewussten Verhältnis zur Umwelt und einem harmonischen Miteinander von Körper und Geist. Sinnfragen stellt er in den Mittelpunkt jeder Betrachtung. In einer auf Autonomie aufbauenden Wirtschaftswelt ist er nicht wegzudenken: Er handelt aus Überzeugung. Menschen mit diesem Lebensstil hinterfragen Dinge nach ihrer Sinnhaftigkeit und ihrem Wert – und wenden sich ab, wenn sie diesen nicht erkennen können. Was aussieht wie Egoismus, ist in Wirklichkeit ein wertvoller Hinweis auf Dinge, die in einer wertebasierten Wirtschaft nicht mehr funktionieren werden. 

Der Lebensstil des Sinn-Karrieristen verkörpert die gesellschaftlichen Veränderungen, die wir mit den beiden Megatrends Neo-Ökologie und Gesundheit beschreiben: Er führt ein achtsames Leben und kümmert sich sorgsam um sich selbst und um seine Umwelt. Menschen mit diesem Lebensstil fördern einen Wertewandel, bei dem wirtschaftliche Fragen und materielle Werte in den Hintergrund treten und das menschliche Wohlergehen ins Zentrum rückt. Dem Sinn-Karrieristen geht es um Resonanz „Nur wer nicht bloß an sich selbst denkt, sondern sich immer im Verhältnis zur Welt sieht, kann ein erfülltes Leben führen.“ bei allem, was er tut. 

Menschen mit diesem Lebensstil handeln nach einer neuen Kultur von Lebensqualität. Das Leitmotto lautet „Besser statt mehr“: Lieber Zeit mit der Familie verbringen, als mehr Gehalt zu beziehen; lieber eine ehrenamtliche Tätigkeit, die der Gemeinschaft unmittelbar nützt, als eine Führungsposition in einem beliebigen Großkonzern mit einer 60-Stunden-Woche. Lieber ein Drei-Stunden-Arbeitstag, an dem spannende neue Ideen entstehen, als ein 12-Stunden-Arbeitstag voller mühsamer Meetings ohne wirkliche Ergebnisse. Lieber ein positiver Effekt des eigenen, leidenschaftlichen Handelns für die Umwelt als ein hohes Gehalt in einer von Zwang und Druck geprägten Arbeitssituation.

Der Sinn-Karrierist ist per se kein Konsumverweigerer, sondern ein sehr bewusster Konsument, der sich aktiv gegen die Verschwendungs- und Wegwerfkultur in modernen Gesellschaften stellt. Er vertritt die heute bereits kursierenden Ideen für ein nachhaltiges Wirtschaften und ein neues Verständnis von Wirtschaft als Kreislauf. Der Sinn-Karrierist steht für den Shift von einer individualisierten Gesellschaft hin zu einer ganzheitlichen Wir-Kultur – eine Einstellung, die in der Welt von morgen besonders wichtig ist. Veränderung und Progression stehen für ihn im Mittelpunkt, sowohl für sich selbst als auch für die Gesellschaft. Er gilt für viele seiner Mitmenschen als Vorbild, denn wie er sein Leben führt – ehrgeizig und fokussiert, zugleich achtsam und sozial engagiert –, wird als gut und richtig angesehen.

Freeager

Menschen mit dem Lebensstil des Free Ager sind überzeugt: So viel wie die Natur dem Menschen gibt, muss man ihr auch wieder zurückgeben. Sie finden es wichtig, nachfolgenden Generationen eine gesunde Umwelt zu hinterlassen. Trotz seines Umweltbewusstseins ist der Free Ager dem Bio- und Fairtrade-Trend nicht gefolgt, sondern hat ihn vielmehr aus der Ferne beobachtet. Während solche Produkte längst im Mainstream angekommen und zum Milliardenmarkt geworden sind, nimmt er wahr, wie immer mehr Händler pures Greenwashing betreiben, indem sie den Konsumenten teure Produkte verkaufen, die nachhaltiger aussehen, als sie es letztendlich sind. Der Free Ager möchte auf solche Marketingtricks nicht hereinfallen und betrachtet umweltfreundliches Handeln in einem größeren Kontext: Seiner Meinung nach hat ein verschwenderischer Lebensstil einen viel schlechteren Einfluss auf die Umwelt, deshalb lebt er bescheiden und sparsam.

Der Free Ager, dem sich 13,3 Prozent der Deutschen zugehörig fühlen, kann zudem als gesellschaftliches Pendant zum neuen Wachstumsverständnis des Next Growth angesehen werden. Seit den 1950er-Jahren setzen wir „Wachstum“ gleich mit „Wohlstand“ – und das Ausbleiben von Wachstum mit einem ökonomischen Worst-Case-Szenario. Die Analogie zur heutigen Gesellschaft, die „Jugendlichkeit“ zum Leitbild erkoren hat, ist offensichtlich: Der kindlich-jugendliche Wachstumsmodus ist zum erstrebens- und erhaltenswerten „Ich glaube, wenn die Menschen lernen, ganz bei sich zu sein, werden sie die wirklich wichtigen Dinge im Leben sehen und verstehen können.“ Idealzustand geworden, und das Nicht-mehr-weiter-Wachsen(-Können), das Altwerden, stellt eine fundamentale Kränkung dar. Wachstum gilt heute in vielerlei Hinsicht als nicht zu hinterfragende Antwort auf alle Probleme. Und alles, was nicht auf Wachstum abzielt, wird als tendenziell defizitär behandelt, als unbedingt vermeidbar. Sei es das persönliche Altwerden oder ein stagnierendes Wirtschaftswachstum.

Deshalb zehrt die nächste Gesellschaft nicht nur vom Vorwärtstrieb der Jugend, der sich naturgemäß primär an äußeren Motiven orientiert, sondern ebenso vom Weltwissen der Free Ager, das sich aus der inneren Erfahrung speist. Dieses Gleichgewicht der Generationen und Lebensphasen ermöglicht eine zyklische Revitalisierung der Gesellschaft – und damit auch echte soziokulturelle und ökonomische Innovationen. „Low Growth“ wird dann künftig zunehmend „New Growth“ oder „Free Growth“ bedeuten. Denn ein reiferes, reflexiveres Wachstumsdenken, das von der Fixierung auf rein äußerliche Motive und Mantras befreit ist, ist zugleich offen für die eigentlichen, langlebigen Grundwerte des Wirtschaftens und Lebens.

Die Free Ager von morgen sind prädestiniert, dieses neue Denken und Handeln, das auf reflektierte „Enoughness“ setzt anstatt auf fortwährende Expansion, in die Gesellschaft zu tragen. Ihr „Weniger ist mehr“-Mindset spiegelt sich schon in dem Phänomen, das als „Paradox of Aging“ bekannt ist: Ältere Menschen haben zwar tendenziell ein kleineres soziales Umfeld und sind weniger fokussiert auf Neues – aber sie sind mindestens genauso glücklich wie Jüngere. Diese altersweise Gelassenheit ist das Äquivalent zu den Wirkmustern der Next Economy. Beides wird den Wertewandel der nächsten Gesellschaft prägen – und dem Pro-Aging-Mindset den Weg ebnen.

Dieser Artikel betrachtet die Erkenntnisse der Lebensstile Workbox unter den Aspekten der Trendstudie „Next Growth“.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

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