In "Die Stille Revolution" relativiert Mercedes Bunz die digitale Revolution mit historischen Mitteln.
Von Cornelia Kelber (07/2016)
In "Die Stille Revolution" relativiert Mercedes Bunz die digitale Revolution mit historischen Mitteln.
Von Cornelia Kelber (07/2016)
Die Zukunft überholt uns. Sie ist immer schon da, wenn wir gerade erst anfangen wollen, sie in Worte zu fassen. Schwere Zeiten also für alle, die beschreiben wollen, wie die Welt sich verändert.
Wie zum Beispiel Mercedes Bunz. Die Kulturwissenschaftlerin und Journalistin promovierte 2005 über die Geschichte des Internets, arbeitete für den "Guardian" als Technologie-Reporterin und leitete von 2012 bis 2014 das Forschungsprojekt Hybrid Publishing Lab im Centre for Digital Cultures der Leuphana Universität Lüneburg. Doch angesichts der "stillen Revolution", die die Digitalisierung in der Gesellschaft verursacht, lautet ihr Ziel: "Dieses Buch soll die Welt nicht neu erschaffen, sondern die Dinge miteinander in Beziehung setzen."
Das ist ihr gelungen. In dem kleinen Suhrkamp-Büchlein schlägt Mercedes Bunz einen eleganten Bogen von Platon bis zum Internet der Dinge, indem sie sich auf zwei wesentliche Aspekte konzentriert: den Wandel von Politik und Öffentlichkeit einerseits und andererseits das, was wir als die Megatrends Wissenskultur und New Work beschreiben, also den Wandel von Wissen, Bildung und Arbeit.
"Macht Google dumm?" fragte Nicolas Carr 2008 in einem Artikel des Magazins "The Atlantic" und löste damit ein Echo aus, das sich auch in deutschen Medien vielfach wiederholte. Mercedes Bunz analysiert, dass diese Angst vor geistiger Verarmung durch Technologie überhaupt nichts Neues ist. Schon vor 2500 Jahren befürchtete Platon, dass die Menschen durch eine technische Innovation verblöden könnten, nämlich durch die Schrift. Die Speicherung von Informationen in geschriebener Form würde den Menschen "Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung des Gedächtnisses", warnt der Philosoph – sobald die Dinge aufgeschrieben werden, merken sich die Menschen nichts mehr. Das ist exakt die gleiche Befürchtung, die Bildungsbürger in Deutschland immer wieder äußern, seit Wissen im Internet suchbar geworden ist: Sie befürchten, dass die Kulturtechniken, die sie selbst am besten beherrschen, damit überflüssig werden. Bunz deutet diesen Wandel ganz anders: „Heute ist Suchen ein neuer Modus, etwas zu wissen."
Darin besteht die große Stärke von "Die stille Revolution": Das Buch nimmt den Lesern die Angst vor der Digitalisierung ihrer Lebenswelt, indem sie sie historisch in Relation setzt. Faszinierend auch die Analogie zwischen dem Schock, den die Industrialisierung früher ausgelöst hat, und der digitalen Revolution der Gegenwart. Denn heute wie damals geht es eigentlich nicht um Technik, sondern um Besitzansprüche und gesellschaftliche Privilegien. Die "Maschinenstürmer" im 18. Jahrhundert richteten ihre Wut folgerichtig auch nicht auf die Maschinen selbst, sondern auf deren Eigentümer: "Sie betrachteten die Technik nicht per se als ihren Feind. Um an die Neuerungen zu gelangen, betrieben sie sogar illegale Produktpiraterie."
Mercedes Bunz formuliert ihre Kritik also durchaus mit kapitalismuskritischen Untertönen, die zeitweise auch wie eine Argumentationshilfe für das Parteiprogramm der Piratenpartei daherkommt. Dementsprechend sieht sie im Übergang von der repräsentativen zur partizipatorischen Demokratie, Anlass zur Hoffnung: "Seitdem die neuen, digitalen Technologien es ungemein vereinfacht haben, Arbeit, Zeit und Geld (...) zu verwalten, können sich die Bürger oft direkter in soziale oder politische Angelegenheiten einbringen."
Doch wirklich in Worte fassen kann sie diese Hoffnung nicht. "Die stille Revolution" leistet den Blick zurück, der die Voraussetzung für einen realistischen Blick nach vorne ist. Doch eine echte Zukunftsvision hat das Buch nicht zu bieten. Vielleicht ist es die Schüchternheit, von der sich dieses Buch letztlich nicht befreien kann. Die Schüchternheit, die alle Zukunftsdenker, auch die klügsten, befällt angesichts einer rasend schnell gewordenen Zukunft. Doch dass die Zukunft uns ständig überholt, kann auch bedeuten, dass sie endlich da ist. Wir leben bereits in ihr.