In der Medienwelt ist Schnelllebigkeit wie kaum irgendwo sonst zum Alltag geworden. Der Kampf um die Aufmerksamkeit macht weder vor Bildern noch vor Text und Ton halt. Und er ist vermeintlich nicht anders als durch rasantes Tempo zu gewinnen. Tatsächlich aber ist die Entwicklung in der Branche nicht nur von Beschleunigung geprägt. Immer öfter werden durch Slow Media erfolgreiche Innovationsimpulse gesetzt.
Von Anja Kirig
Slow Media

Prinzipiell lassen sich zwei Nutzungsstile im Medienkonsum unterscheiden: Entweder ein Medium wird ganz bewusst oder aber zur Zerstreuung genutzt (Zukunftsinstitut 2013). Im Falle sogenannter Fokusmedien richtet sich darauf die volle Aufmerksamkeit des Nutzers, sie sorgen beispielsweise beim Lesen eines Buches fürs Versinken in der Zeit. Diffusionsmedien hingegen laufen nebenher, etwa in Form der „Berieselung“ durch eine beliebige Fernsehsendung. Slow Media kann in beiden Kategorien stattfinden. So kann es sein, dass ein bewusster Verzicht oder eine Reduzierung angestrebt wird, weil die heutige Informationsflut und medienverstärkte Aufgeregtheit unserer Gesellschaft als überfordernd erlebt wird. Slow Media entspricht dann dem Wunsch nach Abschalten. Zugleich ist aber auch die Suche nach Qualität in den Medien ein wichtiger Treiber von Slow Media. Es geht Slow-Media-Usern viel mehr um ein Abtauchen im Lesen, Hören, Sehen und Kommunizieren.
Die Langsamkeit des Umblätterns
Einer der Dinosaurier der langsamen Medien sind Print-Produkte. Sie erfordern (zumindest meist) eine ausschließlich für das Medium reservierte Zeit, lassen sich nur schwer nebenher konsumieren, wie etwa viele Ton-, Bild- oder Online-Medien. Gedruckte Bücher stehen für Qualität, sind hochmobil, lassen sich repräsentativ ins Regal stellen, sind weder auf Akkuleistung noch Internetzugang angewiesen und haben einen Genussaspekt. Ob Buch oder Magazin, Zeitung oder Brief – alle besitzen sie einen emotionalen Wert. Sie sind an ein haptisches und damit sinnliches Erlebnis gekoppelt. „Paper is flesh, screen is metal“, beschreibt der Medienkritiker und Publizist Alessandro Ludovico die emotionale Kraft des Papiers. Allein in Deutschland macht die Buchbranche einen weitgehend stabilen Umsatz von jährlich über 9 Milliarden Euro. Fasst man Erst- und Neuauflagen zusammen, sind in Deutschland 2014 insgesamt 87.134 Bücher erschienen. Den größten Anteil an den Neuerscheinungen hat unverändert die Belletristik.
Quality-TV als Fokusmedium
Dass sich in der Medienlandschaft, wenn auch erst allmählich und ganz behutsam, Entschleunigung bemerkbar macht, zeigt sich auch ausgerechnet an einem Format, das gemeinhin für das Höchstmaß an Flüchtigkeit stand, das die „alten“ Medien überhaupt haben konnten. Die erfolgreichsten Serien der letzten Zeit, Mad Men, Breaking Bad, Homeland oder Deutschland 83 – Letztere wurde 2015 auf dem französischen Fernsehfestival Séries Mania zur besten Serie der Welt gekürt –, sind horizontal erzählt. Horizontales Erzählen heißt: Erzählstränge erstrecken sich über die gesamte Staffel und jede Folge baut auf der vorangegangenen auf – im Unterschied zu vertikalen Serien, in denen jede Folge eine in sich abgeschlossene Episode ist.
Auch wenn Slow Media ist keine Ablösung, kein Ersatz, setzt aber mit Erfolg und Breitenwirkung deutliche Kontrapunkte zum bislang Gewohnten. der Trend horizontal-fortgesetzt erzählter Serien nicht völlig neu ist: TV-Kritiker sehen darin eine Revolution. Ihr Erfolg basiert offensichtlich nicht länger auf Verkürzung und Schnelligkeit, sondern auf einem sich in die Länge ziehenden Plot, der eben nicht immer wieder nach 30 oder 60 Minuten endet. Insofern sind die neuen Edel-Serien auch ein Slow-Media-Phänomen. Ob Netflix, HBO oder Amazon, kaum ein Anbieter kann es sich heute leisten, auf diese Art von „Quality-TV“ zu verzichten. Produktionen werden im Ganzen online gestellt und können dann von Zuschauern im sogenannten Binge-Watching-Verfahren, also mehrere Folgen am Stück, geschaut werden.
Die Qualitätsserien lassen den Betrachter nicht mehr los, fesseln ihn an eine komplex erzählte Fortsetzungsgeschichte. Quality-TV wird daher auch zelebriert. Zugleich tragen die Streaming-Plattformen durch die Möglichkeit der zeitversetzten Wiedergabe und Sequenzialität zu einer Loslösung von Orts und Zeitvorgaben bei und können helfen, den Alltag zu entschleunigen. Niemand muss mehr zu einem festen Zeitpunkt vor dem Fernseher sitzen, um einen bestimmten Film zu sehen, weil man ihn sonst verpasst. Interessanterweise bilden Streaming-Plattformen und Mediatheken erstmals seit über anderthalb Jahrzehnten die Basis von funktionierenden Bezahlmodellen für die Verbreitung medialer Inhalte im Internet. Was lange Zeit kaum möglich schien, trägt inzwischen nicht nur zur Profitabilität, sondern sogar zur Qualitätssteigerung bei.
Slow Media ist keine Ablösung, kein Ersatz, setzt aber mit Erfolg und Breitenwirkung deutliche Kontrapunkte zum bislang Gewohnten. Slow Media sind parallel existierende, gefragte Alternativen zu den „schnellen“ Medien, die Ausdruck eines veränderten Zeitgeistes sind. Und genau dieser wird sich künftig immer öfter Bahn brechen, weil Menschen nach Ruhe suchen, in Stoffe eintauchen möchten und dabei die Möglichkeit haben wollen, die Zeit vergessen zu können.