... und alle, die es werden wollen: Matthias Horx über acht Bücher, die den Weg zum Verständnis der Zukunftsforschung öffnen.
Von Matthias Horx (07/2016)
... und alle, die es werden wollen: Matthias Horx über acht Bücher, die den Weg zum Verständnis der Zukunftsforschung öffnen.
Von Matthias Horx (07/2016)
Was macht eigentlich ein Zukunftsforscher? Wie denkt er über die Zukunft nach? Diese Frage habe ich in meinem Leben schon tausendmal gehört. Gibt es eigentlich irgendwelche wissenschaftlichen Methoden der Prognostik? Wie oft haben Sie sich geirrt? Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass Trendforschung unseriös und Zukunftsforschung reiner Blödsinn ist?
Ja, was sage ich dazu? Die Erfahrung ist: Wenn ich versuche, etwas über System- und Modellbildung, Big Data und Probabilität, über weiche und harte Prognostik zu erzählen, schalten die Fragenden sofort ab. Sie wollen es eigentlich nicht wissen – es geht ihnen mehr um den Vorwurf, den Verdacht, als um die Antwort. Deshalb sage ich erstmal nichts, bevor Sie nicht diese Bücher gelesen haben. Es sind wahrhaftig nicht die einzigen Theoriewerke über das weite Feld prognostischer Theorien und Techniken – in meinem Bücherschrank stehen weitere 2000. Aber wenn Sie diese acht Bücher im Strandkorb oder in der einsamen Bucht gelesen haben – manche lesen sich ganz flott – dann reden wir weiter.
Phillip Tetlock hat ein gewaltiges Experiment gestartet, das inzwischen schon 20 Jahre andauert. Er untersucht die Frage "Wer macht gute Prognosen, und wer irrt sich in Sachen Zukunft?" in einem wissenschaftlichen Kontext. Zunächst arbeitete Tetlock mit 200 prominenten Experten, die er um Prognosen für wichtige politische oder ökonomische Trends bat. Dabei kam heraus, dass die Prognosen um so schlechter waren, je a) prominenter und b) spezialisierter die Experten waren.
Diese so genannte "Experten-Bias" wurde zum Anlass für sein zweites Großexperiment, bei dem 20.000 Menschen, teilweise auch einfach nur "Laien", um richtige Prognosen wetteifern. Aus diesem Fundus selektierte Tetlock eine Anzahl von Superprognostikern, die deutlich besser lagen als alle anderen, und untersuchte deren Denk- und Recherchemethoden. Fazit: Wir können die Zukunft dann besser voraussagen, wenn wir a) ständig selbstkritisch hinterfragen, woher unsere Annahmen stammen, b) radikal in interdisziplinären Kontexten denken, c) uns mit Gruppen von Fremdgesinnten konfrontieren – und damit d) unsere inneren Ideologien und "Bias"-Systeme überwinden.
Kahnemanns bahnbrechendes Werk über die Frage, wie unser Hirn und unsere Wahrnehmung funktioniert, ist deshalb für die Trend- und Zukunftsforschung essentiell, weil es beleuchtet, wie wir die Welt und ihren Wandel in unserem Inneren konstruieren. Es geht um die "Biases", die Verzerrungen, die das menschliche Hirn bei jedem Prognose-Versuch befallen (wir machen ja ständig Voraussageversuche über unsere Umwelt: Wie wird sich unser Partner verhalten? Wie entwickelt sich dieses Unternehmen? Werde ich im Urlaub Spaß haben?). Es geht um die beiden Systeme des Denkens: das spontane, emotionale Hirn, das überall Gefahren wittert und instinktiv alles übertreibt oder vereinfacht. Und das analytische, systemische Hirn, das in der Lage ist, Komplexität zu verarbeiten und wirklich zu erarbeiten, was vor uns liegt.
Ein neuer Star am amerikanischen Prognostiker-Himmel: Silver sagte den Ausgang der amerikanischen Präsidentenwahlen präzise voraus. Er arbeitet mit probabilistischen Modellen, die er durch ungewöhnliche Algorithmen ergänzt.
Sein Buch ist ein gutes Grundwerk über die Grenzen und Möglichkeiten mathematischer Prognostik, die sich für viele Felder einsetzen lässt. Darüber hinaus ist es gut und flüssig erzählt.
Ist es überhaupt sinnvoll, Prognosen zu erstellen? Taleb ist das enfant terrible, der Elefant im Porzellanladen der Zukunftsforschung. Er behauptet, dass jede Prognose nicht nur falsch, sondern auch kontraproduktiv ist, weil sie uns dazu verführt, in einen bestimmten Wahrnehmungs-Tunnel zu starren und alles andere zu vernachlässigen. "Prognosen machen faul", so Taleb. In "Antifragilität" (hier unsere ausführlichere Rezension) entwirft er eine evolutionäre Theorie des Zufalls, die er auch auf Institutionen, Gesellschaften, Menschen, Ökonomien, "die Welt an sich" anwendet. Taleb teilt das Universum auf: in Systeme, die fragil, instabil, störanfällig sind und bald verschwunden sein werden, und zufallsaffine Systeme, die kreativ und adaptiv mit Störungen umgehen und dadurch eine Art Hyper-Robustheit erzeugen, die er "Antifragilität" tauft. Geile These, auch wenn der Autor vor überdrehtem Selbstbewusstsein nur so strotzt.
Dan Gardner, ein amerikanischer Publizist, der mit einem sehr schönen Werk über den Angst-Alarmismus ("Risk. The Science of Fear") von sich reden machte, hat nun auch ein Buch aus dem Genre "Warum die Prognostiker immer irren" geschrieben (leider bislang nur auf Englisch erhältlich). Was Gardners Buch lehrreich und wichtig macht, ist eine gründliche Bestandsaufnahme dessen, was zu Irrtümern der Prognostik führte und führt, und weshalb immer noch so viele Fehlprognosen von gestern als die Wahrheit von morgen gelten.
Apokalyptische Landschaften, in denen die Zombies herrschen, vom Dschungel überwucherte Großstadt-Ruinen, in denen die "letzten Menschen" ohne Hoffnung auf Zukunft ums (immer nur kurze) Überleben kämpfen – warum faszinieren uns diese Bilder so? Jedes zweite Videogame spielt inzwischen in finalen Endzeiten, und im Buchhandel finden sich reihenweise Bildbände von Dystopien, in denen Menschen auf grandiose Weise ausgestorben sind. "Preppers" bereiten sich auf den Weltuntergang vor, und manchmal hat man das Gefühl, auch in den Talkshows von Anne Will oder Frank Plasberg habe der Untergang schon stattgefunden, wir hatten nur noch keine Zeit, ihn zu senden. Woher diese Gebanntheit, wo wir doch sonst unangenehme Gefühle lieber meiden?
Eva Horn, Literaturwissenschaftlerin und Philosophin, hat in ihrem Buch die Apokalypse entschlüsselt. Sie fragt, wie die zahlreichen dystopischen Bilder und Erzählungen auf unsere Gesellschaft (rück)wirken, welche Narrative sich hinter den verschiedenen Untergangsvarianten verbergen und aus welchen kulturellen Ur-Gründen sich das alles speist. Eine ihrer Grundthesen: Der Untergang dient einem inneren Gerechtigkeitsgefühl und der emotionalen Intensivierung des Lebens, wenn wir uns nicht genug lebendig fühlen.
Auch dieses Buch gibt es leider nur in Englisch: Mesquita erklärt, wie man Spieltheorie auf internationale Konflikte anwendet – und ist damit einer der wenigen, die tatsächliche Event-Prognostik machen. Das heißt, er sagt den Ausgang von Kriegen und Krisen voraus, mit den Mitteln der "Interessegeleiteten Spieltheorie". Unter anderem sah Mesquita das Scheitern der Klimakonferenz von Kopenhagen richtig voraus, die Pleite von Enron, die politische Zukunft Hongkongs, die Strategie der iranischen Regierung im Atomstreit.
"Predictioneering" lässt sich mit "Vorhersagen und Gestalten" übersetzen. Mal sehen, wie er bei den heutigen Konflikten (Ukraine, ISIS, Syrien etc.) liegt.
Ein Grundwerk über die Kulturgeschichte der Zukunft: Wie sahen frühere Generationen den Gang der Zeit, und wie entwickelten sich Visionen, Utopien und "Wahrsagungen" bis in die heutige Trend- und Zukunftsforscher-Szene? Wie stellte man sich früher die Zukunft vor, und was verrät das über das Weltbild der einzelnen Epochen? Und wie wirken wiederum unsere Vorstellungen von Zukunft auf die Zukunft selbst? Der Bogen reicht vom Schamanentum bis in die Futurologie der Neuzeit und das Trendmarketing der 90er Jahre.