Gleichberechtigung 4.0: Was noch zu tun ist

In Sachen Gleichstellung der Geschlechter herrscht in der Arbeitswelt noch Handlungsbedarf: Zwei Bücher betrachten den Status quo und werfen einen Blick in die Zukunft.

Von Dr. Daniel Dettling (07/2016)

Gemessen an den erzielten Erfolgen ist die real existierende Frauenförderpolitik in Deutschland gescheitert. Schreitet die bisherige Gleichstellung in diesem Tempo voran, dauert es noch 100 Jahre bis zur Gleichheit von Frau und Mann. Lohnt sich der Kampf überhaupt?

Wer "Sheconomy" von Christiane Funken liest, möchte die Frage schon nach dem Lesen der ersten beiden Seiten verneinen. In Interviews mit Managerinnen im Alter der Generation 50 plus deutscher, Schweizer und österreichischer Unternehmen schlug der Berliner Arbeitssoziologin eine Welle der Ernüchterung entgegen: "No return on investment!". Das enorme berufliche Engagement zahlt sich nicht aus. Der Zugang zu den Chefetagen bleibt deutschen Frauen verschlossen.

Mit diesem empirischen Befund will sich die Autorin aber nicht abfinden und wird appellativ. Schließlich seien Frauen für die neue Arbeitswelt geschaffen: Für Funken sind sie flexibler, kooperativer und kommunikativer. Frauen sind die besseren Männer! Kopfschüttelnd kommentiert die Autorin die Ergebnisse einer Befragung, wonach für die Mehrheit der Frauen eine sinnvolle Tätigkeit bei der Berufswahl im Vordergrund steht. Für die Männer ist es das Gehalt.

Die zentrale These von "Sheconomy": "erstmalig in der Wirtschaftsgeschichte sind Frauen nicht nur darauf angewiesen, dass sich die Einstellung der Männer ändert" – ist eine Illusion. Die Arbeitswelt der Zukunft wird weder weiblich sein noch männlich bleiben.

In den USA ist diese Debatte deutlich weiter als bei uns. Ann-Marie Slaughter beobachtet und analysiert in ihrem neuen Buch "Was noch zu tun ist“ pragmatisch und wird am Ende visionär. Die frühere Stabschefin unter US-Außenministerin Hillary Clinton und heutige Präsidentin des Think Tanks "New America“ trat 2012 mit ihrem Aufsatz "Why Women still can’t have it all" eine breite Debatte los. In dem Text begründete sie ihre Entscheidung, den Traumjob im Weißen Haus aufzugeben und zu ihrer Familie und ihrer akademischen Karriere zurückzukehren. Für die Feministinnen galt sie als Verräterin, für die Konservativen als Bestätigung, dass Frauen nicht beides – Kinder und Karriere – haben können. In "Was noch zu tun ist" legt Slaughter jetzt nach. Die heutige Frauenförderung müsse sich von einer Reihe von Stereotypen und Annahmen befreien – das gelte für Frauen wie für Männer. Denn: "Die nächste Phase der Frauenbewegung wird eine Männerbewegung sein".

Slaughter setzt vor allem auf die Alphamänner: Sie können zu neuen Vorbildern werden. Ihre Emanzipation von tradierten Rollenbildern und biologistischen Vorurteilen ist die Voraussetzung einer neuen Gleichberechtigung. Das Problem: Die meisten Frauen trauen ihren Männern im Haushalt und bei der Kindererziehung kaum etwas zu – und die Männer wollen, dass es neue Männer gibt, aber sie wollen nicht zu ihnen gehören. Die politische Strategin und Politikwissenschaftlerin setzt auf die Macht der kulturellen Anpassung und Flexibilität. Auch Männer müssen sich in Bewerbungsgesprächen fragen (lassen), wie sie Beruf und Familie verbinden wollen. Ändern muss sich auch unsere Sprache. Wer zuhause bleibt, um die Kinder zu erziehen, ist ein "Vollzeit-Elternteil". Väter, die arbeiten und Kinder haben, sind "berufstätige Väter". Statt um "Work-Life-Balance" geht es um "Work-Life-Fitness".

Ohne einen Wandel der Arbeitswelt und Wirtschaft wird das nicht gehen. "Wie können wir die Wirtschaft ändern, um Platz für Fürsorge zu schaffen?" Indem wir nach sinnvoller Arbeit und nach menschlicher Verbundenheit suchen. An dieser Stelle wird das Buch zum Ratgeber. 

Slaughter liefert eine Reihe von Tipps und Checkfragen für den "perfekten Arbeitsplatz" – und am Ende eine Vision: eine Politik und Wirtschaft, die in Eigennutz und Fürsorge keinen Widerspruch sieht. Ein "kreativer Kapitalismus", der auf fürsorgliche statt nur besorgte Bürger setzt und dafür eine entsprechende Infrastruktur bereithält. Wer das in den USA umsetzen soll, verrät Ann-Marie Slaughter ebenfalls: Sie rechnet fest mit Hillary Clinton als nächster US-Präsidentin.

Dieser Artikel ist in folgenden Dossiers erschienen:

Buchrezensionen

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Megatrend Gender Shift

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Die tradierten sozialen Rollen, die Männern und Frauen in der Gesellschaft zugeschrieben werden, verlieren an gesellschaftlicher Verbindlichkeit. Das Geschlecht verliert seine schicksalhafte Bedeutung und bestimmt weniger über den Verlauf individueller Biografien. Veränderte Rollenmuster und aufbrechende Geschlechterstereotype sorgen für einen radikalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer neuen Kultur des Pluralismus.

Folgende Menschen haben mit dem Thema dieses Artikels zu tun:

Dr. Daniel Dettling

Zukunftsforscher Dr. Daniel Dettling analysiert als Keynote Speaker, Autor und Berater Megatrends, insbesondere hinsichtlich ihrer politischen Konsequenzen.