... oder: Wie man den Immerschlimmerismus überwindet. Matthias Horx über zehn Werke, die einen Weg aus dem omnipräsenten Untergangsdenken aufzeigen.
Von Matthias Horx (08/2016)
... oder: Wie man den Immerschlimmerismus überwindet. Matthias Horx über zehn Werke, die einen Weg aus dem omnipräsenten Untergangsdenken aufzeigen.
Von Matthias Horx (08/2016)
Dass die Welt immer schlimmer wird, gehört zu den gefährlichen Ideologien unserer Zeit, denn im Namen des Zukunftspessimismus lässt sich alles rechtfertigen, sogar der rechte Populismus. Wenn Sie das ewige Untergangs-Gejammere, das unsere Gesellschaft befallen hat wie ein Virus, satt haben, empfehle ich Ihnen diese Bücher für die Sommerlektüre. Aber Vorsicht: Es gibt Nebenwirkungen! Die Bücher sind durchaus provokativ. Sie stellen Weltbilder auf den Kopf, indem sie behaupten, dass es eine bessere Zukunft gibt, und sie begründen das solide. Aber diese bessere Zukunft erreichen wir nur, wenn wir unser "Future Mindset", die Art und Weise, wie wir die Welt und den Wandel verstehen, verändern. Also: Wenn Sie im Urlaub das deutsche Negativ-Denken verlassen wollen – hier ist der geistige Stoff dafür.
Schade, dass Robert Wrights Schlüsselwerk über die Komplexitäts-Evolution nie übersetzt wurde. Aber es ist ein Muss für jeden Zukunftsinteressierten, der seinem Denken auch eine tiefere, evolutionäre Dimension geben will. In den USA gilt Wright als Guru, Bill Clinton ist ein großer Fan. Sein Werk lässt sich so zusammenfassen: Die Zukunft entsteht als eine Art endloses Nicht-Nullsummenspiel durch Kooperationsspiele zwischen Menschen und Menschen, zwischen Mensch und Natur, und zwischen Mensch und Technik. Dabei kommt es zwar ständig zu Turbulenzen und Krisen – notwendigerweise, denn existierende Systeme entwickeln sich nur durch Störung weiter. Aber auf längere Sicht entsteht immer mehr Kooperation, Komplexität und – Freiheit. Das ist das eigentliche Grundprinzip der Evolution, die sich in der Entwicklung der humanen Zivilisation widerspiegelt. Die Zukunft hat eine Richtung, die sich aus den Gesetzen der sozialen und molekularen Dynamik erklären lässt.
Robert Wright: Nonzero. History, Evolution & Human Cooperation. Little, Brown Book Group, 2001
Eine Grundeinführung in einen systemischen Zukunftsoptimismus, von einem der klugen Vordenker und Intellektuellen Amerikas. Ein ähnlicher Ansatz wie bei Robert Wright, aber stärker in Richtung Netzwerktheorie ausgearbeitet. Durch die immer dichter werdenden Konnektome des Wissens und der Technologie entstehen Lernprozesse (die nicht immer "friedlich" verlaufen müssen) in Richtung einer besseren Zukunft.
Matt Ridley: Wenn Ideen Sex haben. Wie Fortschritt entsteht und Wohlstand vermehrt wird. Deutsche Verlags-Anstalt, 2011
Ist die Welt tatsächlich so gewalttätig wie noch nie? Nehmen Kriege und Krisen immer weiter zu, wie man meinen muss, wenn man nur den Fernseher einschaltet? Stephen Pinker, der evolutions- und kognitionspsychologische Großdenker, lehrt uns das Gegenteil. Die Menschheit wird in einem langen Selbstzähmungsprozess immer friedlicher, und die heutigen Kriege und Bürgerkriege sind sogar ein Beleg dafür. Gewalt wird in den sozioökonomischen Verhältnissen der Zukunft immer sinnloser und “teurer” für den Aggressor – gerade deshalb wittern manche Herrscher und Politiker die letzte Chance, ihre Macht durch Zerstörung und Terror zu erhalten.
Stephen Pinker: Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit. S. Fischer Fischer, 2013
Haben Sie schon einmal gewagt, die Theorien, Modelle und Denkweisen des Club of Rome zu kritisieren? Wohl kaum. Schließlich sind die weisen alten Herren der Zukunftswarnung sakrosankt, in gewisser Weise haben sie die grüne Kirche des späten 20. Jahrhunderts begründet, deren Dogmen bis heute aktiv sind. Werke wie "Die Grenzen des Wachstums" haben unser Denken und unsere Weltbilder geprägt wie fast kein anderes Theorem, den Marxismus vielleicht ausgenommen. In diesem kleinen Büchlein wird eine Wette geschildert, in der Paul Ehrlich, einer der bekannten Untergangs-Propheten rund um den Club of Rome, und Julian Simon, ein systemischer "Progressist", in den 80er-Jahren gegeneinander antraten und um die Zukunft der Rohstoffe wetteten: der Kampf eines Apokalyptikers gegen einen provokanten Zukunftsoptimisten. Anhand dieser Zukunftswette zeigt Sabin auf, wie die Weltbilder der Knappheiten und Mangel-Paradigmen unser heutiges Weltbild formen – und dass man diese Denkweisen heute überwinden kann und muss.
Paul Sabin: The Bet. Paul Ehrlich, Julian Simon and our Gamble over Earth Future. Yale University Press, 2013
Haben Sie auch Schuldgefühle, dass Sie einen zu großen ökologischen Fußabdruck auf diesem Planeten hinterlassen? Hier ist ein Buch, nach dem Sie Ihre Schuhgröße sogar noch erweitern können: Michael Braungart und William McDonough sind die Protagonisten der Cradle to Cradle-Bewegung, jener stofflich-energetischen Voll-Kreislauf-Ökonomie, die gerade im Entstehen ist, obwohl es keiner richtig wahrnimmt. Wer sich mit dem radikalen Wandel des Ökologiebegriffs, der "Blauen Ökologie", beschäftigen will, der muss dieses Buch lesen, das alles, was wir über Umweltangst, Knappheiten und ökologischen Untergang zu wissen glauben, auf den Kopf stellt.
Michael Braungart & William McDonough: Intelligente Verschwendung. The Upcycle: Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft. Oekom Verlag, 2014
Um den System-Ökologen Björn Lomborg, der vor einem Jahrzehnt behauptete, dass falsch verstandener Umweltschutz der Umwelt und den Menschen nicht guttut, ist es etwas still geworden. Trotzdem sollte man "Apocalypse NO!", eines seiner Grundwerke, noch einmal lesen. Es vermittelt einen scharfen Verstand, der sich dem Verhältnis zwischen menschlicher Kultur und Umwelt auf radikal systemische Weise nähert – und uns dabei lehrt, ganz anders über die Zukunft des Planeten nachzudenken.
Björn Lomborg: Apocalypse NO!. Dietrich Klampen-Verlag, 2002
Die kleine Silbe "Post" hat einen unangenehmen Beigeschmack. Es gab eine Zeit, in der alles irgendwie "Post" war und irgendeine blasiert-verquere Hipster-Haltung signalisieren wollte. Dennoch lohnt es sich, über das “Danach” im Sinne von Zukunft als Überwindung von Dichotomien nachzudenken. Das geht im Politischen nur, wenn wir uns von den Entweder/Oders verabschieden, die unser Denken der vergangenen hundert (plus ein bisschen mehr) Jahre zutiefst geprägt haben. Der englische Publizist Paul Mason war "Musiker, Trotzkist, Journalist", hat also im kreativen Sinne etwas Gescheites gelernt. In seinem Buch versucht er, die alten marxistischen Muster auch in seinem eigenen Denken zu überwinden – was nicht immer gelingt.
Er arbeitet sich immer noch schrecklich am "Neoliberalismus" ab, aber einige Ideen sind trotzdem interessant, wenn er etwa die viel kritisierte Auflösung von Identitäten in der vernetzten Wissensgesellschaft als Befreiung versteht: "Tatsächlich entsteht der Mensch durch die Informationstechnologie in mancher Hinsicht neu. Er lässt den herkömmlichen individuellen Charakter hinter sich, der sich selbst als eine zusammenhängende Erzählung verstehen wollte. Mein Vater als der klassische Arbeiter hätte noch gesagt, der heutige Lebensstil sei doch nichts anderes als raffiniert organisiertes Lügen und Heuchelei. Aber so ist es nicht. Die neuen Individuen sind in sich vielfältig und plural, privat, politisch, beruflich."
Paul Mason: Postkapitalismus. Suhrkamp, 2016
Holm Friebes Buch ist eine Provokation gegen die gängigen Radikale-Innovation-ist-alles-Theorien und Alles-wird-immer-schneller-Propagandismen. In Wirklichkeit, so Friebe, bleiben viele Dinge so, wie sie waren. Und gerade bei durchgreifenden Innovations-Strategien ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren, das richtige Timing zu finden – und sich manchmal so zu verhalten wie ein Stein, der wartet, bis seine Zeit gekommen ist, zu rollen.
Holm Friebe: Die Stein-Strategie. Von der Kunst, nicht zu handeln. Carl Hanser Verlag, 2013
Parag Khannas Vortrag über die neue Landkarte der Welt sollte man lieber bei TED sehen, denn dieses Buch dazu ist etwas sperrig. Als Arbeitsmaterial ist es aber dennoch geeignet. Es geht darum, wie wir Geopolitik und Globalisierung immer noch in den Formen der alten Nationalstaaten denken, während sich die Welt längst auf einer ganz anderen Ebene ökonomisch, politisch und mental vernetzt. Khanna zeichnet die neuen Linien von Ökonomie, Kultur und Information.
Eine seiner Thesen: Es gibt längst so etwas wie einen vernetzten globalen Superkörper der Großmetropolen, rund 80 kommende 20+ Millionen-Städte, in denen sich die Zukunft der Menschheit abspielt. Kriege und Krisen, so Khanna, sind eher Relikte von Strukturen, die sich im Untergang noch einmal "wehren".
Parag Khanna: Connectography. Mapping the Global Network Revolution. Weidenfeld & Nicolson, 2016
Über die Digitalisierung gibt es genügend Jubel-Bücher, in denen euphorische Utopien verbreitet werden, die alle irgendwie fad schmecken. Und auch mengenweise Werke, in denen Schreckensthesen verbreitet werden. Wenn man sich dieser Bipolarität des Digitalen entziehen will, muss man Lanier lesen. Keiner ist so tief, so melancholisch und gleichzeitig so "native" im Digitalen unterwegs wie der Digital-Hippie der ersten Stunde. In seinem Sammelband schreibt er melancholisch und irgendwie ein bisschen bekifft über das Verhältnis von uns Menschen zur Computer-Technik: "Der Hightech-Frieden braucht eine neue Art von Humanismus."
Schon die Kapitelüberschriften lohnen sich: "Der Gesang der Evolution", "Digitaler Maoismus", "Mit einem Zombie kann man nicht diskutieren", "Die Gefahren des neuen Online-Kollektivismus" ... So lange es solche Klugdenker gibt, können wir durchaus auf eine bessere digitale Zukunft hoffen.
Jaron Lanier: Wenn Träume erwachsen werden. Ein Blick in das digitale Zeitalter. Hoffmann und Campe, 2015