Social (Media) Status: Sag mir, wo du stehst

Status hat immer mit Selbstabgrenzung und Fremdverortung zu tun, auch in digitalen Zeiten. Doch in der Netzwerkgesellschaft wird der Zugang zu Status völlig neu definiert.

Von Harald Ehren

Anfang 2016 hat sich mein Sohn zu seinem 18. Geburtstag Air Jordans gewünscht. Er hat sie bekommen. Und es war ein Privileg. Nicht weil sie unbezahlbar sind (wenn auch echt teuer). Nein, der Verkauf der von Basketball-Legende Michael Jordan designten Sneaker ist limitiert. Ein bisschen wie früher in Karl-Marx-Stadt aka Chemnitz: Man muss schon zur rechten Zeit am richtigen Ort, sprich Store, sein. Wir waren es. Und man sollte sich darüber bewusst sein, dass dem Besitzer dieser Sportschuhe Neid-Attacken von Menschen mit Status-Problemen drohen oder – nicht selten – eine Abzieh-Aktion. Abziehen ist dieser Tage der Diminutiv von Raubüberfall.

Es bedarf des Flashbacks, quasi der Reise zurück in die Zukunft, um die Divergenz zwischen der Qualität, Tonalität und inhaltlichen Aufladung des Begriffs Status damals, in den Zeiten des Kalten Krieges, und heute in der Welt der neuen, digitalen Unübersichtlichkeit zu verstehen. Status erlebt eine Renaissance. Zwar hat sich die Definition des Dudens von "Status" zwischen 1986 und 2016 so gut wie nicht geändert. Doch die Mechanismen, um Status zu erreichen, zu verteidigen und weiterzugeben, haben sich in der Zeitspanne einer Generation, von meinem Sohn zu mir, dem Kind der 80er, komplett gedreht. Und aufgeladen. Status ist demokratischer, fast schon sozialistischer geworden. Jeder, der sich bemüht, kann ihn erreichen. Der feine, aber entscheidende Unterschied: Status muss nicht mehr (hart) erarbeitet oder durch andere Status-Träger verliehen werden. Ein Wandel, der sich besonders deutlich in den Social Networks der Always-on-Gesellschaft zeigt.

Früher, in den Eighties und davor, war Status affirmativ. Man muss sich das wie eine Handwerksmeister-Urkunde vorstellen, die ehedem in allen Metzgereien, beim Schuhmacher oder sogar Friseur gut sichtbar aufgehängt war. Heute sieht man diese Urkunden kaum noch. Vorderhand ist Status freilich fast oszillierend, Moden unterworfen, die selbst ständig wechseln, changieren. Kurz: Status ist als Wert nicht mehr unverrückbar. Wer einmal Status errungen hat oder sozusagen mit den Insignien des Status ausgestattet war, kann schnell in die Statuslosigkeit fallen. Und umgekehrt: Wer niemals auch nur die leiseste Chance hätte, Status qua Akklamation oder Arbeit zu erringen, ist plötzlich im Spiel. Weil er zur rechten Zeit am richtigen Ort ist. Oder durch Gespür, Intuition, vielleicht Zufall Status für sich definiert. In Zeiten von "Deutschland sucht den Superstar" und dem britischen Pendant "Pop Idol" kann ein Mr. Nobody genau das: Wenn ein Paul Potts mittels "Nessun Dorma" und der Unterstützung eines marktbeherrschenden Telekommunikationsunternehmens Empathie in die Konsumgesellschaft bringt, dann ist das Status. Sozusagen die neue Definition von Status.

Etwas erreicht zu haben, manifestiert sich heute quasi in der zweiten Ableitung. So besitzen die Bewohner des Dschungelcamps für die Zeit der RTL-Sendestaffel einen gewissen Status, nämlich den des C-Promis. Wer es aber während der Zeit der Ausstrahlung als Second-Screen-Nutzer zum Beispiel über Twitter schafft, von Brigitte Nielsen für die Digital-Gemeinde als Follower "geadelt" zu werden, erringt Status. Und zwar über die Wochen der Ausstrahlung hinaus. Ähnlich mit Status aufgeladen kann sich fühlen, wer "Bild”-Herausgeber Kai Diekmann auf der Live-Streaming-App "Periscope" folgt. Mittlerweile geschieht dies zu Tausenden, etwa wenn der Medien-Mann mit dem Ausflugsdampfer in Potsdam unterwegs ist und dabei Tipps für Cafés am Ufer gibt. Oder wie jüngst bei seiner Autofahrt in San Francisco, als er zusammen mit dem USA-Repräsentanten des Springer Verlags, Peter Würtenberger, ihre Suche nach einem Restaurant filmte. Der Clou an dem "Roadmovie": Zig Follower gaben per Periscope live ihre Restaurant-Tipps ab und wurden von Diekmann dafür erwähnt oder sogar gelobt. So ein Twitter-Retweet oder eine Periscope-Erwähnung ist aus der Perspektive des digitalen Status Gold und sicherlich auch Geld wert.

Sind wir also beim besten Status aller Zeiten angekommen? In dem das Erreichen "von etwas" jedem offen steht, ohne Ansehen von Herkunft, wirtschaftlichem und intellektuellem Vermögen? Mitnichten.
Gewiss: Qualität und Tonalität von Status haben sich in den drei Dekaden zwischen Kaltem Krieg und unserer neuer Unübersichtlichkeit grundsätzlich verändert. Status damals, 1986, war immer auch ein Statement. In Zeiten des Status quo war Status noch mit Rang, Reichtum, vor allem aber Herkunft verbunden. Heute dagegen zählt bei Youtube-Stars wie "Dagi Bee" die Befindlichkeit der Follower, ob der Status gewahrt bleibt. Da boostet die öffentliche Trennung vom Freund ("Wir haben uns auseinandergelebt, bleiben aber Freunde") den Status enorm, um kurz danach die charmante Dagi in Quotennot zu bringen. Viele Follower sind weitergezogen, zum nächsten Youtube-Alpha-Blogger.

Durch Webinars ist es mittlerweile recht simpel erlernbar, wie man die eigene Xing- oder Linkedin-Gemeinde zu einer stattlichen Zahl ausbaut. Denn: Sociability, Gesellschaftsfähigkeit, ist Status. Es ist so etwas wie Street-Credibility, die man in gewissen Kreisen benötigt. Ohne den Status des Beliebten, Bekannten, irgendwie in seiner Peer-Group Berühmten, stehen heutzutage die Chancen schlecht. Auf Status. Wohlstand. Ruhm.

Quasi mit einem Gegenprojekt zum digitalen Peer-Group-Status startete 2014 das Social Network "Ello". Damals sorgten die Macher mit ihrem Manifest für Aufsehen: keine Werbung, kein Algorithmus, dafür Datenschutz und Transparenz. "Du bist kein Produkt", schrieben die sieben Gründer in ihrem Manifest . Die Sozialen Netzwerke von heute seien dominiert von der Werbebranche. Jeder Post, jeder Kontakt, jeder Link werde getrackt, aufgezeichnet und ausgewertet. Und ist damit ein Auslöser von Status-Problemen. Inkonsequenterweise konnte man sich nicht auf Ello "adden", sondern musste sich bewerben beziehungsweise von Anderen – Alpha-Usern von Ello – empfohlen werden. Was war es damals für ein Statusgewinn, zu den Ersten bei Ello zu gehören. Durchgesetzt hat sich Gegenentwurf zu Facebook & Co. indes nicht. Es war ein Hype – und hat zugleich gezeigt: Die Menschen lassen sich Status nicht mehr vorschreiben. Erst recht nicht im Netz.

Diese Veränderung des Status-Status ausschließlich auf die Digitalisierung zu schieben, wäre zu kurz geschlossen. Doch sie hat entscheidend zur Desillusionierung beigetragen. So muss heute niemandem mehr verdeutlicht werden, dass beim Dating-Portal "ElitePartner" allein wohlsituierte Akademiker mit ordentlichen Manieren ihren "Soulmate" suchen. Auch dort geht es lediglich darum, den richtigen Deckel zum Topf zu finden. Im Netz reicht noch das per Photoshop optimierte Bild. Beim ersten Date zählt die Performance auf dem Platz. Die Maske des Digitalen, die sich bei Datingportalen, Youtube-Channeln, beim Beziehungsstatus auf Facebook zeigt, kaschiert das wahre Gesicht des Status.

Apropos Gesicht: Mein Sohn hat sich kürzlich zeitweise bei Facebook abgemeldet (und mich "entfriendet" – aber das ist eine andere Geschichte). Und siehe da, das Interesse an ihm bei den Mädchen und die Zahl der Anrufe stieg. Vermutlich, weil er nun nur noch alles über WhatsApp abwickelt. Freilich stand ein virtueller Kommunikationskanal weniger zu Verfügung. Der Klassiker: Er hat sich rar gemacht. Das ist immer noch der wahre Status.

Über den Autor

Harald Ehren absolvierte die London School of Economics, arbeitete bei F.A.Z. und manager magazin und war Gründungsmitglied der Financial Times Deutschland. Von 2008 bis 2015 war er als Chefredakteur der Kommunikationsagentur fischerAppelt verantwortlich für alle Content- und Newsroom-Formate. Seit Januar 2016 ist er Chefredakteur der Deutschen Verkehrszeitung (DVZ).

Mehr zum Thema

Hybrid Professionals

Hybrid Professionals

Maximale Freiheit, maximaler Sinn: Eine neue Art von hochqualifizierten Wissensarbeitern fordert althergebrachte Unternehmenskulturen heraus.

Statussymbol Auto [Interview]

Zeit ist die neue Luxuseinheit

Das Auto ist in der Statushierarchie nach unten gerückt. Zukunftsforscher und Automobilexperte Mark Morrison über die neuen Statuspotenziale des Autos als erweiterter Lebensraum.

Normcore: Same same but different

Normcore: Same same but different

Der Normcore-Trend zeigt eine stille Status-Transformation in der Modewelt an: von Extravaganz zu einer neuen Normalität, die auf subtile Weise besonders ist.