In seinem Buch "Im Schwarm" nimmt der Berliner Philosoph Byung-Chul Han unsere digitale Zeit unter die Lupe.
Von Harry Gatterer (07/2016)
In seinem Buch "Im Schwarm" nimmt der Berliner Philosoph Byung-Chul Han unsere digitale Zeit unter die Lupe.
Von Harry Gatterer (07/2016)
Im Grunde ist es egal, welches Büchlein von Byung-Chul Han man liest, der Effekt ist immer derselbe: ein neuer Blick auf unsere Alltagskultur. Dabei muss man mit dem Autor nicht immer einer Meinung sein. Ganz im Gegenteil, in vielen Aspekten sind die Schriften Byung-Chul Hans provokante Reduktionen auf bekannte Positionen. "Der moderne Menschen handelt nicht mehr, er fingert", formuliert er beispielsweise in Anspielung auf Touchscreens, die unseren Alltag schmücken. Wie überhaupt Smartphones Apparate seien, die "in einem komplexitätsarmen Input-Output-Modus arbeiten", wodurch man verlerne, komplex zu denken.
Manchmal scheinen seine Aussagen zweifelsohne altbacken, doch dann entdeckt man sich immer wieder selbst. Wie eben der Umgang mit Smartphones, die uns in der kurzfristigen Reaktion trainieren, aber vom langsamen und komplexen Denken abhalten.
Ein weiteres Beispiel: Skype. Trotz der Möglichkeit der Vernetzung erzeugt der Dienst eine Verbindungslosigkeit, denn die eingebauten Kameras zeigen zwar den anderen, aber der starrt nicht in die Kamera, sondern direkt auf seinen Bildschirm. Dies erzeugt eine Asymmetrie im Blick. "Dank Skype können wir uns nahe sein, 24 Stunden am Tag, aber wir schauen fortwährend aneinander vorbei."
In dieser Manier nimmt der Autor auch die Crowd und Schwarmentwicklungen unserer digitalen Zeit unter die Lupe, und man ahnt es schon: Auch darin findet er eine kritische Verkürzung. Han schreibt: "Die heutige Empörungsmasse ist äußerst flüchtig und zerstreut [...] Sie generiert keine Zukunft." Da wundert es nicht, dass seine Kritik auch vor Google Glass nicht haltmacht. "Google-Chef Sergey Brin schwärmt davon, was für wunderbare Bilder das Google Glass dank seiner Funktion macht, alle zehn Sekunden automatisch ein Bild zu schießen. [...] Mit der Datenbrille trägt jeder praktisch eine Überwachungskamera mit sich. Ja, die Datenbrille verwandelt das menschliche Auge selbst in eine Überwachungskamera."
Diese wuchtigen Überlegungen sind nicht als Prognosen gedacht. Das Büchlein ist aber gerade deshalb zukunftsrelevant, weil es eine intelligente Kritik an der Technologie formuliert, die die Menschen nicht aus dem Blick verliert. Kein von Angst geprägtes Geplärr, sondern eine pointierte Tiefenanalyse unserer Gesellschaft und unserer Seele.